Offener Brief des BN zum Thema Wiesent-Kanusport

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Offener Brief an

  • Regierung von Oberfranken: Frau Regierungspräsidentin Heidrun Piwernetz
  • Landratsamt Forchheim: Herrn Landrat Dr. Hermann Ulm
  • Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz: Herrn Staatsminister Dr. Marcel Huber

Kanusaison Mai bis Juni 2018: BUND Naturschutz Kreisgruppe Forchheim zieht Bilanz

Einleitung und Rückblick

Für alle Bootsfahrer auf der Wiesent gilt die so genannte Verordnung der Regierung von Oberfranken über die Regelung des Gemeingebrauchs an der Wiesent und ihrer Nebengewässer (Link zum PDF) vom 11. Mai 2005, geändert durch Verordnung vom 9. April 2008. (vgl. Anhang: Link 1). Zusätzlich regelt noch eine Schifffahrtsgenehmigung des Landratsamtes Forchheim den Kanubetrieb für die kommerziellen Anbieter. Die Bund Naturschutz Kreisgruppe Forchheim hatte vor der Verlängerung der Schifffahrtsgenehmigung (betrifft nur den gewerblichen Kanubetrieb) durch das Landratsamt Forchheim für weitere 3 Jahre, bereits vor dem Beginn der Kanusaison am 1. Mai darum gebeten, den Beginn der Kanusaison auf den 15. Juni 2018 zu verlegen, um damit besonders die Vogelbrutzeiten und den europäisch verankerten Schutz der Wiesent als Flora Fauna Habitat (FFH) –Gebiet zu gewährleisten.

Schifffahrtsgenehmigung des Landratsamtes Forchheim

Im Rahmen der Schifffahrtsgenehmigung wurde neben den Fahrzeiten, der Kennzeichnungspflicht der Boote und einer Hochwasserregelung auch eine Niedrigwasserregelung festgesetzt. Diese Regelung legt fest, dass ab einem Pegelstand der Wiesent (Messtelle Muggendorf) unter 125cm in den Monaten Mai und Juni keine Stechpaddel, sondern nur Doppelpaddel verwendet werden dürfen. Unter einem Pegelstand von 120cm dürfen in den Monaten Mai und Juni nur noch geführte Touren erfolgen, das bedeutet, dass das gewerbliche Kanufahren nur mit einer „fachkundigen“ Begleitung durch die Kanuverleiher zulässig ist. Unter einem Pegelstand von 115cm besteht ein absolutes Befahrungsverbot, das für die gesamte Saison gilt. Für die Pegelhöhen ist jeweils der Mittelwert des Vortages ausschlaggebend. Wir erinnern an dieser Stelle kurz noch einmal an die Bedeutung der Wiesent als FFH-Gebiet und an den Status des Natura 2000 FFH-Gebietes 6233-371 „Wiesenttal mit Seitentälern“. Die Regierung von Oberfranken weist in dem Faltblatt „Naturerbe Bayern, Natura 2000, FFH-Gebiet 6233-371“ darauf hin: (…) „Bechsteinfledermaus, Bachneunauge, Eisvogel und viele weitere gefährdete Arten – es würde den Rahmen dieses Faltblatts sprengen, wollte man sie alle aufzählen. Soviel steht jedoch fest: das Wiesenttal ist eine der schönsten und artenreichsten Flusslandschaften unserer bayerischen Heimat, die zu erhalten unser aller Anstrengung erfordert.“

Fazit der BN Kreisgruppe Forchheim für die Monate Mai bis Juni 2018

In den letzten zwei Monaten haben zahlreiche Begehungen und Gespräche mit Kanufahrern, die Touren über die kommerziellen Anbieter gebucht haben, aber eine ernüchternde Bilanz hinterlassen. Das Fazit der BN Kreisgruppe Forchheim lautet: Die Schifffahrtsverordnung wird missachtet und ignoriert! Der Patient Wiesent liegt auf der Intensivstation! Ein Kollaps ist nur noch eine Frage der Zeit!

