Leserbrief: Neujahrsgruß

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Liebe Verwandte, Freunde, Bekannte,
sehr geehrte Damen und Herren!

„Maria durch ein‘n Dornwald ging“, beginnt ein bekanntes Weihnachtslied. Die Dornen, welche schon lange kein Laub mehr getragen hatten, erblühten wie durch ein Wunder – das Wunder der Ankunft des Messias‘, des Erlösers, den Maria unter ihrem Herzen trug.

Wir haben dieses Mal keinen Weihnachtsbrief geschrieben. Natürlich spielte eine Rolle, daß die besinnliche Zeit vor dem Fest, der Advent, alles andere als besinnlich ist. Doch das wäre nur die halbe Wahrheit. Denn sind die Dornen nicht längst wieder verdorrt? Wo ist der Frieden, den die Engel anläßlich der Geburt des Heilands verkündet haben? In Syrien etwa? Im Irak? Im Jemen? Sudan? Nordkorea? Myanmar? Wo ist Raum für hoffnungsvolle Worte – für die Frohbotschaft, das Evangelium?

Maria und Josef fanden keine Herberge, mußten in einem kalten, zugigen Stall Unterkunft nehmen. Später flohen sie nach Ägypten, um dem neugeborenen Kind das Leben zu retten. Und heute, zwei Jahrtausende später? Eines der reichsten Länder des Planeten erklärt, um nur ein Beispiel zu nennen, Afghanistan zu einem sicheren Herkunftsland. Doch es wird immer schwieriger, Freiwillige zu finden, die im Auftrag der deutschen Regierung für einen begrenzten Zeitraum in dieses Land zu gehen bereit sind – wegen der Kriegs- und Terrorgefahr. Nicht wenige, die hier kein Asyl erhalten, werden in ihrer Heimat nur deshalb verfolgt, weil sie dort für deutsche Behörden gearbeitet haben.

In nahezu allen wohlhabenden Ländern steht vor allem die Abwehr der Flüchtlinge im Vordergrund politischen Handelns und Agitierens. Warum Menschen ihre Heimat verlassen, worin Fluchtgründe ihre Ursachen haben, wird selten gefragt. Enge Zusammenarbeit mit Diktatoren, gar mit Folterregimen wird angestrebt, tausende auf der Flucht Sterbende werden schulterzuckend, manchmal kalt lächelnd in Kauf genommen, um zu verhindern, daß vor Krieg, Hunger und Klimakatastrophen Fliehende, daß wegen ihres Einsatzes für Freiheit und Menschenrechte Verfolgte ein sicheres Ufer erreichen. Ist das die christliche Leitkultur, auf welche das Abendland stolz sein kann?

So mancher fragt: „Weshalb sollen wir anderen helfen? Wir haben genügend Elend und Not im eigenen Land.“ Darf diese Sicht der Dinge einfach beiseite gewischt werden? Sicher nicht! Und doch: Es fehlt nicht an den Mitteln. Spätestens seit der Agenda 2010, aber auch schon nach dem Zusammenbruch der Diktaturen in Europas Osten hat in der westlichen Welt eine Politik starken Auftrieb erfahren, die unter dem Schlagwort des freien Marktes eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben bewirkte. Das Credo der sozialen Marktwirtschaft – bei allen Mängeln in der Realität – war: Der Staat setzt die Rahmenbedingungen so, daß egoistisch motiviertes Handeln einzelner letztlich allen zu Gute kommt. Die derzeit vorherrschende Doktrin jedoch geht davon aus: Von den überreich gedeckten Tischen der Wohlhabenden fallen genügend Brocken herab, um „die Masse“ ruhigzustellen.

Eine Grundregel aus der Landwirtschaft hat sich indes zu Recht als Parole etabliert: „Reichtum ist wie Mist: Auf einem großen Haufen stinkt er zum Himmel. Großflächig verteilt, bringt er die Landschaft zum Blühen.“ Denn eines gilt im eigenen Land wie weltweit: Es mangelt nicht an Ressourcen. Es mangelt an gerechter Verteilung und verantwortungsvollem Umgang, der auch die Bedürfnisse kommender Generationen im Auge behält.

