Das 68. FESTIVAL JUNGER KÜNSTLER BAYREUTH – Eine sommerfrische Nachbetrachtung der Intendantin

„Die richtigen Fragen“ …

Haben wir uns mit unserem Motto „Roots to the Future. Reloaded“ auf dem richtigen Pfad bewegt? In der heutigen Zeit, in der aus verschiedenen Gründen eine zunehmende Sehnsucht nach Sicherheit besteht, haben junge Teilnehmer auf unserem Festival zu Recht Fragen nach einer offenen Gesellschaft gestellt. Aus dem Bewusstsein und der Bewusstwerdung ihrer eigenen kulturellen Wurzeln setzten die Teilnehmer aus aller Welt auch in diesem Jahr wieder Akzente der Toleranz, der Unvoreingenommenheit, der Freiheit und – eines beherzten Miteinanders.

So war beispielsweise der Knabenchor aus Riga besonders von der langjährigen Tradition des Festivals sehr beeindruckt, aber auch von der kulturhistorischen Bedeutung der Stadt Bayreuth. Das Ensemble Kabatchok aus der Ukraine weckte bei Open Air-Aufführungen am Fichtelsee das Interesse für die charakteristische Musik ihrer Heimat: Heimat einmal anders – unter dem Blickwinkel von Gästen. Auch acht junge Chinesen faszinierten mit traditionellen Klängen: ein ungewöhnliches Erlebnis, als die Interpreten aus dem Reich der Mitte ihre musikalischen Wurzeln mit europäischer Musik verbanden. Gemeinsam mit dem Publikum und der Orgel intonierten sie in der Reihe „Pilgerpfade ins Paradies“ in der Markgrafenkirche Thurnau das Lied „Lobet den Herren, den mächtigen König“. Nur zwei Beispiele aus unserem umfangreichen Veranstaltungsprogramm, die sich allerdings beliebig verlängern ließen.

„Kulturhistorischer Glutkern Bayreuth – wie viel gesellschaftspolitische Verantwortung haben die Kreativen?“

„Kinder schafft Neues“ – so lautet einst eine später vielzitierte Forderung Wagners. Beim 68. FESTIVAL JUNGER KÜNSTLER BAYREUTH wurde dieser Slogan gelebt. In der Uraufführung „Passio – Compassio“ begegneten sich junge Musiker, die zunächst vielleicht sogar gegeneinander Vorbehalte hatten. Und das alles in einer provokanten Mischung bei Musik von Kurt Weill zu Texten von Bertolt Brecht. Bei Monteverdis Marienvesper trafen Chöre mit unterschiedlichen Musiktraditionen aufeinander und schufen ein überzeugendes ästhetisches Gemeinschaftswerk. Ein weiterer Akt der Völkerverständigung: Der Auftritt von israelischen Künstlern, die durch eine neue Kooperation erstmals beim Festival vertreten waren.

„Rasender Stillstand – Gefahr für unsere Gesellschaft?“

Roots to the Future. Reloaded. Dieses Motto spielte nicht nur bei musikimmanenten Fragen und der Programmgestaltung eine Rolle, sondern auch bei der Festivalorganisation. Wie in jedem Jahr wurde sie auch diesmal wieder maßgeblich von Stepping Stone-Studenten übernommen – mit Fachkräften und Senior-Partnern im Hintergrund zur Unterstützung. Step by step konnten so die Qualität des Festivals und die Fähigkeiten der Teilnehmer gesteigert werden. Die Folge: eine positive Grundhaltung, bei der sich jeder aufgehoben fühlte.

„Was taugt ein Crossover in der Kunst?“

Alles und nichts. Uns hat es nicht gereicht, an der Oberfläche eines bloßen Crossover zu bleiben. Wir sind in die Tiefe zwischenmenschlicher Begegnung getaucht und konnten interessante Begegnungen machen. Dr. Ivanoff unterstrich mit der diesjährigen Uraufführung von „Passio – Compassio“, dass ein Vermischen der Genres, der musikalischen Stile und nationalen Ausprägungen eines durchdachten Konzepts bedarf. Mit Verve wurde dies umgesetzt. Gemeinsam. Die Begegnung von Menschen unterschiedlichster Kulturen war dabei – außer den künstlerischen Erlebnissen – das Ziel der Musik. Deshalb wurde „Passio – Compassio“ auch zu einem eindrucksvollen Erlebnis für das Publikum. Syrer, Bulgaren und Deutsche konnten Vorbehalte überwinden und lernten, sich gegenseitig zu akzeptieren: auf der Suche nach der eigenen Identität.

