„Sonntagsschüsse – Fußballfieber in der Kreisklasse“, Kapitel 6

"Sonntagsschüsse" Buchcover

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TSV Weiherfelden – 1. FC Leimbach (Pokalspiel)

Es gibt Tage im Leben eines Fußballers, an denen nichts gelingen mag, an denen selbst der beste Techniker die einfachsten Bälle nicht stoppen kann, an denen man stets zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort steht. Und dann gibt es Tage, an denen einfach alles funktioniert, an denen Tricks klappen, bei deren Versuch man sich an anderen Tagen die Füße bricht, an denen man Zweikämpfe gewinnt, denen man ansonsten resignierend aus dem Weg geht. Manchmal, nur äußerst selten, gibt es schließlich Spiele, an denen die komplette Mannschaft einen dieser Tage erwischt, wenn die ganze Mannschaft derart über sich hinauswächst, dass kein Gegner zu stark, keine Hürde zu groß ist.

Das Pokalspiel gegen den 1. FC Leimbach am Donnerstag nach dem Trainingslager war unser erstes richtig großes Spiel in der noch jungen Saison. Die „Leimbacher Geldsäcke“, wie Spielleiter Willi sie zähnefletschend nannte, spielten Bezirksliga und gingen zwei Klassen über uns als absolute Topfavoriten ins Rennen. Wir wussten alle, dass der Gegner eine Nummer zu groß für uns war, aber das tat unserer Motivation keinen Abbruch. Wir wollten es dem Favoriten zeigen und ihm so lange wie möglich einen harten Kampf liefern.

Noch vor vier Jahren war der 1. FC Leimbach eine Liga unter dem TSV Weiherfelden auf Torejagd gegangen. Mit dem Aufstieg in die Kreisklasse hatten die Leimbacher dann einen mächtigen Sponsor gewonnen. Ein fußballverrückter ortsansässiger Firmenbesitzer investierte urplötzlich Tausende Euro in die sprudelten Kassen des Vereins. Und für gutes Geld wurden Spieler verpflichtet, die das Wort Kreisklasse ansonsten nur aus dem Lokalteil der Tageszeitung kannten. Gestandene Bezirksoberligaveteranen aus dem Umkreis bildeten das Grundgerüst des neuen Teams. Letzten Endes gelang den Verantwortlichen mit dem Sensationstransfer von zwei Stammspielern aus der Bayernligamannschaft des FC Blau-Weiß Forchheim der spektakuläre Höhepunkt der vielen Neuverpflichtungen. Da war es kaum verwunderlich, dass dieses zusammengekaufte Starensemble innerhalb von zwei Jahren den Durchmarsch in die Bezirksliga vollbrachte und diese Saison als Favorit für den Aufstieg in die Bezirksoberliga gehandelt wurde.

Und in all dem blendenden Glanz dieses euphorischen Ritts auf einer Woge des Erfolgs verloren diese neureichen Vereine in der Regel schnell den Blick für die Realität. Denn je höher man klettert, desto tiefer ist der Fall. Und den erlebten früher oder später alle Vereine, die auf diese Weise im Eiltempo durch die Amateurklassen marschieren.

Die größten Probleme waren ihre Abhängigkeit von dem finanzstarken Gönner und die strukturellen Veränderungen, die ein solch rascher Aufstieg mit sich brachte. Irgendwann kam der tränenreiche Tag, an dem der Sponsor die ergiebige Finanzquelle versiegen ließ. Die Gründe dafür waren vielfältig: Ein Streit mit der Vereinsführung, da sich der Sponsor immer mehr in die Vereinsgeschäfte einmischte, die Pleite des Unternehmens, die Fokussierung auf ein neues Hobby – die Konsequenz war immer dieselbe. Die für teures Geld eingekauften Legionäre verließen das sinkende Schiff. Schließlich hatten sie das Potenzial, auch einige Klassen höher zu spielen, und waren lediglich wegen des monatlichen Taschengelds in Diensten des aufstrebenden Vereins. Zu diesem Zeitpunkt waren die Talente aus der eigenen Jugend schon lange weg. Frustriert über die Perspektivlosigkeit in ihrem Heimatverein, in dem das gesamte Umfeld nur noch von den teuren Geldfußballern schwärmte und die Eigengewächse konsequent links liegen gelassen wurden, hatten sie dem Verein auf dessen sportlichem Höhepunkt den Rücken gekehrt. Zurück bleibt ein seelenloser Verein, der in einem Wahnsinnstempo wieder zurück in die A-Klasse rauscht und selbst dort keinen Fuß mehr auf den Boden bekommt.

