BUND Naturschutz: 1400 Einwendungen gegen Westumfahrung von Neunkirchen

Am 18. April gab die Regierung von Oberfranken bekannt, dass im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens mehr als 1.400 Einwendungen zur Westumfahrung Neunkirchen eingegangen sind. Dies wird von Regierungsseite als „großes öffentliches Interesse an der Verlegung der Staatsstraße 2243“ interpretiert.

Das Bündnis aus MUNk e.V., Bürgerinitiative „Umweltverträgliche Mobilität im Schwabachtal“, der Initiative der Grundstücksbetroffenen, dem BUND Naturschutz, vielen BürgerInnen aus Neunkirchen a.Br. und unterstützt vom Bayerischen Bauernverband hatte im Rahmen der öffentlichen Anhörung Einwendungen gesammelt und aufgerufen, weitere Einwendungen abzugeben. Die Zahl von 1.400 Einwendungen ist ein riesiger Erfolg dieser Initiative. Die Bürgerinitiativen, die Interessengemeinschaft und der BN hatten darüber hinaus mit rechtsanwaltlicher Hilfe, eigenen Gutachten und unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel Fachstellungnahmen im Verfahren abgegeben. Inklusive Anlagen umfasst allein die Stellungnahme des BN 409 Seiten.

Für Bettina Wittmann, Vorsitzende von MUNk e.V. zeigt die hohe Zahl der Einwendungen: „Viele Bürger, die eine Einwendung verfasst haben, haben damit nicht ihr Interesse an der Verlegung der Staatsstraße gezeigt, sondern ihren Unmut über die Verkehrspolitik zum Ausdruck gebracht. Ungeachtet einer sich wandelnden Gesellschaft und Mobilität oder des notwendigen Klimaschutzes wird weiterhin an einer veralteten Verkehrsplanung festgehalten, die darin besteht, immer neue Straßen auszuweisen. Durch die geplanten Umgehungsstraße wird das Verkehrsproblem aber nicht gelöst, sondern nur verlagert.“

Bernhard Birnfeld vom Bund Naturschutz freut sich, dass so vielen Bewohnerinnen und Bewohnern von Neunkirchen und Umgebung der Schutz der Umwelt und der verbliebenen Naturbereiche in unserer Kulturlandschaft wichtig ist. „Hier zeigt sich, dass viele Bürger den Umweltschutz vor Ort ernst nehmen. Sie wollen die Kleinode der Zukunft – die verbliebenen Naturbereiche in unserer Kulturlandschaft – bewusst für die Lebensqualität der Enkel bewahren und sie nicht einem unnötigen Straßenbau sowie der sich in Folge bildenden Zerstückelung durch Gewerbegebiete opfern“ ist der BN-Vorsitzende überzeugt. „Und dies vor dem Hintergrund, dass eine Entlastungs-Alternative möglich ist, über die aber von der örtlichen Politik mit Anwohnern des bisherigen Straßenzuges nicht befunden wurde.“

Für Martin Wieseckel, Landwirt aus Ebersbach, der in der Initiative der Grundstücksbetroffenen engagiert ist, ist die Flächenvernichtung ein ebenso wichtiges Thema. „Der zügellose Flächenfraß, der die Landwirtschaft bedroht und eine regionale Versorgung der Bevölkerung immer schwieriger macht, wird in diesem Straßenbauprojekt sichtbar. Wir haben in vielen Gesprächen bemerkt, dass Bürger uns Bauern vor Ort unterstützen wollen und auch deshalb gegen die Westumfahrung sind.“

Esther Schuck von der Bürgerinitiative „Umweltverträgliche Mobilität im Schwabachtal“ ist überzeugt, dass eine grundsätzliche Änderung der Verkehrspolitik ein wichtiges Anliegen der Einwendungsschreiber ist. „Aus zahlreichen Gesprächen mit engagierten Bürgern weiß ich, dass viele Bewohner unsere Region mit moderner Mobilität zukunftsfähig gestalten und gleichzeitig die Umwelt schützen wollen. Nicht zusätzliche Straßen, Elektroautos oder autonomes Fahren sind die Lösung unserer Verkehrsprobleme, sondern ein anderer Umgang mit Verkehrsmitteln. Moderne Verkehrspolitik plant für die Zukunft, wo z.B. Digitalisierung mithilft, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu fördern und zu vereinfachen und Autos zu teilen. Verkehr darf nicht länger nur aus Sicht von Autofahrern und Autobesitzern gedacht werden.“

