Tourismus oder dauerhafte Besiedlung: Bayreuther Modellstudie zeigt unterschiedliche Folgen für die Tierwelt an Küsten
Küsten sind Lebensräume für viele bedrohte Arten und haben deshalb einen hohen ökologischen Wert. Von den Menschen werden sie auf sehr unterschiedliche Weise genutzt: als dauerhafte Siedlungsgebiete oder als touristische Reiseziele. Forscher der Universität Bayreuth haben jetzt erstmals in einer Modellstudie auf den Malediven nachweisen können, dass diese Formen der Küstennutzung jeweils unterschiedliche ökologische Folgen haben. Dabei wurden Einsiedlerkrebse als Fallbeispiel verwendet. In der Zeitschrift Scientific Reports stellen die Wissenschaftler ihre Untersuchung vor.
Wissenschaftliche Studien zu der Frage, wie der Mensch natürliche Lebensräume in Küstenregionen beeinflusst, stehen vor einem grundsätzlichen Problem: In vielen Fällen werden Küsten gleichzeitig auf sehr unterschiedliche Weise bewirtschaftet. Sie dienen der einheimischen Bevölkerung als Siedlungsraum, während die Tourismusbranche mit modern ausgestatteten Hotels und weißen Badestränden ein internationales Publikum anlockt. Dadurch lässt sich nicht genau ermitteln, wie sich diese Formen der Landnutzung in Bezug auf ihre ökologischen Folgen unterscheiden. Die Inselgruppe der Malediven bietet dagegen einen großen Vorteil: Unterschiedliche Formen der Landnutzung verteilen sich hier auf separate Inseln. Zugleich weisen diese tropischen Inseln nahezu gleiche klimatische und geologische Bedingungen auf. „Deshalb sind die Malediven geradezu ein ideales Modellsystem, um verschiedenartige anthropogene Einflüsse auf die Tierwelt in Küstenregionen zu identifizieren“, sagt Sebastian Steibl M.Sc., Erstautor der jetzt veröffentlichten Studie.
Die Forscher unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Laforsch, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Tierökologie innehat, haben sich auf den Malediven drei Typen von Inseln genauer angesehen: von der einheimischen Bevölkerung besiedelte Inseln ohne Tourismus, ausschließlich touristisch genutzte Inseln und unbewohnte Inseln. Als Modellorganismus wählten sie dabei Einsiedlerkrebse. „Diese kleinen Tierchen sind weltweit verbreitete Küstenbewohner mit einer wichtigen ökologischen Funktion: einerseits fressen Einsiedlerkrebse angespültes organisches Material aus dem Meer, andererseits werden sie selbst von größeren landlebenden Räubern gefressen. Deshalb bilden sie ein entscheidendes Bindeglied zwischen Meer und Inland“, erklärt Laforsch.
Die Forschungsarbeiten förderten auffällige Unterschiede zutage:
- An touristisch genutzten Küsten leben weniger Einsiedlerkrebse. Dieser Rückgang der Populationen um 80 bis 85 Prozent ist vor allem dadurch bedingt, dass feine Sandstrände künstlich aufgeschüttet werden und angespültes organisches Material mechanisch entfernt wird. So führt das touristische Ideal ‚sauberer‘ Strände dazu, dass die küstenbewohnenden Tiere ihre Nahrungsgrundlage verlieren und ihr Lebensraum kleiner wird. Eine dauerhafte Besiedlung ohne Tourismus hat hingegen keinen negativen Einfluss auf die Populationsgröße. Dies gilt allerdings nur für die naturbelassenen Küstenabschnitte der besiedelten Inseln, die ebenso wie die Küsten unbewohnter Inseln große Mengen organischen Materials, zum Beispiel Seegras, enthalten. Viele Küstenabschnitte besiedelter Inseln sind heute jedoch zum Schutz vor Erosion mit Befestigungen aus Beton verbaut, so dass auch hier der natürliche Lebensraum für die Krebse geschrumpft ist.
- An den Küsten dauerhaft besiedelter Inseln weisen die Einsiedlerkrebse eine um 10 bis 20 Prozent kleinere Körpergröße auf. Auf der Suche nach einer Erklärung haben die Forscher beobachtet, dass die Krebstiere von der einheimischen Bevölkerung – wie in vielen anderen Ländern auch – als Angelköder verwendet werden. Dabei werden, so vermuten sie, hauptsächlich die größeren Tiere abgesammelt, sodass nur noch kleinere Individuen zurückbleiben. „Ähnlich wie es der kommerzielle Fischfang bereits bei vielen Fischarten verursacht hat, könnte das größenselektive Absammeln auch bei den Einsiedlerkrebsen bewirkt haben, dass ihre Populationen auf den dauerhaft besiedelten Inseln mittlerweile kleinere Individuen enthalten“, erklärt Steibl.
Damit zeigt die Modellstudie beispielhaft, dass zwei Formen der Landnutzung ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Organismen haben können. „Daraus ergibt sich für die weitere Forschung die Notwendigkeit, die ökologischen Folgen menschlicher Landnutzung so differenziert wie möglich aufzuschlüsseln. Nur so lassen sich wirksame Umweltschutzmaßnahmen entwickeln, die spezifisch auf die jeweilige Landnutzungsform zugeschnitten sind. Dies gilt insbesondere für die Küstenregionen, die am stärksten von der wachsenden Weltbevölkerung betroffen sind, denn 50 bis 75 Prozent der Weltbevölkerung leben heute in direkter Nähe oder unmittelbar an Küsten“, resümiert Laforsch.
Veröffentlichung:
Steibl, S., & Laforsch, C.: Disentangling the environmental impact of different human disturbances: a case study on islands.
Scientific Reports (2019), DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41598-019-49555-6
Forschungsförderung:
Die Forschungsarbeiten von Sebastian Steibl wurden aus dem Max Weber-Programm des Freistaats Bayern gefördert, derzeit ist er Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes.
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