Blick über den Zaun: Offener Brief des Concertbüro Franken an OB Marcus König und Kulturbürgermeisterin Dr. Julia Lehner
Sehr geehrte Frau Dr. Julia Lehner,
Sehr geehrter Herr Marcus König,
zunächst mit Ungläubigkeit aber dann mit blanken Entsetzen haben wir auf die neueste Kapriole der Stadt Nürnberg reagiert: Kulturaktivität in Zeiten von Corona vorzutäuschen, während es gleichzeitig nicht gelingt Alternativen für die freien Nürnberger Kulturbetriebe zu schaffen, geschweige denn ihnen finanziell unter die Arme zu greifen.
Exakt zwischen zwei renommierten und von uns hauptsächlich bespielten Kulturstätten, die es in der Krise besonders hart trifft – dem Serenadenhof und der Volksbühne Wanner im Gutmann- veranstaltet die Stadt – vielleicht nur unbewusst provokativ – Wasserspiele auf einer neu zu errichtenden Bühne am Dutzendteich- Für ein mit Tretbooten und Schlauchbooten anfahrendes Publikum. Vielleicht könnte es der Stadt Nürnberg ja in diesem Falle sogar einmal gelingen Berlin nachzueifern, die damit nationales Interesse hervorrief. Die dortige Schlauchboot-Aktion in Berlin war übrigens eine Demonstration der freien Musikszene für die Wiedereröffnung ihrer Clubs – welch Ironie.
Während die Stadt Nürnberg bei der freien Kultur um jeden Euro geizt, verbrät sie bei der „Seebühne“ an drei Tagen einen satten sechsstelligen Betrag. Und das für eine sehr begrenzte Anzahl von Gästen in Schlauch- und Tretbooten. Sicherlich sind kulturelle Lebenszeichen einer Stadt in der Pandemie wichtig. Aber bezüglich Kosten, Nutzen und Relevanz empfinden wir manche dieser Aktivitäten fast als blanken Hohn. Demgegenüber mussten wir bereits über 70 Veranstaltungen nur allein während dieser Sommermonate im Stadtgebiet Nürnberg absagen (Serenadenhof, Hirsch, Löwensaal, Gutmann u.a.). Wir hatten dazu gut 40.000 zahlende Besucher erwartet. Alle Veranstaltungen hätten kostendeckend funktioniert und einen hochwertigen Beitrag zum Kulturleben in der Stadt geleistet. Der wirtschaftliche Schaden ist für uns enorm.
Im selben Augenblick spielt die Stadt Nürnberg aber definitiv auf Zeit, um den Nürnberger Kulturbetrieben in irgendeiner Form eine Perspektive für den Sommer zu geben. Trotz etlicher Treffen der Stadtoberen mit freien Kulturveranstaltern, kommt bei den Betroffenen absolut nichts an. Trotz einer in Auftrag gegebenen Bedarfsanalyse, die mit fundierten Zahlen und Fakten die Gefährdung wesentlicher Teile der Nürnberger Kultur belegt, wird auf die Betroffenen nicht wirklich zugegangen. Selbst die groß propagierte Kulturhilfe der Stadt wurde noch nicht ausgezahlt, weil die Bedingungen zum Erhalt von Unterstützung für die meisten Betriebe unerreichbar hoch gesetzt sind. Beispielsweise kann angeblich unsere neue Veranstaltungsreihe im „Hirsch“-Garten mit Auftritten regionaler Künstler nicht unterstützt werden, weil wir ein „kommerzieller“ Betrieb sind. Zum Vergleich: Die Stadt Fürth öffnet und unterstützt gleich eine Vielzahl von Open-Air Spielstätten für freie Kulturbetriebe und die Stadt Erlangen finanziert dem E-Werk eine schicke neue Sommerbühne. Dort finden nun die Veranstaltungen statt, nach denen sich Nürnberg sehnt.
Ein kurioses Angebot gab es dann doch. Mit viel Aufwand wurde ein Konzept für das leerstehende Club-Stadion erarbeitet. Bis zu 1500 Besucher sind für Veranstaltungen mit einer Open Air-Bühne dort jetzt möglich. Wir wurden sofort angefragt. Warum? Weil die Stadt damit Miet-Einnahmen generieren will! Der Clou: Es ist für uns als Veranstalter die mit Abstand teuerste Spielstätte dieser Größenordnung in der gesamten Region. Bei voller Kostenlast und einer Werbe-Vorlaufzeit von nur wenigen Wochen sind Veranstaltungen in dieser Größenordnung aber ein absolut unkalkulierbares und unzumutbares Risiko. Mit im Verhältnis sehr überschaubarem städtischen Zuschuss hätten allerdings national relevante Künstler ins Stadion gebracht werden können.
Angesichts der Tatsache, dass die freien Nürnberger Kulturbetriebe noch unkalkulierbar lange eine schwere Dürre-Periode und in vielen Fällen wohl einen echten Überlebenskampf vor sich haben, ist das Verjubeln solcher Geld-Summen für an den Haaren herbeigezogener Bespaßung ein Affront für alle, die in diesen Monaten mit dem Rücken zur Wand stehen. Wenn die Stadt so viel Geld übrig hat, muss sie es zur Unterstützung der bestehenden Kulturstätten und den wesentlichen kulturellen Leistungsträgern der Stadt zur Verfügung stellen, anstatt Luftwasser-Schlösser zu bauen. Oder wer kann sich eine Kulturhauptstadt vorstellen, in dem sich ein Besucherstrom durch einen Kultur-Parcours in einer sonst kulturell komplett verödeten Landschaft ohne Kabarett-, Comedy-, Rock-, Pop-, Folk-, Blues- und sonstigen Live-Shows schiebt?
Die „Wasser-Party“ (NN) sollte die Stadt besser ins Wasser fallen lassen. Dass wir uns den geplanten Protesten der freien Szene gegen diese Seebühne auch vor Ort mit anschließen, ist im Moment durchaus vorstellbar.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Ballreich, Dr. Bernhard Chapligin, Guido Glöckler, Peter Harasim, Annette Niesser, Michael Pröbster
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