Darüber hinaus kann nicht nachvollzogen werden, wie die Vorgaben der Schifffahrtsverordnung umgesetzt werden sollen. Im Folgenden werden die Punkte unserer Bilanz aufgelistet:

Befahrungen dürfen ab einem Pegelstand unter 120cm nur mit „fachkundiger“ Begleitung durchgeführt werden. Es ist völlig unklar, welche „Fachkenntnisse“ hier die Begleitung der Touristen zu einem „fachkundigen Begleiter“ werden lassen. Die Idee, dass eine Begleitperson darauf achtet, dass nicht gegen das Ufer gefahren oder an nicht erlaubten Stellen ausgestiegen wird, ist natürlich positiv zu begrüßen und nachvollziehbar. Hat die fachkundige Begleitperson aber auch die artenschutzrechtlichen Kenntnisse über Brutplätze bzw. Brutzeiten und trifft sie im Ernstfall auch die Entscheidung, eine Fahrt abzubrechen oder gar nicht anzutreten, wenn beispielsweise durch ein dauerhaft störendes Vorbeifahren die junge Eisvogelpopulation von den Elternvögeln nicht gefüttert werden kann und daher eingeht? Welche Konsequenzen und Maßnahmen trifft die Begleitperson, wenn sich Teilnehmer nicht an die Regeln halten? Ein Verstoß gegen Regeln kann nämlich auch rechtliche Konsequenzen (Bußgeld bis zu 5000 EUR) nach sich ziehen.

Der BN fordert daher: Es muss für alle klar erkennbar sein, welche Sach- und Fachkenntnisse eine Begleitperson haben muss. Der Status der Begleitperson muss auch rechtlich überzeugend dargestellt werden können. Außerdem sehen wir einen Interessenskonflikt: Die Begleitpersonen sind bei den Kanuverleihern angestellt und werden mit hoher Wahrscheinlich keine Verstöße ahnden oder weitermelden. Daher besteht keine Rechtssicherheit in Bezug auf die Durchsetzung und konsequente Anwendung der rechtlichen Vorgaben. In der Konsequenz müssten unabhängige und dafür von behördlicher Seite geschulte Begleitpersonen eingesetzt werden.

Bei Gesprächen mit Kanutouristen (die Gelegenheit ergab sich bei Umstiegsstellen) wurde uns mitgeteilt, dass es zwar eine Einweisung von Seiten der Kanubetreiber hinsichtlich seichter Stellen und des richtigen Verhaltens auf dem Fluss gegeben habe (z.B. kein Ausstieg an nicht erlaubten Stellen), die Touristen aber in der Praxis diese Vorgaben nur schwer umsetzen konnten.

Hier einige Beobachtungen:

Man kann beim Fahren gar nicht erkennen, nach welcher Kurve oder nach welchem Gebüsch eine seichte Stelle kommt, um zu reagieren. Manchmal müssen Kanufahrer im Fluss aussteigen und die Boote bis zu einer tieferen Stelle ziehen. Man hält sich am Ufer fest, um auf die anderen zu warten.“

Mit dem Paddel wird geprüft, wie tief der Fluss an dieser Stelle ist. Einige Kanufahrer (Tagestouristen) teilen uns auch mit, dass sie nicht die Wiesent befahren hätten bzw. zu einem späteren Zeitpunkt gefahren wären, wenn sie gewusst hätten, dass hier eigentlich alles streng geschützt sei.

Eigentlich dürfen wir fahren wie wir wollen. Eine Begleitperson brauchen wir doch gar nicht. Wozu denn?

(Anmerkung: Diese Rückmeldung eines Touristen bei der Umtragestelle in Muggendorf wurde z.B. bei einem Wasserstand von unter 120cm aufgenommen und zeigt deutlich, dass die kommerziellen Anbieter, besonders an Wochenenden mit hohem Betrieb, gar nicht das Personal haben, um die Kanufahrer mit Begleitpersonen losfahren zu lassen. Trotzdem wurde der Fluss in dieser Zeit befahren. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die Schifffahrtsgenehmigung! Der jeweilige kommerzielle Anbieter trägt hierfür die Verantwortung.)

