Bayreuth: Medien- und Sportwissenschaftler zu UEFA eEURO 2020: „Computerspielen kann auch Sport sein“

An diesem Wochenende findet die Endrunde der UEFA eEURO 2020 statt, des nach UEFA-Angaben „größten E-Football-Wettbewerbs für Nationalmannschaften“. Für den Computerspielwissenschaftler Prof. Dr. Jochen Koubek, Professor für Angewandte Medienwissenschaft – Digitale Medien an der Universität Bayreuth, können manche Arten, Computerspiele zu spielen, ebenso als Sportart anerkannt werden wie andere gerätebezogene Sportarten. Für Prof. Dr. Markus Kurscheidt, Lehrstuhlinhaber Sportwissenschaft II – Sport Governance und Eventmanagement an der Universität Bayreuth, ist mit den E-Sports lediglich eine neue kulturelle Spielart, Wettbewerbe auszutragen, dazugekommen. In Kurzinterviews erläutern beide, welche Bedeutung die E-Sport-Branche heute hat und weiter haben wird.

Sport-Wissenschaftler Kurscheidt / Foto: Privat

Computerspiel-Wissenschaftler Koubek / Foto: Privat

 

 

Ist E-Sport „echter“ Sport?

Prof. Dr. Jochen Koubek: Das hängt von Ihrem Sportbegriff ab. Wenn Sie, wie der Deutsche Olympische Sportbund, die körperliche und motorische Aktivität betonen, werden Sie E-Sport dort nur schwierig einordnen können. Das müssten Sie dann aber auch mit anderen gerätebezogenen Sportarten wie Sportschießen, Billard oder Darts machen. Wenn Sie auf der anderen Seite die Beherrschung von Sportgeräten als grundsätzlich sportartfähig einstufen, gibt es wenig Gründe, dies nicht auf bestimmte Arten, mit dem Computer zu spielen, auszudehnen. Der Deutsche Motor Sport Bund hat 2018 simulierte Rennen daher konsequenterweise auch als Motorsport-Disziplin anerkannt. Bei anderen Sportspielen ist es meines Erachtens nur eine Frage der Zeit, bis die Verbände ebenfalls nachziehen. Nicht das Computerspiel ist aber die Sportart, sondern die kompetitive, leistungsbezogene und an Turnieren orientierte Art und Weise zu spielen. Ein Fahrrad ist ja auch keine Sportart, da müssen Sie schon in die Pedale treten.

Welchen ökonomischen Stellenwert hat E-Fußball im Vergleich zu den Blockbustern wie Minecraft und Call of Duty?

Prof. Dr. Jochen Koubek: Wenn wir auf die Verkaufszahlen auf der Business-Intelligence-Plattform www.vgchartz.com/ schauen, liegt Call of Duty seit 2003 mit 300 Mio. verkauften Spielen vor FIFA, die seit 1993 lediglich 282 Mio. Spiele verkauft haben, wobei Pro Evolution Soccer noch einmal mit 107 Mio. verkauften Spielen dazu kommt. Minecraft hat gerade die 200 Millionen-Marke genommen, ist aber kein E-Sport-Titel. Im E-Sport kommen noch weitere ökonomische Faktoren dazu, wie Sponsoring, Werbung, Lizenzen etc. Im E-Sport-Ökosystem ist E-Fußball ein eher kleines Licht, wo laut www.esportsearnings.com/ Spiele wie Counter StrikeDota 2 oder League of Legends dominieren. Und wenn man den Statistiken der Marktanalysefirma „Newzoo“ folgt, wächst die ökonomische Bedeutung von E-Sport international weiter im zweistelligen Bereich, was ja nur wenige Branchen von sich sagen können.

Gibt die Corona-Pandemie der Branche weiteren Auftrieb?

Prof. Dr. Jochen Koubek: Computerspiele sind natürlich eine Beschäftigung, die gut zu sozialen Distanzmaßnahmen passen. Erste Firmen melden ja bereits Rekordumsätze. Die Verankerung von Spielen in der öffentlichen Wahrnehmung hängt aber mehr am Generationenwechsel und weniger daran, dass nun plötzlich viele Nicht-Spieler zu Spielern werden. Wer nicht am Computer spielen will, beschäftigt sich anders.

