Pilze als Nahrungsquelle für Pflanzen: Biologen der Universität Bayreuth veröffentlichen überraschende Erkenntnisse
Die Zahl der Pflanzenarten, die organische Nährstoffe von Pilzen gewinnen, könnte weitaus höher sein als bisher angenommen. Dies haben Forscher der Universität Bayreuth und der Universität Kopenhagen durch Isotopenuntersuchungen an der Vierblättrigen Einbeere herausgefunden. Diese in Europa weit verbreitete Waldbodenpflanze gilt in der Botanik als ein Prototyp für Pflanzen, die auf eine spezifische Weise in Austauschbeziehungen mit Pilzen stehen und rund 40 Prozent aller Pflanzenarten ausmachen. In der Fachzeitschrift „The New Phytologist“ berichten die Wissenschaftler über ihre überraschenden Ergebnisse.
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die ökologische Bedeutung von Pilzen immer noch erheblich unterschätzt wird. „Falls sich die Überlegung bestätigen sollte, dass weitaus mehr Pflanzenarten als bisher bekannt einen Teil ihrer organischen Nährstoffe von Pilzen beziehen, haben Pilze einen erheblichen Einfluss auf die Biodiversität und Funktion von Ökosystemen. Programme und Maßnahmen im Natur- und Umweltschutz sollten daher verstärkt auch die Pilze berücksichtigen“, sagt Philipp Giesemann M.Sc., der Erstautor der Studie, der zurzeit an der Universität Bayreuth im Fach Biologie promoviert und durch ein Stipendium des Elitenetzwerks Bayern (ENB) gefördert wird.
Unterirdische Netzwerke
Weit mehr als 90 Prozent aller Pflanzenarten sind über ihr unterirdisches Wurzelwerk mit Pilzen vernetzt. Eine solche Symbiose von Pflanzen und Pilzen wird als „Mykorrhiza“ bezeichnet. Sehr oft ist sie für beide Partner vorteilhaft: Während Pilze die Pflanze mit Mineralien und Wasser beliefern, versorgt die Pflanze die Pilze mit kohlenstoffhaltigen Nährstoffen, die sie zuvor durch eigene Photosynthese erzeugt hat. Doch es kommt auch vor, dass Pflanzen die mit ihnen vernetzten Pilze einseitig ausbeuten. Dann entziehen sie ihren Pilzpartnern organische Nährstoffe, statt sie durch Photosynthese selbst zu produzieren. Diese Nährstoffe wurden beispielsweise von Bäumen an die Pilze abgegeben und werden nun von einer dritten Pflanze mithilfe eines unterirdischen Wurzelnetzwerks gleichsam angezapft. Solche Pflanzen werden daher „mykoheterotroph“ genannt. Bekanntestes Beispiel sind die Orchideen: Weil sie sich über unterirdische Wurzel-Netzwerke teilweise oder vollständig von Pilzen ernähren lassen, sind sie nicht ausschließlich auf Photosynthese angewiesen. So können sie sogar im dunkelsten Schatten von Wäldern gedeihen.
Rund 80 Prozent aller grünen Pflanzenarten betreiben allerdings eine Form der Mykorrhiza, von der die Forschung bisher angenommen hat, dass sie immer mit fairen Austauschbeziehungen zwischen Pflanzen und Pilzen einhergeht. Bei dieser „arbuskulären Mykorrhiza“ – so glaubte man – wären die grünen Pflanzen immer vollständig autotrophe Partner, die lebenswichtige organische Nährstoffe selbst produzieren und teilweise an ihre Pilzpartner abgeben. Aber die jetzt veröffentlichten Untersuchungen an der Vierblättrigen Einbeere (Paris quadrifolia) widerlegen diese pauschale Annahme. Die Bayreuther Forscher konnten zweifelsfrei nachweisen, dass diese Pflanze einen Teil ihrer kohlenstoffhaltigen Nährstoffe von Pilzpartnern bezieht.
Die Einbeere als Prototyp
„Diese Erkenntnis könnte für die Botanik weitreichende Folgen haben“, erklärt der Bayreuther Biologe Prof. Dr. Gerhard Gebauer, der die Forschungsarbeiten koordiniert hat. „Denn die Fachwelt unterscheidet zwischen zwei Formen einer arbuskulären Mykorrhiza, die jeweils von etwa 40 Prozent aller Pflanzenarten betrieben werden. Die Einbeere gilt in gewisser Weise als Modell für eine dieser beiden Formen einer pflanzlichen Symbiose mit Pilzen. Insofern steht sie prototypisch für weit mehr als ein Drittel aller Pflanzenarten. Von daher drängt sich die Frage auf, ob die Zahl der Pflanzenarten, die auf Kosten von Pilzen leben, möglicherweise viel höher ist, als man bisher geglaubt hat. An einer weiteren Pflanze mit arbuskulärer Mykorrhiza, dem Buschwindröschen, haben wir bereits ebenfalls eine mykoheterotrophe Lebensweise entdecken können“, so der Bayreuther Biologe.
Parallel dazu haben die Forscher analoge Untersuchungen am Gefleckten Aronstab (Arum maculatum) durchgeführt. Diese Pflanze gilt als prototypisch für die zweite Form der arbuskulären Mykorrhiza, die von zahlreichen landwirtschaftlichen Nutzpflanzen bevorzugt wird. Sie verhält sich eindeutig autotroph und versorgt sich durch Photosynthese mit allen kohlenstoffhaltigen Nährstoffen, die sie benötigt.
Hintergrund
Die Forschungsergebnisse zur mykoheterotrophen Lebensweise der Einbeere beruhen auf Isotopen-Untersuchungen. Schon seit langem ist bekannt, dass Pflanzen, die von Pilzen mit Kohlenstoff und Stickstoff versorgt werden, einen vergleichsweise hohen Anteil an schweren Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Stickstoff-Isotopen aufweisen. In autotrophen Pflanzen ist der Anteil dieser Isotopen geringer. Das Labor für Isotopen-Biogeochemie am Bayreuther Zentrum für Ökologie und Umweltforschung (BayCEER) ist darauf spezialisiert, Nährstoff-Flüsse innerhalb von Ökosystemen mithilfe von Isotopen aufzuklären.
Veröffentlichung
Philipp Giesemann et al.: Discreet heterotrophs: Green plants that receive fungal carbon through Paris-type arbuscular mycorrhiza. The New Phytologist (2020), DOI: http://dx.doi.org/10.1111/nph.16367
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