Der TSV Weiherfelden war das genaue Gegenteil zu diesem Kurzzeiterfolgskonzept. Beinahe alle Spieler der Herrenmannschaft kannten sich von Kindesbeinen an. Bis auf zugereiste Neuzugänge wie Stefan oder mich, bestand die gesamte Mannschaft aus Spielern, die bereits in der Jugend die Fußballschuhe für den TSV geschnürt hatten. Selbst wenn ein Ausflug in die Bezirksoberliga unter diesen Rahmenbedingungen für ein kleines Dorf wie Weiherfelden utopisch war, war es dennoch ein grundsolides und langfristig ausgelegtes Konzept, das mir persönlich tausendmal lieber war, als ein Verein, der einige Jahre lang über seinen Verhältnissen auf einer kurzsichtigen Erfolgswelle ritt.

Für die Spieler des TSV war der 1. FC Leimbach das Feindbild schlechthin.

„Ein Haufen Geldfußballer ohne Seele und Integrität!“, schimpfte unser Trainer am Abend vor dem Spiel am Stammtisch des Sportheims. „Wenn sie nicht so stark wären, würden wir es ihnen zeigen. Kampflos werden wir uns denen nicht ergeben!“

Besonders die beiden ehemaligen Bayernligaspieler brachten ganz Weiherfelden in Rage.

„Niemand hat etwas dagegen, wenn ein richtig guter Spieler sein Glück in den höheren Spielklassen versucht. Aber wenn ein Stammspieler im besten Fußballeralter von der Bayernliga in die Kreisklasse wechselt, nur weil er dort 50 Euro mehr im Monat bekommt, dann gehört er an seinen Schnürsenkeln an der Torlatte aufgeknüpft!“, schimpfte Wirtschaftsführer Don, der sogar den Zahnstocher aus dem Mund nahm, um seinem Ärger Luft zu machen.

Als wir uns am späten Nachmittag um 17.30 Uhr vor dem Sportheim trafen, waren wir heiß auf das Duell gegen den ungeliebten übermächtigen Gegner. Die Spannung in der Kabine war greifbar. Meine Mitspieler kannten die Namen der gegnerischen Stars. Aleno, der wendige Stürmer, der in der Bezirksliga mit 35 Treffern Torschützenkönig geworden war. Bayer, der noch vor wenigen Jahren in der Bayernliga im Mittelfeld die Fäden gezogen hatte. Christian Stark im defensiven Mittelfeld war bei den Offensivkräften gefürchtet. Er galt als rustikaler Spieler, der keinem noch so harten Zweikampf aus dem Weg ging.

Als ich die Treppen hinaufstieg, um mich auf dem Trainingsplatz aufzuwärmen, bückte ich mich noch kurz, um meine Schuhe zuzubinden. Drei Leimbacher Spieler liefen an mir vorbei.

„Schau mal“, rief ein großer dunkelhaariger Spieler Anfang Dreißig und nickte lachend mit dem Kopf in meine Richtung. „Anscheinend haben sie heute ihre Jugendmannschaft für eine Lehrstunde auf den Platz geschickt.“

Mit einem finsteren Blick prägte ich mir das Gesicht des arroganten Gegenspielers ein. Wir werden uns schon auf dem Spielfeld begegnen!

Zehn Minuten vor dem Spiel zogen wir uns nach dem gemeinsamen Aufwärmen in die Kabine zurück. Trainer Andreas gab uns letzte Instruktionen.