Um Mißverständnisse auszuschließen: Vorstehende Ausführungen reden nicht der allgemeinen Gleichmacherei das Wort. Wenn aber ein Leben voller Arbeit weder für eine menschenwürdige Existenz noch für eine auskömmliche Altersversorgung reicht, stimmen die Grundlagen nicht. Wenn ein oder zwei Fehltritte, Umwege, im Nachhinein sich als falsch erweisende Weichenstellungen im Leben, selbstverschuldet oder nicht, sämtliche Chancen für die Zukunft verbauen, wird die Würde des Menschen, nach unserem Grundgesetz das höchste Gut, mit Füßen getreten. Wenn die Industrieländer Drittmärkte mit teils subventionierten Billigprodukten überschwemmen und so heimischen Produzenten die Basis ihrer Existenz nehmen, wenn an der Börse auf Nahrungsmittelknappheit spekuliert wird, wenn immer mehr Flächen der landwirtschaftlichen Produktion entzogen oder mit naturzerstörenden Monokulturen bepflanzt, die Meere rücksichtslos verseucht und überfischt werden, das Klima in Folge menschlicher Maßlosigkeit aus den Fugen gerät, darf sich niemand über zunehmende Flüchtlingszahlen wundern.

Leider ist, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, Deutschland keine positiv auffallende Ausnahme unter den Industriestaaten. Der Waffenexport – auch an fragwürdige Empfänger – bleibt auf hohem Niveau. In Europa setzt sich die Bundesregierung vehement gegen den Schutz von Umwelt und Gesundheit ein. Die Verkehrspolitik hält an wenig zukunftsfähigen Leitbildern fest, will weiterhin das individuelle Kraftfahrzeug als Rückgrat der Massenmobilität sehen, fördert einseitig den Luftverkehr sowie den Hochgeschwindigkeitswahn auf der Schiene, die nur verhältnismäßig wenigen zu Gute kommen. Hingegen fristen der öffentliche Nah- und Regionalverkehr auf Schiene und Straße – ungeachtet ständig steigender Nachfrage – ebenso ein Schattendasein wie Fuß- und Fahrradmobilität, was die politische Zuwendung betrifft. Der Freistaat Bayern hat soeben erst die rücksichtslose Zersiedlung der Landschaft erleichtert – bei vorrangiger Erschließung ausschließlich durch Kraftfahrzeuge.

In der Enzyklika „Laudato si‘“ hat Papst Franziskus detailliert dargestellt: Soziales Elend und ökologische Verantwortungslosigkeit hängen eng miteinander zusammen. Wer den Menschen, das Ebenbild Gottes, nicht achtet, ignoriert auch den Wert der Schöpfung – und umgekehrt. Gemeinsam hatten dies die katholische Aktion MISEREOR und der „Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland“ (BUND) vor jetzt mehr als zwanzig Jahren in der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ herausgestellt. Der Pontifex schiebt die Ursache keineswegs auf die technologische Entwicklung – wie es zu Unrecht den für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen Engagierten gern vorgeworfen wird. Vielmehr weist er darauf hin: Der Fortschritt hat viel Segensreiches bewirkt. Aber er muß auch tatsächlich für das Wohl aller eingesetzt, darf nicht zum Machtinstrument einzelner werden.

Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Und daher haben wir uns entschlossen, Denkanstöße und Motivation für das neue Jahr weiterzugeben. Wenngleich es derzeit auf nahezu allen zu bestellenden Feldern – Mitmenschlichkeit, soziale Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, Frieden und Freiheit – so aussieht, als hätten wir keine Chance auf Besserung: Nutzen wir sie! Wir müssen es wenigstens versuchen.

Papst Franziskus beschreibt treffend das Verhalten vieler Politiker, Wirtschaftslenker und „einfacher“ Leute: „Es ist die Weise, wie der Mensch sich die Dinge zurechtlegt, um all die selbstzerstörerischen Laster zu pflegen: Er versucht, sie nicht zu sehen, kämpft, um sie nicht anzuerkennen, schiebt die wichtigen Entscheidungen auf und handelt, als ob nichts passieren werde“ (Laudato si‘). Wir wollen dafür arbeiten, daß es nicht dabei bleibt.

Euch und Ihnen wünschen wir ein persönlich erfüllendes Jahr bei bestmöglicher Gesundheit und mit vielen bereichernden Momenten im Zusammensein mit den Lieben und anderen Menschen.

Rita
Felicitas
Wolfgang
Bamberg-Gaustadt, Neujahr 2018