Für die Initiativen und Vereine, die sich für eine Sanierung der bestehenden Straßen und Verbesserungen im ÖPNV einsetzen, steht fest, dass die Westumfahrung Neunkirchen eine Finanzmittelverschwendung wäre. Geld, das jetzt in die Planung oder den Bau von Umfahrungen in unseren Kommunen fließt, setzt falsche Zeichen und fehlt für nachhaltige Mobilitätslösungen. Dadurch wird das langfristige Ziel eines Astes der Stadt-Umland-Bahn (StUB) bis Neunkirchen erschwert. „Genau dieser Ost-Ast der StUB wird aber gefordert werden, sobald die Straßenbahn in Erlangen sichtbar ist“, ist Bettina Wittmann überzeugt. „Auf der Achse Neunkirchen-Erlangen nutzen derzeit schon mehr als 5.000 Fahrgäste täglich den ÖPNV, zusätzliches Potential steckt in den vielen Autofahrten, die auf die Straßenbahn verlagert werden könnten.“

„Es ist sehr motivierend, was die Aktiven in Neunkirchen hier auf die Beine stellen. Unsere Fachstellungnahme und die der BIs und der Grundstückseigentümer sind außergewöhnlich umfangreich und werden der Regierung und dem Staatlichen Bauamt Bamberg einiges Kopfzerbrechen bereiten. Wir danken allen, die sich hier mit Rat und Tat und Spenden beteiligt haben“, so Tom Konopka, BN-Regionalreferent.

In einem offenen Brief an Innenminister Joachim Herrmann fordern die Vereine und die Initiative, die Planung für die Westumfahrung Neunkirchen a.Br. einzustellen. Als Verkehrsminister ist er schließlich nicht nur für den motorisierten Individualverkehr – die Autofahrer – zuständig, sondern für eine zukunftsfähige, nachhaltige Mobilität für alle Bürger. In einem weiteren Schreiben wendet sich das Bündnis an die bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf um Unterstützung im Ringen um Klima-, Trinkwasser-, Landschafts- und Artenschutz.

Hintergrund

Neunkirchen am Brand (ca. 8.000 EinwohnerInnen) hat einen von Mauern und Torbauten umgebenen historischen Ortskern. Durch diese Tore und die höhenbegrenzende Durchfahrt bei der ehemaligen Klosterschule nahe dem Inneren Markt verläuft die Staatsstraße St 2243. Der Straßenraum ist für alle Fahrzeuge eng, durch diese Bauwerke für LKW höher als 3,20 m unpassierbar.

Keine anderen Argumente, ausschließlich die Betrachtungen freie Fahrt für alle Kfz, so auch für die immer größer gewordenen Lastzüge, bedingt die Planung für eine Umfahrung dieses Ortskerns. Die Zustimmung zu einer zeitweiligen innerörtlichen Umfahrung vorbei an den historischen Mauern wurde vor einigen Jahren von der Kommune zurückgezogen, um Druck zum Bau einer Westumfahrung zu machen. Zudem wurde versucht das Verfahren zu beschleunigen, indem der Markt die Erstellung der Planunterlagen mit Eigengeldern in Höhe von 110.000 Euro unterstützte.

Bei einem Bürgerentscheid im Jahr 2013 befürworteten rund 1/4 den Einsatz solcher Mittel, ca. 1/5 der Wahlberechtigten wollten hierfür kein Gemeindegeld ausgeben – der Rest, über 50%, enthielt sich. Aus diesem Bürgerentscheid über den Einsatz von Gemeindemitteln konstruiert mancher inzwischen eine Zustimmung der Bevölkerung zur Umfahrung.

Umweltgerechtigkeit und Flächenfraß

Die Befürworter der durch sensible Naherholungs- und Naturbereiche geplanten Umfahrung begründen diese u.a. mit der Forderung nach Verantwortungsbewusstsein, Umweltgerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit. Der Begriff Umweltgerechtigkeit stammt dabei aus der Urbanistik großer Städte, wo z.B. Produktionsstätten und Stadtautobahnen oftmals in der Nähe von Wohngebieten sozial Benachteiligter entstanden, und diese gesellschaftliche Ungleichbehandlung nach entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen verlangte. Die Situation in Neunkirchen lässt sich nach Meinung des BN eher nicht in einen solchen Kontext einordnen.

