Preis­ge­krön­te Dis­ser­ta­ti­on: Bay­reu­ther Eth­no­lo­gin erforscht inhu­ma­ne Fol­gen eines Stau­damm-Pro­jekts im Sudan

Symbolbild Bildung

Die Bay­reu­ther Eth­no­lo­gin Vale­rie Hänsch ist vom Fro­be­ni­us-Insti­tut für kul­tur­anthro­po­lo­gi­sche For­schung an der Goe­the-Uni­ver­si­tät Frank­furt für die bes­te eth­no­lo­gi­sche Dis­ser­ta­ti­on aus­ge­zeich­net wor­den, die 2017 an einer Uni­ver­si­tät in Deutsch­land ver­fasst wur­de. Bei einer Fei­er­stun­de anläss­lich der Frank­fur­ter Buch­mes­se nahm sie den mit 3.000 Euro dotier­ten Preis ent­ge­gen. Sie hat an der Bay­reu­ther Gra­du­ier­ten­schu­le für Afri­ka­stu­di­en (BIGS­AS) pro­mo­viert und ver­tritt der­zeit die Juni­or­pro­fes­sur für Kul­tur und Tech­nik in Afri­ka an der Uni­ver­si­tät Bayreuth.

In ihrer Dis­ser­ta­ti­on zum The­ma „Der Ver­such zu blei­ben. Damm­bau und Kri­se im suda­ni­schen Nil­tal“ unter­sucht Vale­rie Hänsch an einem Fall­bei­spiel die zum Teil dra­ma­ti­schen sozia­len Fol­gen einer Indus­trie­po­li­tik in Afri­ka, die seit der Jahr­tau­send­wen­de die Ener­gie­ge­win­nung durch Was­ser­kraft­wer­ke for­ciert. Der Mero­we-Stau­damm im Sudan ist Teil eines umfas­sen­den Pro­gramms zur Ent­wick­lung und Elek­tri­fi­zie­rung des Nil­tals. Schon bei der Pro­jekt­pla­nung ent­schied die suda­ne­si­sche Zen­tral­re­gie­rung, dass rund 70.000 Men­schen dem Damm und dem Stau­see wei­chen soll­ten. Hänsch befass­te sich mit dem Schick­sal der Mana­sir, einer eth­ni­schen Grup­pe, die ins­ge­samt etwa 50 000 Men­schen zählt. Um sie zum Ver­las­sen ihrer ange­stamm­ten Hei­mat zu bewe­gen, ver­sprach ihnen die Regie­rung einen höhe­ren Lebens­stan­dard in moder­nen Wohn­sied­lun­gen mit einem ange­schlos­se­nen Groß­be­wäs­se­rungs­pro­jekt. Die Mana­sir woll­ten hin­ge­gen lie­ber in ihrer Hei­mat, an den Rän­dern des künf­ti­gen Stau­sees, wei­ter leben. Doch ohne ihre Gegen­vor­schlä­ge zu berück­sich­ti­gen und noch bevor eine Umsied­lung in neue Wohn­sied­lun­gen statt­fin­den konn­te, wur­de der Nil im Som­mer 2008 auf­ge­staut. 80 Pro­zent der Bewäs­se­rungs­land­wirt­schaft und der Dör­fer gin­gen in den Flu­ten unter. Vie­le Fami­li­en muss­ten im Lau­fe der Zeit mehr­mals vor dem stei­gen­den Fluss wei­ter in die angren­zen­den Wüs­ten flüch­ten. Wäh­rend einer 14-mona­ti­gen Feld­for­schung und bei fol­gen­den For­schungs­auf­ent­hal­ten im Sudan unter­such­te Hänsch, wie die Mana­sir die­sen radi­ka­len und gewalt­sa­men Umbruch ihrer gewohn­ten Lebens­ver­hält­nis­se erleb­ten und sich in einer „zer­fal­len­den Sinn-Welt“ ein­zu­rich­ten versuchten.

„Bis­he­ri­ge Stu­di­en zu ver­schie­de­nen For­men der Ver­trei­bung – sei es durch Krie­ge, Natur­ka­ta­stro­phen oder Ent­wick­lungs­pro­jek­te – befas­sen sich meis­tens mit Geflüch­te­ten, Migran­ten oder Umge­sie­del­ten. Im Zen­trum mei­ner lang­jäh­ri­gen For­schungs­ar­bei­ten ste­hen dage­gen Men­schen, die den Ver­such unter­neh­men, mög­lichst in unmit­tel­ba­rer Nähe ihrer Hei­mat zu blei­ben“, erklärt Hänsch. „Die Stu­die zeigt, dass Infra­struk­tur­pro­jek­te und die damit ver­bun­de­nen Umsied­lun­gen äußerst inhu­ma­ne Kon­se­quen­zen haben, wenn sie nach einer tech­nisch-ratio­na­len Pla­nungs­lo­gik umge­setzt wer­den. Gegrün­det auf ihre Erfah­run­gen und ihr eige­nes Wis­sen woll­ten vie­le Bau­ern im Nil­tal ihren Lebens­stil an den Rän­dern des Stau­sees wei­ter­füh­ren und waren gleich­zei­tig bereit, neue Mög­lich­kei­ten zu erpro­ben. Die­ser tas­ten­de Ver­such einer eigen­stän­di­gen, sinn­erfüll­ten Zukunfts­pla­nung war von radi­ka­ler Unge­wiss­heit geprägt. Immer wie­der zwei­fel­ten die von den Flu­ten Ver­trie­be­nen an der Mög­lich­keit eines Blei­bens“, so die Bay­reu­ther Ethnologin.

Ihre Dis­ser­ta­ti­on ist damit eine Fall­stu­die zu der grund­sätz­li­chen Fra­ge, ob und wie es Men­schen gelin­gen kann, wei­ter­hin ein sinn­haf­tes Leben zu füh­ren, wenn die ihnen ver­trau­te Welt aus­ein­an­der­bricht. Wie wer­den sozia­le Rea­li­tä­ten von ihnen wahr­ge­nom­men, geord­net und her­ge­stellt? Wäh­rend der­zeit immer mehr Men­schen ihre Hei­mat­re­gio­nen in Afri­ka ver­las­sen wol­len, um sich in Euro­pa ein neu­es Leben auf­zu­bau­en, gewinnt die­se sozi­al­wis­sen­schaft­li­che The­ma­tik auch für die Poli­tik immer stär­ker an Bedeutung.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen zum Fro­be­ni­us-Insti­tut für kul­tur­anthro­po­lo­gi­sche For­schung an der Goe­the-Uni­ver­si­tät Frank­furt: www​.fro​be​ni​us​-insti​tut​.de