„Musik als Wirtschafts- und Standortfaktor: Nur planvolle Befriedigung der Bedürfnisse?“

Dass unser Festival mit zahlreichen Konzerten und Events ein wichtiger Standortfaktor ist, ist unbestritten. 561 Teilnehmer sowie viele Besucher schlugen sich auch in gestiegenen Umsätzen von Gastronomie, Hotels, Dienstleistungsunternehmen sowie dem Einzelhandel nieder.

Ein weiteres Plus: der weltweite Imagegewinn von Bayreuth als Kulturmetropole. Bei unseren Partnern aus der Wirtschaft konnten wir das Bewusstsein dafür schärfen, wie wertvoll unser Veranstaltungsreigen für den Standort Bayreuth ist. Das FESTIVAL JUNGER KÜNSTLER BAYREUTH – eine echte Wertschöpfung für unsere Region und Heimat! Die Auswertung von Interviews und viedeografischen Aufzeichnungen wird diesen Aspekt in den nächsten Wochen sicher einmal mehr unterstreichen.

„Wie notwendig ist Kunst im ländlichen Raum?“

Musik benötigt die Erhabenheit in Abgehobenheit!? Nicht immer!Junge Menschen konnten bei unserem Non-Profit-Festival niederschwellig – zum Teil erstmals – an Konzerte herangeführt werden. Für die Stepping Stone-Teilnehmer traf das zu, vor allem aber natürlich für die jungen Künstler, die ihrem Publikum an zum Teil ungewöhnlichen Orten nahe kommen konnten: Musik zum Anfassen.

Durch die neue Veranstaltungsreihe „Pilgerpfade ins Paradies“ rückten die Markgräflichen Kirchen als kulturhistorische Kleinode in den Mittelpunkt: „Roots tot he Future reloaded“- auch ein Festival auf Reisen! Junge Menschen aus der ganzen Welt und die heimische Bevölkerung durften erleben, wieviel künstlerische Energie und Musikgenuss in alten, kleinen Kirchen steckt: lebendige Kulturgeschichte.

„Das Weltzentrum der Musik Bayreuth – verschwindet eine Stadt hinter ihrem Theater?“

Nicht mit uns! Ein wesentliches Anliegen unseres Festivals ist es nach wie vor, nahe bei den Menschen zu sein. Und das sind in unserem Fall nun einmal die Bürger und Bürgerinnen Bayreuths, egal ob groß oder klein, ob jung oder alt. So konnten durch unsere Konzerte an 30 Veranstaltungsorten in und um Bayreuth erfahren, dass Musik keine abstrakte und abgehobene Angelegenheit sein muss, sondern vielmehr das unmittelbare Gegenüber des Zuschauers benötigt, um zum Leben zu erwachen: ein Miteinander, das über ein bloßes Musikereignis weit hinausgeht.

Die Uraufführung von „Friedelind: Eine Wagner“ wurde zum Stadtgespräch. Beim Bayreuther Abend kamen die Bürger, um mit uns zu feiern und junge Menschen aus der ganzen Welt kennen zu lernen: ein internationales Stelldichein mit Hilfe der Musik. Fazit: Wir sind in Bayreuth zu Hause und in der ganzen Welt.

Ausverkaufte Säle und Kirchen sowie ein Publikum, das den Künstlern zu Ihren Auftrittsorten nachreiste, bewiesen, dass unser Konzept aufging.

Müdigkeit? Nein. 2019 ist bereits in Planung. Soviel sei verraten: „Heimat“ wird eines der Themen sein, aber auch Orchester, Oper und neue Kompositionen … Auf Wiedersehn! Bis nächstes Jahr.