Kulmbach: Genuss hat auch in Krisenzeiten seine Berechtigung – Essen und Trinken stärken die Moral

Von Norbert Heimbeck, Geschäftsführer der Genussregion Oberfranken e.V.

Ausgangsbeschränkungen, Abstandsgebote, geschlossene Lokale und reduzierte Einkaufsmöglichkeiten – die Coronakrise  stellt uns alle vor neue Herausforderungen. Viele Menschen vermissen besonders den Besuch von Restaurant, Stammkneipe oder Biergarten. Nicht wenige haben das Kochen (wieder) entdeckt. Deshalb ist es wichtig, die einzigartige kulinarische Vielfalt der Genussregion Oberfranken zu erhalten. Jeder Einzelne von uns kann etwas dafür tun.

Der Spruch „Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen“ ist weithin bekannt. Tatsächlich scheint das Zufriedenheitsgefühl nach einer wohlschmeckenden Mahlzeit mehr als nur ein subjektives Empfinden zu sein. Schwedische Wissenschaftlerinnen haben Belege dafür gefunden, dass schlechte Ernährung und psychische Störungen zusammenhängen könnten. Das  „European College of Neuropsychopharmacology“ (ECNP) hat zahlreiche Studien zu diesem Thema ausgewertet.

Essen ist jedoch mehr als das Stillen des Kalorienbedarfs. Es stiftet Zusammengehörigkeitsgefühl und stärkt soziale Bindungen – nicht nur in der Familie, sondern auch im Umgang mit Nicht-Verwandten: im Pausenhof der Schule, in der Betriebskantine und erst recht im Wirtshaus beim Stammmtisch. Wer mit wem am Tisch sitzt, der Austausch von Neuigkeiten, a weng Fränggisch waaf‘n – all das gehört wesentlich zu unserem Wohlbefinden dazu.

Die regionale Kulinarik wirkt identitätsstiftend: die fränkische Bratwurst, die Münchner Weißwurst, das bayerische Bier – diese Begriffe werden stets paarweise verwendet. Wie wichtig der kulturelle Hintergrund heimischer Ess- und Trinkkultur ist, zeigt, dass kürzlich der Hofer Schlappentag und das bayerische Brauwesen von der UNESCO in den Rang des immateriellen Kulturerbes erhoben wurden. Der Verein Genussregion Oberfranken hat diese Auszeichnung als erste deutsche Regionalinititative bereits vor fünf Jahren bekommen. Auf der Vereins-Website werden mehr als 320 regionale Spezialitäten aufgelistet. Ergänzt wird diese Sammlung von Anbieterporträts und touristisch interessanten Genusserlebnissen (unser Tipp für das Reisen nach der Krise).

Tourismus und Kulinarik gehören ebenfalls eng zusammen. Woran erinnert man sich nach dem Urlaub am liebsten? Ob das Wetter schön und das Essen schmackhaft war. In Franken verdienen mehr als 177.000 Menschen ihr Primäreinkommen im Tourismus. Der jährliche Umsatz beträgt nach einer aktuellen Miteilung des Tourismusverbandes Franken 10,5 Milliarden Euro. Dieser verteilt sich auf Gastgewerbe (42 Prozent), Einzelhandel (38,4 Prozent) und Dienstleistungen (19,6 Prozent). Da es sich beim Tourismus um eine typische Querschnittsbranche handelt, sind zahlreiche weitere Unternehmen wie etwa Kultur- und Freizeiteinrichtungen von ihm abhängig.

Wie kann es gelingen, die Vielfalt der oberfränkischen Küche durch die Krise zu retten?

Viele Betriebe der Lebensmittelbranche haben auf die Schließungen reagiert und Liefer- oder Abholservices entwickelt. Bäcker und Metzger liefern zusätzlich zu den eigenen Erzeugnissen auch Nudeln, Honig, Kaffee und andere Lebensmittel von regionalen Erzeugern mit aus. Gastronomen bieten nicht nur einzelne Gerichte an, sondern liefern komplette Menüs, die daheim nur noch aufgewärmt oder fertig gegart werden müssen. Das hat für den Verbraucher den Vorteil, dass er außer der bislang gewohnten Pizza aus dem Pappkarton nun auch kulinarisch anspruchsvollere Gerichte zuhause genießen kann.

Wer nun gezwungenermaßen daheim sein muss, hat wieder mehr Zeit, sich um sein Essen zu kümmern. Viele Menschen entdecken aktuell das Selberkochen wieder. Wenn‘s gelingt und schmeckt, ist das ein Erfolgserlebnis, das auch eine tolle Videokonferenz nicht vermitteln kann.

Auch diejenigen, die nicht kochen können, sehnen sich nach Alternativen. Dass in den Supermärkten plötzlich die Hefe ausverkauft war, zeigt genau das. Viele der Panikkäufer dürften nicht wirklich Ahnung vom Backen haben. Außerdem hatten die Bäcker in der Region (und auch die anderen Lebensmittelhandwerker) ja immer geöffnet und es gab keinerlei Grund zum Hamstern.

Das Kochen hat sich vom kreativen Hobby zur täglichen Aufgabe entwickelt. Und die ist keineswegs trivial. Wenn globale Lieferketten unterbrochen sind und kein Superfood von anderen Kontinenten zur Verfügung steht, zeigt sich die echte Küchenkunst: aus regional erzeugten Rohstoffen abwechslungsreich und wohlschmeckend zu kochen.

Und so schließt sich der Kreis: Wer im Hofladen direkt beim Landwirt, auf dem Wochenmarkt, beim Bäcker und Metzger „um die Ecke“ einkauft, kann nach der bestmöglichen Verwendung der Produkte fragen und bekommt normalerweise hilfreiche Antworten. Mit frischen Zutaten zu kochen ist erwiesenermaßen günstiger als das Verwenden von Fertiggerichten.

Der lokale Handel hat aktuell sogar einen wichtigen Vorteil gegenüber dem Onlinehandel: Dank eigener Lieferung oder Abholung landet die Ware viel schneller beim Kunden, als selbst Amazon mancherorts liefern kann. Deshalb müssen lokale Betriebe jetzt entsprechende Serviceangebote entwickeln. Ziel: Im Gespräch bleiben und dem Kunden zeigen, dass man noch aktiv ist. Ganz nach dem Motto „Hey, wir tun was!“ Die Möglichkeit, die Gewohnheiten der Verbraucher zu beeinflussen, ist da – sie muss aber auch genutzt werden.

Das könnte der „Gewinn“ aus der derzeitigen Situation sein: Wir hinterfragen das System der globalen  Lebensmittelproduktion, schätzen heimische Produkte wieder höher und stärken regionale Wertschöpfungsketten.

Info: Eine Übersicht von Corona-Hilfsangeboten und Lieferdiensten in Oberfranken finden Sie hier: www.demographie-oberfranken.de/de/mutmacher/