Neben dem Schutzgut Mensch ist bei solchen Planungen das Bundesnaturschutzgesetz zu beachten. Mehr denn je liegt heute die Aufgabe darin Alternativen zu finden um möglichen Bodenverlust zu vermeiden, bevor auf Kulturland zugegriffen wird, das sich zudem in bäuerlichem Besitz und landwirtschaftlicher Nutzung befindet. Aktuell beträgt der Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Bayern 13,1 Hektar täglich – Bayern ist damit hier weiterhin Spitzenreiter unter den alten Bundesländern.

Angebliche Verkehrsbelastung

Argumentiert wird von Befürworterseite, dass 5.000 bis 6.000 Kfz täglich eine Umfahrung rechtfertigen. In der Fachliteratur wird dies allerdings für kleine Orte erst bei Belastungen von 9.000 Kfz/24h für erforderlich gehalten. Somit kann für Neunkirchen a. Brand nicht von einem öffentlichen Interesse ausgegangen werden. Auch der Güterverkehrsanteil muss größer als 25 % sein, damit Straßen einer städtebaulichen Beurteilung unterzogen werden. Dies wird ebenfalls keineswegs erreicht: Das Schwerverkehrsaufkommen (Kfz größer 3,5t) auf der Erlanger Straße beträgt lediglich knapp 6 % (270 LKW/24h), wobei die großen Lastzüge nur eine kleine Untermenge davon darstellen. Auch diese Zahlen rechtfertigen also keine Umfahrung.

Trotzdem muss auch aus Sicht des Bündnisses Anliegern am betroffenen Straßenzug geholfen werden, Belastungen sind deutlich abzusenken. Hierfür liegen seit langem Vorschläge beim Markt Neunkirchen, die dort jedoch bisher ignoriert wurden.

Unfallgeschehen

Die Unfallzahlen liefern ebenfalls keine Legitimation für eine Umfahrung. Aus den Planungsunterlagen ist zu entnehmen, dass es vom 01.01.2010 bis 31.12.2015 im Bereich der Ortsdurchfahrt keine schweren Verkehrsunfälle mit

Schwerverletzten oder gar mit Todesfolge gegeben hat. Unfälle ereignen sich stattdessen gehäuft vor allem nördlich von Neunkirchen auf der St 2243 und sind auf überhöhte Geschwindigkeiten zurückzuführen, wie sie dann leider auch wieder für die Westumfahrung zu erwarten sind.

Einwendungen

Das Planfeststellungsverfahren wurde am 16.01.2017 eröffnet. Die Organisationen im Bündnis haben mit rechtsanwaltlicher Unterstützung Einwendungen nicht nur zu naturschutzfachlichen Themen, sondern auch zu den im politischen Raum angesiedelten Belangen vorgebracht.

Die auf die Behörden des Freistaats ausgeübten Einflüsse haben dazu geführt, dass die Suche nach machbaren Alternativen als eher mangelhaft zu beurteilen ist – ein grober Planungsfehler. Es wurde dargestellt, dass die Planung in großem Umfang gegen geltendes Naturschutzrecht verstößt, insbesondere gegen das nationale Artenschutzrecht, was mit Gutachten belegt wurde. Betroffen sind rund 20 Vogelarten (Baumpieper, Bluthänfling, Dorngrasmücke, Eisvogel, Feldlerche, Feldsperling, Gartenrotschwanz, Goldammer, Habicht, Klappergrasmücke, Mittelspecht, Neuntöter, Pirol, Rebhuhn, Schwarzspecht, Wendehals, Star und Kuckuck) und mehr als 15 Fledermaus-Arten (Abendsegler, Bartfledermaus, Bechsteinfledermaus, Braunes Langohr, Breitflügelfledermaus, Fransenfledermaus, Großes Mausohr, Kleinabendsegler, Mopsfledermaus, Mückenfledermaus, Nordfledermaus, Nymphenfledermaus, Rauhautfledermaus, Wasserfledermaus, Zweifarbfledermaus und Zwergfledermaus), deren Lebensraum und Jagdgebiete keine ausreichende Würdigung gefunden haben. Ähnliches gilt auch für andere Arten, u.a. den Biber und diverse Amphibien.

Appell an den Freistaat

Die Bündnismitglieder haben einen eindringlichen Appell an die Auslegungsbehörde gerichtet, die Planung in der derzeitigen Form zu stoppen und stattdessen die Möglichkeiten einer Umfahrung des historischen Ortskerns zu prüfen, weil hier ausreichende Möglichkeiten bestehen. Aber auch im Sinne eines Ressourcen-Erhalts, wie ebenso zur Umsetzung der Klimaziele durch Absenkungen der CO2-Emissionen im Verkehrssektor, wäre derartiges richtungsweisend.