480.000 Euro vom Bund: Stadtwerke Bamberg erforschen Versorgung für Konversionsquartier „Lagarde“
Auf dem Bamberger Konversionsquartier „Lagarde“ soll eines der innovativsten Wärme- und Energieversorgungssysteme Deutschlands entstehen. Mindestens 50 Prozent des Energiebedarfs soll aus regenerativen Quellen stammen. Ob das ambitionierte Projekt realistisch ist, wird eine Machbarkeitsstudie klären, die mit rund 480.000 Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert wird.
Geht es nach den Vorstellungen eines Konsortiums aus Stadtwerken Bamberg, dem Kasseler Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE), der Universität Bamberg und der BUILD.ING Consultants + Innovators GmbH (BCI) aus Nürnberg könnte die Energie für das 20 Hektar große Lagarde-Quartier mit seinen ensemblegeschützten Backsteingebäuden schon in wenigen Jahren zum größten Teil aus regenerativen Quellen stammen. „Wärme aus der Erde und Strom vom Dach, Energieverbraucher und -erzeuger vollständig digital vernetzt – und Mobilitätsangebote, die die Anschaffung eines eigenen Autos überflüssig machen“, schwärmt Projektleiter Stefan Loskarn von den Stadtwerken Bamberg: „Unser Ziel ist eine integrierte Lösung für eine umweltfreundliche, bedarfsgerechte und zukunftssichere Quartiersversorgung – nicht nur mit Energie, sondern auch mit Mobilitätsangeboten und Telekommunikationslösungen“.
Machbarkeitsstudie soll Realisierbarkeit klären
Wie realistisch die Visionen sind, wird eine Machbarkeitsstudie analysieren, die insbesondere das Potenzial und die Wirtschaftlichkeit eines Wärmenetzes der vierten Generation untersucht. Dieses zeichnet sich durch einen besonders hohen Nutzungsgrad an erneuerbaren Energien aus. Der wird durch die Nutzung von Speichern, Sektorenkopplung sowie intelligente Vernetzung aller vorhandenen Gebäude und Anlagen erreicht. Vorgabe ist, dass mindestens 50 Prozent der Wärme regenerativ – am besten vor Ort – erzeugt werden; nur zur Abdeckung von Spitzen und Absicherung der Versorgung soll das in der Nähe liegende Fernwärmenetz eingesetzt werden.
Wohnraum, Gewerbe, Dienstleistungen und Kultur auf 20 Hektar
Mit einer Fläche von 20 Hektar ist das Lagarde-Quartier im Bamberger Osten eines der größten innerstädtischen Infrastrukturprojekte Deutschlands. Wo bis zum Jahr 2014 die US Army stationiert war, sollen in den kommenden Jahren bezahlbarer Wohnraum für 1.000 Menschen entstehen und Flächen für Gewerbe, Dienstleistungen, Kultur und soziale Einrichtungen geschaffen werden. Bereits 2017 hat die bundesweit größte staatsanwaltschaftliche Spezialeinheit zur Verfolgung von Cybercrime, die Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg ihren Dienst aufgenommen. Im Dezember 2018 startet hier das Digitale Gründerzentrum „Lagarde1“ seine Arbeit. Oberbürgermeister Andreas Starke: „Die Lagarde soll in mehrfacher Hinsicht Vorbildcharakter bekommen: Zum einen wegen seiner Nutzung als Wohn-, Arbeits- und Lebensraum – aber auch wegen seines innovativen Energie- und Mobilitätskonzepts, das die Stadtwerke Bamberg im Auftrag der Stadt entwickeln und umsetzen werden.“
Einheitliches Wärmesystem für Bestands- und Neubauten
Die Herausforderung im Fall Lagarde besteht darin, dass eine solche Infrastruktur nicht „auf der grünen Wiese“ mit modernen Neubauten, sondern innerhalb einer bestehenden städtischen Infrastruktur und einer vorhandenen Gebäudestruktur aufgebaut werden muss. Da das Gelände mitten in der Stadt liegt, gibt es keine Optionen, Flächen außerhalb zur Erzeugung von Energie zu nutzen. „Unsere zweite Herausforderung besteht darin, dass die bestehenden Altbauten ebenso in das Wärmesystem integriert werden müssen wie modernste Neubauten mit gänzlich anderen Wärmebedarfen“, sagt Dr. Michael Fiedeldey, Geschäftsführer der Stadtwerke. „Die Förderzusage des BMWi für das „Modellvorhaben Wärmenetzsystem 4.0“ schafft uns daher Spielraum, das energetische Konzept für die Quartiersentwicklung ganz neu zu denken.“ Bereits im kommenden März sollen die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie vorliegen und als Basis für die Umsetzung dienen.
Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen
Gegenstand der Untersuchungen ist einerseits die Frage, welche Art der Energieerzeugung ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist. Denkverbote gibt es keine: „Vieles ist möglich – zum Beispiel die Energiegewinnung aus Erdwärme, die Nutzung von Abwärme aus Abwasser oder Industrie oder die Wärmeerzeugung über Solarthermie“, sagt Loskarn. Wo immer möglich, wolle man auch Photovoltaikmodule installieren und zum festen Bestandteil des Energiekonzepts machen.
Neben der regenerativen Energieerzeugung wird als zweiter Baustein des innovativen Energiekonzepts für das Lagarde-Quartier auch die effiziente Speicherung und Verteilung der vorhandenen Energie untersucht. Mittels Sektorenkopplung soll die Energie besonders effizient bereitgestellt werden: „Wir wollen Strom- und Wärmenetze und den Mobilitätssektor miteinander verzahnen“, erklärt Loskarn: „Produzieren die Photovoltaikanlagen tagsüber mehr Strom als in den Gebäuden gebraucht wird, kann er beispielsweise für das Laden der Elektrofahrzeuge genutzt werden.“ Grundlage für solche innovativen Lösungen ist die Vernetzung von Gebäudetechnik, Energiespeicher sowie den zentralen und dezentralen Erzeugern und Verbrauchern über eine Glasfaserinfrastruktur und die nötige Intelligenz in Regelungskonzepten.
Arbeitsteilung bei der Untersuchung
Bei der Durchführung der Machbarkeitsstudie erhalten die Stadtwerke Bamberg Unterstützung von mehreren Partnern: Das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) ist zuständig für die Berechnung der Wärme- und Kühlbedarfe, die Auslegung großer Wärmespeicher sowie der technischen Bewertung der Trinkwarmwassersysteme. Darüber hinaus betrachtet das Fraunhofer IEE sektorkoppelnde Systeme, die das Zusammenspiel des Strom- und Wärmenetzes sowie der Elektromobilität wesentlich verbessern sollen. „Insbesondere die möglichst genaue Vorhersage sowie die gemeinsame Betrachtung zukünftiger Bedarfe in den Sektoren Strom und Wärme ist für eine zukunftweisende Energieversorgung in Quartieren wesentlich“, sagt Jan Kaiser vom Fraunhofer-Institut.
„Die BUILD.ING Consultants + Innovators GmbH hat im Vorfeld bei der Einwerbung der Fördermittel beim Bundeswirtschaftsministerium unterstützt“, sagt der Geschäftsführer der BCI, Andreas Kupfer. Nach Bewilligung der Studie analysiert die BCI die unterschiedlichen Versorgungskonzepte und koordiniert die Machbarkeitsstudie inhaltlich. „Die Möglichkeit, das Energiekonzept für ein solch herausragendes Infrastrukturprojekt mit wissenschaftlichen Denkmethoden zu erarbeiten und damit den Beweis anzutreten, dass die Energiewende auch vor dem innerstädtischen Raum nicht Halt macht, stellt für jeden Ingenieur eine Besonderheit dar“, so Dr. Volker Stockinger, Projektkoordinator im Auftrag der BCI. „Der Lagarde-Campus ist ein Leuchtturmprojekt mit Vorbildcharakter für andere innerstädtische Großprojekte mit vielen Vorteilen für die späteren Nutzer, Betreiber und darüber hinaus auch für die Umwelt.“
Prof Dr. Astrid Schütz von der Universität Bamberg will mit ihrem Forschungsteam sicherstellen, dass die entwickelten Lösungen nicht an dem Bedarf der zukünftigen Nutzer des Lagarde-Quartiers vorbeigehen. „Es ist uns wichtig, vorab die Bedarfe zu erfassen und die Akzeptanz für unterschiedliche Optionen zu prüfen. So besteht die Chance, die Projektplanungen auf die Lebensentwürfe der unterschiedlichen Gruppen im Quartier auszurichten. Idealerweise kann dadurch letztlich eine aktives Viertel mit gemeinsamer Identität entstehen“, sagt die Psychologin von der Universität Bamberg.
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