„Dominik, du nimmst dir den Aleno vor. Er mag es nicht, wenn man ihn hart attackiert. Steh ihm auf den Füßen, gib ihm ab und an mal einen mit. Wenn wir ihn ins Spiel kommen lassen, ist er nicht mehr zu stoppen. Aber keine überharten Fouls! In Unterzahl gehen wir heute unter. Den Bayer übernimmt Marco. Das ist der Schlüsselspieler. Über den läuft jeder Angriff. Er darf sich nicht drehen. Du musst ihm den Schneid abkaufen. Harald soll dich absichern. Wenn wir ihn nicht unter Kontrolle bringen, müssen wir ihn doppeln. Also Jungs, raus jetzt. Macht diesen verdammten Geldsäcken die Hölle heiß!“

Die vielen Erzählungen von den überragenden fußballerischen Fähigkeiten meines Gegenspielers hätten mich eigentlich beunruhigen sollen. Aber stattdessen brannte ich vor Ehrgeiz. Ich hatte richtig Lust, den Geldsäcken in den Hintern zu treten. Vollgepumpt mit Adrenalin betrat ich den Platz. Es war herrliches Wetter, ein sonniger, warmer Sommerabend. Ich sog den Duft des grünen Rasens in meine Nase ein. Auf den Zuschauerrängen tummelte sich alles, was in Weiherfelden Rang und Namen hatte.

Mein Blick fiel auf meinen arroganten Leimbacher Freund vom Aufwärmen. Er wirkte entspannt und selbstsicher… und trug die Rückennummer 10. Bayer! Meine Motivation kannte nun keine Grenzen mehr. Jugendspieler? Dir werde ich es zeigen!

Wir erwischten starke erste zehn Minuten. Gegen eine technisch haushoch überlegene Mannschaft half wie immer nur eins: Das Spiel musste ein Kampf werden, in dem wir dem Gegner mit hart geführten Zweikämpfen und hoher Laufbereitschaft die Lust am Fußball verdarben. Verteidiger Dominik Prien zelebrierte diese Marschroute förmlich. Nachdem er Aleno bei dessen ersten Ballkontakt rustikal von den Füßen gefegt hatte, setzte er die nächste wirkungsvolle Duftmarke mit einem sehr körperbetonten Kopfballduell. Frustriert über den Schiedsrichter schimpfend, ließ sich Aleno an der Seitenlinie behandeln.

Von so einem Start konnte ich nur träumen. Bayer bewies ausgezeichnete Übersicht, als er mir mit seiner ersten Ballberührung gekonnt den Ball durch die Beine spitzelte. Ich hatte die Wendigkeit des großgewachsenen und deutlich älteren Spielers völlig unterschätzt. Bayer war agil und lauffreudig, und seine Mitspieler suchten ihn bei jedem Angriff des 1. FC Leimbach. Meine zweite Bewährungsprobe wollte ich nicht noch einmal verpatzen. Bayer nahm den Ball mit der Außenseite mit, erkannte aus dem Augenwinkel, wie ich mich positioniert hatte, und zog rasch mit seiner linken Fußsohle den Ball außer Reichweite. Doch damit hatte ich gerechnet. Diesmal hatte Bayer offenbar den „Jugendspieler“ unterschätzt. Flink und mit einer gesunden Portion Körpereinsatz attackierte ich Bayer von der anderen Seite und spitzelte den Ball mit einer langbeinigen Grätsche zu Harald Gepard. Unser Kapitän schaltete schnell und spielte den Ball in die Spitze zu Michael Meister. Leimbach war weit aufgerückt, hatte den Ball bei ihrem Spielmacher Bayer in sicheren Händen geglaubt. Michael nutzte die resultierenden Freiräume in der Leimbacher Deckung eiskalt aus. Ein gezielter Schuss ins untere Toreck, und der krasse Außenseiter TSV Weiherfelden führte mit 1-0.

