Studie der Friedrich-Alexander-Universität: „Der Depression davonklettern“
Überzeugende Ergebnisse der Studie „Klettern und Stimmung“ – Boulderpsychotherapie für ambulante Patienten mit Depression langfristig wirksam
Körperliche Aktivität gehört zu den wirksamsten Methoden in der Therapie von Menschen mit Depression. Im Vergleich zu Psychotherapie und medikamentöser Behandlung ist sie weniger stigmatisiert und wirkt sich zudem positiv auf die körperliche Verfassung der Erkrankten aus. Diese Vorteile bildeten den Ausgangspunkt für „Klettern und Stimmung“ der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Johannes Kornhuber) des Universitätsklinikums Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Im Rahmen dieses Projekts entwickelten die Wissenschaftler den neuen Ansatz der Boulderpsychotherapie. Nach den Ergebnissen der Pilotstudie liegen nun auch die Ergebnisse der groß angelegten Folgestudie vor. Diese zeigen: Die Boulderpsychotherapie ist deutlich wirksamer als eine körperliche Aktivierung allein und mindestens genauso wirksam wie der Goldstandard in der Depressionsbehandlung, die Verhaltenstherapie. Hinzu kommt: Die positiven Effekte können nach der Therapie mindestens ein Jahr lang aufrechterhalten werden!
„Klettern und Stimmung“ wurde 2013 von der Projektleiterin PD Dr. Katharina Luttenberger und ihrem Team ins Leben gerufen. Die Idee bestand in der Verbindung der handlungsorientierten Elemente des Boulderns (eine Form des Kletterns ohne Seil in Absprunghöhe) mit psychotherapeutischen Ansätzen zur Behandlung von Depressionen. Dies führte zur Erarbeitung einer ersten Version der Boulderpsychotherapie, die seither stetig weiterentwickelt wurde. In zehn Einheiten bearbeiten die Therapeuten mit ihren Patienten unterschiedliche Themen – anders als in der klassischen Psychotherapie nicht im Gespräch, sondern im direkten Erleben an der Kletterwand. So können die Betroffenen beispielsweise beim Thema „soziale Beziehungen“ die Erfahrung machen, welche Gefühle und Gedanken auftauchen, wenn sie mit anderen über ein Seil verbunden sind und die Boulderroute gemeinsam bewältigen müssen. Außerdem hilft die für das Klettern nötige Konzentration, im Hier und Jetzt zu sein und Grübelschleifen, die ein Hauptsymptom der Depression sind, zu durchbrechen.
Obwohl das therapeutische Bouldern oder Klettern bereits an einer Vielzahl von Krankenhäusern angeboten wurde, gab es bisher keine ausgearbeiteten Standards für die Umsetzung in der Behandlung von Depressionen und keine qualitativ hochwertigen Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit. Deshalb untersuchten die Erlanger Wissenschaftler in einer ersten zwischen 2013 und 2015 durchgeführten Pilotstudie die Wirksamkeit der neu entwickelten Boulderpsychotherapie im Vergleich zu einer reinen Wartelisten-Kontrollgruppe. Eine zweite groß angelegte Studie wurde ab 2016 in mehreren Regionen Deutschlands – in Berlin, der Europäischen Metropolregion Nürnberg und der ländlichen Region Weyarn/Holzkirchen – durchgeführt. Diesmal untersuchten die Erlanger Wissenschaftler die Wirksamkeit der Boulderpsychotherapie im Vergleich zu bereits etablierten Verfahren in der Depressionsbehandlung: zum einen ein allgemeines sportliches Aktivierungsprogramm, zum anderen eine verhaltenstherapeutische Depressionsbewältigungsgruppe – der aktuelle Goldstandard.
Deutliche Verringerung der depressiven Symptomatik
Insgesamt nahmen 233 Personen, bei denen zum Zeitpunkt der Studie die Kriterien für eine Depression erfüllt waren, teil. Sie wurden zufällig einer der drei Gruppen zugeteilt und nach der Behandlung bis zu ein Jahr lang weiter begleitet. Es zeigte sich: Alle Ansätze waren wirksam! In der Gruppe, die die Boulderpsychotherapie erhielt, zeigte sich eine sichtbare Verringerung der depressiven Symptomatik in Form einer Verschiebung von einer moderaten zu einer milden Depression. Die Verbesserungen waren deutlich stärker ausgeprägt als in der Gruppe, die mit dem sportlichen Aktivierungsprogramm zu Hause trainiert hatte. In der verhaltenstherapeutischen Depressionsbewältigungsgruppe zeigten sich wie erwartet ebenfalls deutliche Verbesserungen der depressiven Symptomatik, die allerdings nicht größer waren als die in der Boulderpsychotherapiegruppe. Auch in den Bereichen Angst, Körperbild, Bewältigungsmechanismen, Selbstwertgefühl und Sozialverhalten ergaben sich deutliche Verbesserungen durch die Boulderpsychotherapie. Somit konnte gezeigt werden, dass die neue Therapieform mühelos mit bewährten Behandlungsmethoden mithalten kann und eine sinnvolle Erweiterung der Therapieangebote darstellt.
Nominiert für Gesundheitspreis – stimmen Sie ab!
Die positiven Studienergebnisse ermutigten das Forscherteam zur Bewerbung für den MSD Gesundheitspreis 2020. Mit der Auszeichnung verfolgt das Gesundheitsunternehmen das Ziel, herausragende und innovative Versorgungslösungen zu würdigen und ihre Weiterentwicklung zu unterstützen. Eine hochkarätig besetzte Jury hat aus allen Bewerbern zehn innovative Projekte für den mit 5.000 Euro dotierten Publikumspreis nominiert – darunter auch die Boulderpsychotherapie des Erlanger Projekts „Klettern und Stimmung“. Im Rahmen einer öffentlichen Online-Abstimmung können nun alle Interessierten bis Dienstag, 8. September 2020, 12.00 Uhr, ihre Stimme abgeben und so gemeinsam den Publikumssieger wählen: http://www.msd.de/jede-stimme-zählt
Katharina Luttenberger ist stolz auf die Nominierung: „Aus vielen innovativen Ideen ausgewählt zu werden, zeigt uns, dass wir mit unserem Projekt auf dem richtigen Weg sind!“ Nun hofft das Team natürlich, einen der insgesamt acht Preise zu gewinnen. Einen konkreten Verwendungszweck für das Preisgeld haben die Wissenschaftler bereits: „Unsere Vision ist, eine digitale Version des Manuals zu veröffentlichen, mit der die Boulderpsychotherapie überall in Deutschland leicht durchgeführt werden kann“, erläutert PD Luttenberger. „Damit könnten wir dazu beizutragen, dass immer mehr Therapeuten dieses Angebot in ihre Behandlung miteinbeziehen.“
Website des Projekts „Klettern und Stimmung“: http://www.studiekus.de
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