Forchheimer Pfarrer Martin Emge: „Wie Kirche von Corona lernt“
Seit den staatlichen Verfügungen zum Schutz vor Corona müssen unsere Kirchen in ihren wesentlichen Grundvollzügen bisher nie dagewesene Einschränkungen hinnehmen. Am Empfindlichsten ist sie durch Versammlungs- und Gottesdienstverbote, aber auch durch Kontaktverbote mit Menschen der sogenannten Risikogruppen betroffen. Die Kirchendomänen der Liturgie, der Verkündigung und der Sorge um bedürftige Menschen sind davon wesentlich betroffen. Und wie reagiert Kirche auf diese herausfordernde Situation? Taucht sie ab und lässt sie ihre Gläubigen allein? Macht sie ihre geistlichen „Tankstellen“ zu und geht auf Distanz? Erweist sie sich schließlich als krisentauglich?
Ein erste Bilanz nach 14 Tagen zeigt, sich in dieser noch nie dagewesenen Situation einige Wachstumsfelder auftun, die zeigen, wie Kirche im Widerstand gegen diese Pandemie wächst.
Kirche kann auch Online
Eine für viele Insider verblüffende Erfahrung ist, wie Kirche auch Online gehen und gefragt sein kann. Sicher sind unsere Kirchen durch Fernsehgottesdienste der öffentlich rechtlichen Sendeanstalten und privaten kirchlichen Sender bereits medial präsent. Dass sich aber Pfarreien in kürzester Zeit auf die aktuelle Notlage eingestellt haben, ist bemerkenswert. Livestreams aus der Heimatkirche, eine Vielzahl von geistlichen Impulsen, praktische und liturgische Anregungen auf den Hompages, rege Mailkontakte, Telefon- und Skypekonferenzen, all das überrascht durch Kreativität und Angebotsfreude. Die Einschaltquoten bei solchen Messübertragungen übersteigen mancherorts längst die bisher gewohnten Besucherzahlen in den Gottesdiensten und die Pfarreigrenzen. Hinzu kommen die Netzwerke der Socialmedia, die Brücken bauen über Generationsgrenzen hinweg.
Kirche lernt Hauskirche
In den Wohnungen bilden sich hauskirchliche Formen des Miteinanders. Daheim entstehen Premieren beim Mitfeiern der Messe am Laptop im Wohnzimmer, mit brennender Kerze und Gotteslob zum Mitsingen, eingerichtet von Kindern und Enkeln für die ältere Generation. Es entstehen Gebetsinitiativen mit Kerzen in den Fenstern. Rosenkranz- und Kreuzweggebete, Meditation und Bibellesen, Nachdenken über zugesandte Texte und Videoclips verändern das häusliche Klima. Kirche wird wie in ihren Ursprüngen wieder als Hauskirche erfahrbar.
Kirche wächst in die Tiefe
Die stark reduzierten oder gar fehlenden Kontaktmöglichkeiten kommen einem Grundanliegen der Kirche entgegen. Die Unterbrechung des täglichen, oft auch aktivistischen Treibens und die nun geschenkte Zeit der Muße machen nachdenklich. Corona stellt das Leben auf den Prüfstand, hinterfragt Aktivismus und Oberflächlichkeit und konfrontiert die Menschen mit sich selbst. So wächst die Chance, in die Tiefe zu gehen. Zeit für sich und zum Verweilen, Zeit zum Nachdenken und zum Beten. Zeit, etwas aufzuarbeiten und sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Zeit zum Spaziergehen und zum Ausruhen.
Kirche zeigt Vertrauen in Gottes Erbarmen
Die Situation fehlender Möglichkeit zum Empfang der Kommunion und des Besuches von Bußgottesdiensten und öffentlichen Beichtzeiten bringt Katholiken in Gewissensnöte. Darauf antwortet die Kirchenleitung in einer wohltuend menschlichen und entlastenden Weise. Sie dispensiert bis auf weiteres von der Sonntagspflicht und ermutigt zur geistlichen Kommunion. Sie weist auf die Möglichkeiten im Katechismus hin, dass in Notzeiten die Vergebung der Sünden geschenkt wird, wenn ein Christ seine Schuld ehrlich bereut und in seiner Bitte um Nachlass der Sünden auf Gottes Erbarmen vertraut.
Kirche lässt ihre Gotteshäuser offen und bleibt gesellschaftlich präsent
Obwohl aktuell öffentliche Versammlungen der Christen ausbleiben müssen, stehen die Kirchentüren jedem offen. Die heiligen Räume bieten Stille und Geborgenheit. Die Lichter an den Kerzenständern und die Anliegen in den Fürbittenbüchern und auf Stellwänden geben Zeugnis von spiritueller Suche und Vertrauen auf himmlischen Beistand. Was das öffentliche Leben betrifft, bleibt Kirche durch ihre Gläubigen in vielfältiger Weise präsent. Ihr Dienst in häuslicher Umgebung und in der Familie, als Angestellte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, in Dienstleistungsberufen und in der Nachbarschaft geschieht unspektakulär und in der Regel ohne kirchliches Etikett. Dass hinter mancher scheinbar übermenschlichen Arbeitsleistung die Kraft aus dem Glauben steckt, bleibt vielen verborgen.
Not lehrt Beten und macht erfinderisch. Die Kirche stößt in der Corona-Krise an ihre Grenzen, wächst aber auch spürbar über sich hinaus.
Martin Emge
Leitender Pfarrer im Kath. Seelsorgebereich Forchheim
Neueste Kommentare