Während meine Mitspieler sich jubelnd in den Armen lagen, schritt ich mit stolzgeschwellter Brust am verärgerten Bayer vorbei und murmelte mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen ein wohltuendes „Tja, der Jugendspieler!“

Frustriert biss sich Bayer auf die Unterlippe. Er wusste genau, was ich ihm damit sagen wollte. Als ich Bayer auch bei seinen nächsten beiden Ballkontakten durchsetzungsstark in die Parade gefahren war, wusste ich, dass ich den hochgelobten Mittelfeldspieler gebrochen hatte. Es war mein Tag, und er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um mir weiter Kontra zu geben, während ich mit jedem gewonnenen Zweikampf stärker und selbstbewusster wurde.

An diesem Tage gab es für den 1. FC Leimbach nichts zu holen. Alle elf Weiherfeldener Spieler zerrissen sich auf dem Spielfeld bis zum Umfallen. Engagiert und nissig verteidigten wir unser Tor. Und mit jeder verstrichenen Minute machten die Stars um Bayer und Aleno lautstärker ihrem Unmut Luft.

„Das gibt´s doch nicht! Schau dir mal deinen Gegenspieler an! Der kann doch nicht mal einen Ball stoppen!“, fauchte Bayer den gefrusteten Aleno an.

„Schau du lieber, dass du gegen diesen Jungspund mal einen Zweikampf gewinnst!“, giftete Stark in Richtung meines Gegenspielers.

Und mit dem Frust der Stars der regionalen Amateurfußballerszene häuften sich die Kurzschlussreaktionen. Mit einer gesunden Portion Körpereinsatz erkämpfte ich mir einen weiteren Ball vom chancenlosen Leimbacher Spielmacher und setzte sofort zum Konter an, was Bayer mit einem trotzigen Fußtritt in meine Wade unterband.

Plötzlich zeigte Spielleiter Willi eine völlig neue Seite von sich. Wild gestikulierend sprang er von der Auswechselbank auf und stürmte mit wutverzerrtem Gesicht an die Seitenlinie: „So eine elende Drecksau! Rot! Schiedsrichter! Rote Karte! Worauf wartest du? So ein hinterlistiger Hund! Der gehört vom Platz! Vom Platz gehört der! Was soll das?“

Der Schiedsrichter zeigte Bayer die gelbe Karte und ermahnte ihn, dass er bei der nächsten unfairen Aktion das Feld verlassen müsse. Bayer nahm die Verwarnung recht emotionslos hin. Es waren nur noch 15 Minuten zu spielen.

Während wir Spieler uns weiter auf dem Platz die Seele aus dem Leib rannten, zeigte Spielleiter Willi am Spielfeldrand mindestens genau so viel Einsatz. Er ließ sich in seiner hitzigen Rage von nichts und niemandem beruhigen. Als die wütenden Zwischenrufe immer tiefer unter die Gürtellinie gingen, entflammte Willi letztlich auch die Gemüter der mitgereisten Leimbacher Fans. Mit hochrotem Kopf stand Willi Drei von ihnen gegenüber und brüllte ihnen furchtlos ins Gesicht, was für ein „ekelhafter Haufen von Geldsäcken“ sie doch waren.

„Meine Güte, hat er sogar Schaum vor dem Mund?“, fragte ich den neben mir auf einen gegnerischen Einwurf wartenden Harald Gepard.

„Normalzustand!“, kommentierte unser Kapitän knapp. „Wenn ihn die Tarantel einmal gestochen hat, kennt er kein Halten mehr!“

