Sonntagsgedanken: Der barmherzige Samariter
Lukasevangelium Kapitel 10 V. 25 – 37, Teil I
Unser Text ist neben der Weihnachtsgeschichte der schönste, der bekannteste der ganzen Bibel, aber auch derjenige, den man am wenigsten beherzigt. Vor Jahren starb in München eine blinde Frau bei einem tragischen Verkehrsunfall. Sie wollte die U-Bahn besteigen, erwischte aber den Spalt zwischen Wagen und Bahnsteig, stürzte auf die Geleise, und, da ihr niemand half herauszukommen, da niemand den Alarmknopf drückte, wurde die arme Frau von der anfahrenden U-Bahn zerquetscht. Diese schlimme Begebenheit hat mich nicht nur deshalb aufgewühlt, weil ich selbst blind bin, sondern weil mir an diesem Vorkommnis erneut deutlich wurde, dass der Hauptfehler, die größte Sünde von uns Menschen nicht die Bosheit ist, sondern die Gleichgültigkeit.
Freilich ist die Sache nicht immer so eindeutig. Was heißt denn das eigentlich „Nächstenliebe“? Ein jüdischer Rabbi erzählt: Mehrere Landwirte saßen im Wirtshaus und tranken ihren Wein. Nach ein paar Gläsern fragte einer den andern: „Hast Du mich lieb?“ Der antwortete: „Natürlich. Ich bin doch gläubig.“ Der andere aber hakte nach: „Wie kannst Du sagen, dass Du mich liebst, wenn Du gar nicht weißt, wie es mir geht, ob mir etwas fehlt?“
Nicht immer ist die Notlage so offensichtlich wie bei der verunglückten Frau. Mancher gibt sich stolz und lebensfroh, meint, man dürfe sich keine Blöße geben, aber in Wahrheit quälen ihn Ängste und Sorgen. Manche Familie wirkt nach außen intakt, ja vorbildlich, doch in Wirklichkeit..! Da braucht es viel Einfühlungsvermögen, Aufmerksamkeit und Geduld, um die wahre Not zu spüren, um vorsichtig nachzufragen. Härter als Stahl und Beton sind die Vorurteile zwischen den Menschen, die Scham, der falsche Stolz.
Der Schriftgelehrte aus unserem Text war sich nicht zu stolz, um diesen skandalumwitterten Wanderprediger namens Jesus um Rat zu fragen. Wenden wir uns so wie dieser Unbekannte an Jesus? Sind wir überhaupt bereit, auf ihn zu hören im Lesen der Heiligen Schrift, im Gebet?
Weitere Sonntagsgedanken
Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
Infos zu Christian Karl Fuchs:
- geb. 04.01.66 in Neustadt/Aisch
- Studium der evang. Theologie 1985 – 1990 in Neuendettelsau
- Vikariat in Schornweissach-Vestenbergsgreuth 1993 – 1996
- Promotion zum Dr. theol. 1995
- Ordination zum ev. Pfarrer 1996
- Dienst in Nürnberg/St. Johannis 1996 – 1999
- seither in Neustadt/Aisch
- blind
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