Was sagen Fußballfans?

Prof. Dr. Markus Kurscheidt: Noch gibt es kaum eine Überschneidung zwischen Fußball- und E-Sportfans. Für einen eingefleischten Fußballfan ist die eEURO uninteressant und definitiv kein emotionaler Ersatz für die verschobene reale EURO. Zwar können wir im hochkompetitiven und professionellen Segment den E-Sport durchaus als Spitzen- und Zuschauersport auffassen, der Massen begeistert und seine Fans anzieht. Wenn in den führenden Wettkampfformaten wie der ESL Turniere ausgetragen werden, sehen wir Szenen in gut gefüllten Hallen, die an das Fanverhalten in Fußballstadien erinnern – nur starren die Fans auf Großleinwände und nicht auf ein Spielfeld. Aber hier reden wir eher über die Spiele-Genres der Taktik-Shooter und Battle Arenas. Das Interesse an den herausragenden Fertigkeiten der Athleten und – sehr wenigen – Athletinnen erwächst eher aus der eigenen Gaming-Erfahrung. Nicht-Gamer können das gar nicht sinnvoll verfolgen. Sie verstehen gar nicht, was da auf dem Bildschirm passiert. Das macht die immer noch subkulturelle Fanszene im E-Sport aus. Es ist (noch) eine jugendkulturelle Abgrenzung.

Lohnt sich das für die Vereine?

Prof. Dr. Markus Kurscheidt: Aktuell sind die Turniere im Bereich der Sportspiele wie im Fußball FIFA 20 und E-Football Pro Evolution Soccer, das Format der eEURO, noch keine Geldmaschinen. Das ist ja gerade der Grund der Ablehnung vieler Fußballfans. Sie befürchten eine „Zweckentfremdung“ der im Fußball erwirtschafteten Mittel. Derzeit sind die E-Sportteams der Fußballclubs, etwa in der Virtual Bundesliga auf der FIFA-Spielplattform, mehr eine Investition in die Zukunft und in den Kommunikationsabteilungen der Clubs angesiedelt. Man zielt damit auf die Erschließung von neuem Fanklientel unter den Jugendlichen ab. Das traditionelle Klientel der Fußballkids, die im Dorf- oder Stadtteilclub kicken und vom Vater an den Lieblingsclub herangeführt werden, ist nicht verschwunden. Derzeit ist der E-Fußball aber noch eine Investition in erhoffte zukünftige Einnahmen.

Welche Entwicklung erwarten Sie?

Prof. Dr. Markus Kurscheidt: Die E-Sportszene ist ein Wachstumsmarkt und wird sich noch erheblich entwickeln. Ich habe aber große Zweifel, dass der E-Sport dem traditionellen Zuschauersport den Rang ablaufen wird. Mir scheinen in der öffentlichen Debatte derzeit auch viel Wachstumsphantasie, Horrorszenarien und Lobbyismus im Spiel zu sein. Dabei wird der kulturelle Faktor massiv unterschätzt. So fasziniert die Jahrtausende alte Olympische Idee die Leute heute noch wie in der Antike. Der Untergang der Fußballkultur und der Verlust des Status als Sportart Nummer Eins wurde dem Fußball schon oft prophezeit. Aber das wird nicht passieren. Wir erleben jedoch Veränderungen und eine fortschreitende Ausdifferenzierung des Sports. Dazu gehört ebenso der E-Sport. Der steht ja auch für das menschliche Urbedürfnis, sich im Wettkampf zu messen, ob am Computer, mit einem Ball oder im schnellen Laufen. Mit der virtuellen Dimension ist lediglich eine neue kulturelle Spielart, Wettbewerbe auszutragen, dazugekommen. Und die hat auch ihren Platz im Sportmarkt gefunden. Sie wird den Markt aber nicht übernehmen. Das ist eine Utopie.