Tobsuchtsanfälle am Fußballplatz waren nicht ungewöhnlich. Wutentbrannte Fanatiker mit Tunnelblick waren auf allen Fußballplätzen dieser Erde zu Hause. Trotzdem musste ich zugeben, dass Willi ein ganz besonders eifriges Exemplar war. Es waren oft die im Privatleben ruhigsten, besonnensten Männer, die an der Seitenlinie am meisten außer Rand und Band gerieten. Es gelang ihnen perfekt, konsequent ihre beschwichtigende Umwelt auszublenden und sich ihren minutenlangen cholerischen Exzessen hinzugeben. Eine andere Gattung fußballverrückter Männer konnte sich wiederum so vollkommen in ein Spiel vertiefen, dass sie um sich herum nichts mehr wahrnahmen. Die größten Pantoffelhelden ignorierten mit einem Mal jedes Wort ihrer dominanten Ehefrau, und die aufmerksamsten Väter reagierten nicht auf die Fragen ihrer geliebten Kinder. Das war Fußball! Das war das Pokalfieber, das uns alle an diesem Tage gegen den 1. FC Leimbach angesteckt hatte!

Nach dem Spiel fühlten wir uns wie Helden. Begeisterte Zuschauer applaudierten unserer kampfstarken Truppe auf dem Weg in den Kabinengang. Ein roter Teppich mit donnerndem Blitzlichtgewitter hätte sich nicht spektakulärer anfühlen können. Durch einen lehrbuchhaften Konter in den Schlussminuten hatten wir den großen Favoriten mit 2-0 in die Knie gezwungen. Enttäuschte Leimbacher schlichen schnellen Schrittes an uns vorbei und verschwanden zerknirscht im Kabinengang. Der Augenblick, als der völlig gefrustete Bayer seine Fußballschuhe die Treppe hinab feuerte, war mein persönlicher Höhepunkt des Tages. Es fühlte sich so gut an!

Die Spieler des 1. FC Leimbach ließen sich nach dem Spiel nicht in unserem Sportheim blicken. So groß die Enttäuschung auch war, ein Bier im Sportheim des Gastgebers war im Amateurfußball Pflicht. Solche Aktionen machten die Geldfußballer nicht sympathischer.

Dafür blieb das verzauberte Publikum umso länger. Unsere Zuschauer waren voll des Lobes.

„Habt ihr gesehen, wie der Bayer seine Fußballschuhe weggeworfen hat? Am liebsten hätte er sie heute an den Nagel gehängt.“

„Dieser Neue, der Marco Tanner, hat ihn aber auch ganz schön bearbeitet. Klasse, der Junge! Eine echte Bereicherung!“

„Und auf den Meisters Michi können wir im Sturm ja sowieso zählen!“

„Wie der Klaus in seinem Alter noch die Abwehr dirigiert!“

„Der Harald ist heute bestimmt wieder einen ganzen Marathon gelaufen!“

„Was der Stieler alles gehalten hat!“

„Heute haben die Jungs aufgespielt wie wir früher!“

Aufgeheizt durch den überschwänglichen Lobpreis unserer treuen Fans, stießen wir Spieler ein ums andere Mal auf den Überraschungserfolg an. Das Bier floss in Strömen, und ich verschwendete keinen Gedanken daran, dass am nächsten Morgen mein erster Arbeitstag als Zivi auf mich wartete. Morgen war morgen! Was kostet die Welt!

„Schon schwach von den Leimbachern, dass sie nicht mal die Größe haben, bei uns im Sportheim noch ein Bier zu trinken!“, schimpfte Michael Meister und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas.

Dominik Prien, einmal mehr die Emotionslosigkeit in Person, zuckte gelassen mit den Schultern: „Mir eigentlich egal, was die machen. Mein Bier schmeckt, wir sind im Pokal eine Runde weiter. Lasst uns einfach noch eins trinken.“

Der junge Nachwuchsverteidiger Martin Kruse, der ebenfalls ein bärenstarkes Spiel abgeliefert hatte, fegte mit flinken Fingern über den Bildschirm seines Smartphones. „Wenn sie nicht zu uns kommen wollen, dann kommen wir eben zu ihnen“, sagte er schließlich mit diabolischem Grinsen. „Heute ist Rock in the City in Forchheim. Und im Blue Bear spielt eine echt gute Band.“

„Im Blue Bear? Ist das nicht die Vereinskneipe des 1. FC Leimbach?“

„Genau! Gut erkannt!“

Kurzerhand hatten wir einstimmig beschlossen, mit der kompletten Mannschaft in unseren Trainingsanzügen auf Rock in the City zu gehen. Mit breiter Brust stolzierten wir in den blau-gelben Farben unseres Vereins durch die Fußgängerzone. Wir sangen, johlten, lagen uns in den Armen. Die Jungs des TSV Weiherfelden fühlten sich unbesiegbar.

Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis wir letzten Endes in der Bar Blue Bear landeten, die vom 2. Vorsitzenden des rivalisierten Vereins betrieben wurde und somit zur Vereinskneipe des 1. FC auserkoren war. Die Band spielte eine erstklassige Mischung aus 80er-Jahre-Rock und kultigen Balladen. Selbstbewusst drängten wir uns durch die Menschenmassen der proppenvollen Kneipe und steuerten zielsicher auf die Bar zu. Von dort sollte uns niemand mehr verdrängen. Abwechselnd spendierten wir eine Runde nach der anderen. Ich weiß nicht mehr genau, wie es passiert war, aber irgendwann zwischen Wodka, Whiskey und klaren Schnäpsen war jemand auf die glorreiche Idee gekommen, die Trainingsjacken und T-Shirts mit dem Emblem des TSV Weiherfelden abzulegen, damit wir unsere stolzgeschwellten Hühnerbrüste besser zur Schau stellen konnten. So standen wir mit nackten Oberkörpern da und stürzten ein hochprozentiges Getränk nach dem anderen unsere durstigen Kehlen hinab.

Plötzlich wartete ein großgewachsener dunkelhaariger Mann Anfang Dreißig neben mir auf sein Pils, das gerade von der Bardame eingeschenkt wurde. Beinahe hätte ich ihn in Hemd und Jeans nicht erkannt. Aber sein missmutiger Gesichtsausdruck bestätigte die Vermutung, dass es sich um meinen guten alten Freund Bayer handelte. Niedergeschlagen zog er an seiner glimmenden Zigarette und sah gedankenverloren dabei zu, wie sich sein Glas mit schäumendem Bier füllte.

„Schon blöd, wenn man von einem Jugendspieler deklassiert wird, oder?“, lallte ich in einem Anfall provokanter Selbstherrlichkeit.

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte mich Bayer von oben bis unten: „Wer bist du denn überhaupt?“

„Der Spieler, gegen den du heute keinen Zweikampf gewonnen hast“, antwortete ich prompt.

Bayer seufzte, genehmigte sich einen großen Schluck von seinem frisch eingeschenkten Bier und schüttelte genervt den Kopf: „Lass dir erst mal Haare auf der Brust wachsen, bevor du so mit einem gestandenen Fußballer wie mir sprichst.“

Die steigenden Promille verliehen meiner Kreativität Flügel. „Auf Stahl wachsen keine Haare!“, erwiderte ich mit berauschtem Grinsen. Mein siegestrunkener Übermut kannte keine Grenzen mehr. Ich fühlte mich unbesiegbar, und das wollte ich diesem selbstgefälligen Möchtegern-Superstar beweisen. Mit einer raschen Handbewegung schnappte ich mir Bayers glühende Zigarette, begutachtete den Glimmstängel ein letztes Mal, und drückte ihn dann auf meiner blanken Brust aus.

Bayer schüttelte nur fassungslos den Kopf, krallte sich sein Bier und verschwand fluchtartig in der Menge. Meine prustenden Kollegen konnten sich vor Lachen nicht mehr halten. Niklas Dinger klopfte mir stolz auf die Schulter und spendierte mir umgehend einen Jägermeister: „Marco, Marco. Wir haben echt einen guten Einfluss auf dich. Du bist ja ne richtig coole Sau!“

Titel: Sonntagsschüsse – Fußballfieber in der Kreisklasse

Amateur-Fußballer Marco Tanner muss sich als “Zugereister“ in die deftige fränkische Lebensweise einfinden, um bei seinem skurrilen neuen Fußballverein Fuß zu fassen.

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