„Blutige Entlassungen“ aus dem Krankenhaus – mögliche Folge des MDK-Reformgesetzes?
Der Fall ging durch die Presse: Ein 81-jähriger demenzkranker Mann aus Schwabach sollte mit einem Krankenwagen nach Klinikaufenthalt nach Hause gebracht werden, aber die Angehörigen waren trotz Ankündigung nicht da. Es folgte eine vierstündige Irrfahrt. Sven Oelkers, Geschäftsführer des Klinikums Forchheim-Fränkische Schweiz, sieht die Gefahr, dass sich solche und ähnliche Situationen wiederholen durch die Reform des Medizinischen Dienstes der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen (MDK). Das MDK-Reformgesetz wurde am 7.11.2019 verabschiedet und tritt am 1.01.2020 in Kraft.
Die Idee, die hinter der Reform steht, ist sinnvoll: Die Dienste, die die erbrachten Krankenhausleistungen prüfen sowie deren Abrechnung mit den Krankenkassen, sollen künftig als eigenständige Körperschaften des öffentlichen Rechts einheitlich unter der Bezeichnung „Medizinische Dienste“ (MD) geführt werden und damit unabhängiger von den Krankenkassen werden. Die Krux steckt im Detail des Änderungsantrages von CDU/CSU und SPD: Bei einer Korrektur der Krankenhausrechnung soll nun eine Art Strafaufschlag fällig werden. Martin Schmid, Geschäftsführer des Klinikum Fichtelgebirge in Marktredwitz, kommentiert: „Wir waren ja durchaus mit dem ursprünglich vorgesehenen Referentenentwurf einverstanden, der geeignet war den Prüfwahn der Kassen in geordnete Bahnen zu lenken. Es ist legitim eine Rechnung zu überprüfen, das macht ja jeder. Sollte eine Rechnung fehlerhaft oder ungerechtfertigt ergangen sein, soll sie eine Korrektur nach sich ziehen. Mit den eingebrachten Änderungen werden jedenfalls die Krankenhäuser und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kriminalisiert.“
Patienten ins Nirgendwo entlassen
„Nochmals für die Abgeordneten betont: Nachgewiesen ist, dass die überwiegende Anzahl aller vom MDK geprüften Rechnungen korrekt ist. Moniert werden überwiegend solche Rechnungen, bei denen tatsächlich erbrachte Leistungen von den Prüfern in Frage gestellt werden – etwa, wenn ein Patient angeblich auch ambulant hätte behandelt oder eher entlassen werden können. Grund dafür sind häufig fehlende Kapazitäten im ambulanten Bereich – ein wachsendes Problem. Wir können diese Patienten nicht ins Nirgendwo entlassen, wenn sie weitere ambulante Betreuung benötigen, die aber nicht verfügbar ist“, so der Präsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD), Dr. Josef Düllings.
Strafaufschläge kriminalisieren das Krankenhaus, das seinen Patienten mehr Zeit lässt
Dies sieht auch Sven Oelkers für den Landkreis Forchheim: „Der Sozialdienst bei uns im Klinikum gibt sein Bestes, aber nicht immer ist die passende ambulante Nachbehandlung verfügbar. Gerade in stark belegten Abteilungen wie der Inneren Medizin ist die durchschnittliche Verweildauer unseres Klinikums höher als der vorgegebene Wert des InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus). Ein Großteil der strittigen Rechnungen bezieht sich daher auf die Aufenthaltsdauer unserer Patienten, die wir länger auf Station behalten, weil ihre Weiterversorgung nicht gesichert ist. Schon jetzt nehmen wir in Kauf, dass das Klinikum für diese Leistung nicht vergütet wird. Die Strafaufschläge verstärken den Druck. Das kann nicht im Interesse des kranken Menschen sein!“
Mangel an Kurzzeitpflegeplätzen
Martin Schmid, Geschäftsführer des Klinikum Fichtelgebirge in Marktredwitz beschreibt die Konsequenzen: „Der Druck auf unser Entlassmanagement würde sich durch die Strafregelung mehr als nur ungerechtfertigt deutlich erhöhen. Die Mitarbeiterinnen kämpfen schon seit langem mit der Situation, dass sie die Patientinnen und Patienten nur sehr schwer noch in weiterbetreuende Einrichtungen im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt vermitteln können. Insbesondere fehlen Kurzzeitpflegeplätze. Die Suche erstreckt sich mittlerweile auf einen Radius von 50 km. Inzwischen sind 25 bis 35 Anrufe notwendig, um unsere Patienten in eine weiterbetreuende Einrichtung zu vermitteln. Sollte der Passus der Strafzahlungen für solch gelagerte Fälle nicht zurückgenommen werden, sehen wir Krankenhäuser uns dazu genötigt die Patienten in die Obhut ihrer Angehörigen zu übergeben. Wir können es nicht hinnehmen, dass wir für erbrachte Leistungen, die im Zuge einer den politisch Verantwortlichen durchaus bekannten Versorgungslücke erbracht werden, auch noch mit Strafzahlungen belegt werden. Insbesondere darf jetzt nicht das Problem der drohenden Strafzahlungen auf dem Rücken unseres Entlassmanagements ausgetragen werden.“
Schlichtungsstelle und Strukturprüfung
Weitere Elemente der Reform sind die Bildung einer Schlichtungsstelle und die Strukturprüfung, die die Einzelfallprüfung ersetzten. Dazu sagt Martin Schmid:
„ Es steht zu befürchten, dass Schlichtungssprüche die gewünschte Wirkung nicht erzielen und der Klageweg beschritten wird. Alle Maßnahmen, die eine Rücklaufquote aus unseren Rechnungsbeträgen an die Kassen gefährden könnten, werden bekämpft. Die Kassen haben ein gewisses Aufkommen bereits in ihren Wirtschaftsplänen verankert und werden nichts unversucht lassen, diese Rücklaufquote auch zu erzielen. Wenn dem MDK-Reformgesetz, so wie es nun verabschiedet wurde, nicht deutlich etwas entgegengesetzt wird, so ist mit einer Flut von Rechtstreitigkeiten und aufgrund ausbleibender liquider Mittel mit vermehrten Insolvenzen zu rechnen.“
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