Bayreuther Forscher entdecken stabiles hochenergetisches Material
Weltweit werden für die Langstrecken-Raumfahrt hochenergetische Materialien gesucht, die sehr große Mengen chemischer Energie speichern und bei Bedarf freisetzen können. Stickstoffverbindungen, in denen mehrere Stickstoffatome durch einfache Bindungen verkettet sind, besitzen diese Fähigkeit. Verbindungen dieser Art sind schwierig zu synthetisieren, denn sie sind äußerst instabil. Wissenschaftler der Universität Bayreuth haben jetzt unter extrem hohen Drücken und Temperaturen ein neuartiges Polynitrogen entdeckt, das unter normalen Raumbedingungen stabil bleibt. In der Zeitschrift „Nature Communications“ stellen sie ihre Entdeckung vor.
Das Bayreuther Team unter der Leitung von Dr. Dominique Laniel hat eine Mischung von metallischem Magnesium (Mg) und Stickstoff (N₂) in einer Diamantstempelzelle eingelagert. Anschließend wurde die Mischung einer Temperatur von 2.000 Kelvin (mehr als 1.700 Grad Celsius) und einem Druck von 50 Gigapascal ausgesetzt. Dieser Druck entspricht dem 500.000fachen Druck der Erdatmosphäre. Unter den extremen Druck- und Temperaturverhältnissen bildeten sich sehr ungewöhnliche Kristalle aus Magnesium und Stickstoff, wie sich bei Experimenten an der Röntgenquelle PETRA III des Deutschen Elektronensynchrotrons (DESY) in Hamburg herausstellte. Die Forscher entdeckten unter anderem Kristalle mit der Summenformel Mg₂N₄, die sich aus Magnesium-Kationen (Mg²+) und Stickstoff-Anionen (N₄⁴–) zusammensetzen. Bei diesen Stickstoffmolekülen handelt es sich um homogene Polynitrogene: Vier Stickstoffatome sind durch einfache Bindungen verkettet und bilden eine hufeisenförmige Struktur. Diese Polynitrogene sind niemals zuvor synthetisiert worden, weder durch Hochdrucktechniken noch durch konventionelle chemische Verfahren.
„Wir waren überrascht, als wir feststellten, dass diese in die Kristallstrukturen eingelagerten Stickstoff-Anionen bei normalem Luftdruck und normalen Zimmertemperaturen stabil bleiben. Das N₄⁴–-Molekül ist erst das vierte bekannte Polynitrogen, und es ist bislang das einzige, das nur durch Hochdruckverfahren hergestellt werden kann“, sagt Dr. Dominique Laniel. Die Bayreuther Forscher sind zuversichtlich, dass ein Verfahren zur Synthese von Polynitrogenen entwickelt werden kann, die nur aus Stickstoff bestehen. Dann liegt ein hochenergetisches Material vor, das für eine Vielzahl industrieller Anwendungen und vor allem auch als Energiequelle für die Langstrecken-Raumfahrt hochattraktiv ist. „Wer Treibstoff sucht, um zum Mars zu fliegen, sollte sich in Zukunft bei den Polynitrogenen umsehen“, sagt Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia vom Bayreuther Labor für Kristallographie.
Allerdings muss für diese Anwendungen noch eine entscheidende Hürde überwunden werden: Bisher lassen sich die Magnesium-Stickstoff-Kristalle, in denen die hochenergetischen Stickstoff-Anionen enthalten sind, nur in sehr geringen Mengen unter extremen Drücken und Temperaturen im Labor herstellen. Ein Verfahren zur Synthese im Industriemaßstab gibt es bisher noch nicht. „Es ist aber durchaus möglich, dass sich die bei unseren Hochdruckexperimenten entstandenen stabilen Kristalle als Blaupause eignen, um sie eines Tages mit anderen, technisch weniger anspruchsvollen Verfahren nachzubauen. Die experimentelle Hochdruck-Forschung leistet insofern Pionierarbeit bei der Suche nach hochenergetischen Materialien“, meint Laniel. „Mit den jetzt in ‚Nature Communications‘ veröffentlichten Forschungsergebnissen steht die Tür weit offen, um mit den Verfahren der Hochdruckforschung neue hochenergetische Materialien herzustellen, von denen wir heute noch nicht wissen, dass es sie überhaupt geben kann“, ergänzt Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky vom BGI.
Veröffentlichung:
Dominique Laniel et al.: Synthesis of magnesium-nitrogen salts of polynitrogen anions. Nature Communications (2019), DOI: 10.1038/s41467-019-12530-w
Die Herausgeber von „Nature Communications“ haben diesen Forschungsbeitrag als wissenschaftliches Highlight gelistet: www.nature.com/ncomms
Forschungsförderung:
Dr. Dominique Laniel ist 2019 als Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung an die Universität Bayreuth gekommen. Hier forscht er bei Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia am Laboratorium für Kristallographie und bei Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky am Bayerischen Geoinstitut. Die Forschungsarbeiten in Bayreuth, die jetzt zur der Publikation in „Nature Communications“ geführt haben, wurden überdies gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Kooperationspartner:
Zusammen mit dem Forschungsteam an der Universität Bayreuth haben auch Wissenschaftler des Deutschen Elektronensynchrotron in Hamburg und der Goethe-Universität Frankfurt am Main an der neuen Studie mitgewirkt.
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