Der BN fordert daher: Die behördliche Verordnungen muss umgesetzt und durchgesetzt werden. An dieser Stelle ist uns folgende Erklärung sehr wichtig: Die Mehrzahl der Touristen kann die Vorgaben in der Praxis gar nicht umsetzen. Wir machen diesen Touristen daher auch keinen Vorwurf, da sie auf die „Vorgaben“ der kommerziellen Kanuverleiher vertrauen müssen.

Stechpaddel

Stechpaddel

Es gibt auch Verstöße gegen die Vorgabe, ab einem Pegelstand unter 125cm nur noch Doppelpaddel statt Stechpaddel an die Kanumieter auszugeben. Man begründet diese Vorgabe damit, dass damit die Unterwasservegetation besser geschützt werde, da mit einem Doppelpaddel nicht so tief ins Wasser eingetaucht werde. Im Anhang wird eine Bildaufnahme zeigen (siehe nebenstehendes Foto), dass bei einem Pegelstand von 119cm trotzdem Stechpaddel von den Betreibern an die Kanumieter ausgegeben worden sind. Wir erinnern an die TV-Interviews (zb. in der ARD-Mediathek) im Bayerischen Rundfunk, in denen einige Kanubetreiber versucht haben, öffentlichkeitswirksam die Vorteile der Doppelpaddel darzustellen. Die TV-Interviews zeigen deutlich, dass die Öffentlichkeit mit diesen Aussagen bewusst getäuscht worden ist!

Der BN fordert daher: Wir müssen leider erkennen, dass die finanziellen Interessen gegenüber den Vorgaben des Artenschutzes im europäisch geschützten FFH-Gebiet der Wiesent überwiegen. Ein Beginn der Kanusaison erst ab dem 15. Juni für die nächste Saison ist weiterhin eine unserer zentralen Forderungen.

Laut Schifffahrtsverordnung gibt es insgesamt für alle drei kommerziellen Anbieter eine Obergrenze für Bootsfahrten pro Tag. Im Monat Mai insgesamt 100 Fahrten, im Monat Juni insgesamt 120 Fahrten. So wurden an einem Wochenende allein bei einem Anbieter 300 zahlende Kanutouristen beobachtet. Diese Rechnung kann nicht aufgehen und zeigt einen weiteren gravierenden Verstoß gegen die behördlichen Vorgaben.

Stehpaddel

Stehpaddel

Die Schifffahrtsverordnung betrifft nur die kommerziellen Anbieter. Im gesamten Verlauf der Saison zwischen Mai und Juni haben private Kanufahrer trotzdem den Fluss an nicht erlaubten Stellen verlassen und auch die Wiesent mit Stehpaddeln befahren (siehe nebenstehendes Foto). Es gilt ein Verbot für die gesamte Saison!

Der BN fordert daher: Die gesamten Vorgaben sind so konstruiert, dass die rechtliche Umsetzung gar nicht möglich ist. Uns ist trotz der hier beschriebenen Verstöße noch keine einzige Aussprache eines Bußgeldes (vgl. Verhaltensregeln Flusserlebnis Wiesent, PDF-Datei) bekannt.

Gesamtfazit

Die europäisch verankerten und gesetzlichen Vorgaben, das Ökosystem Wiesent in seinem guten Erhaltungszustand zu bewahren und zu sichern werden ignoriert und unterlaufen (Europäische Wasserrahmenrichtlinie). Wir sind Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsstaates, und vertrauen auf die Rechtstaatlichkeit. Die Rechtstaatlichkeit ist aber nicht mehr gewährleistet, wenn vorher „heiß“ diskutierte Interessen und Argumente bei diesem sehr sensiblen Themengebiet in Verordnungen einfließen, die dann von behördlicher Seite veröffentlicht aber nicht durchgesetzt werden.

Wir bitten abschließend alle verantwortlichen und beteiligten Behörden um eine zügige Stellungnahme. Darüber hinaus besteht sicherlich auch ein öffentliches Interesse im Hinblick auf die konkreten Maßnahmen und Untersuchungsinhalte und Ziele der anstehenden artenschutzrechtlichen Prüfung.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ulrich Buchholz, 1. Vorstand der BN Kreisgruppe Forchheim e.V.