Uraufführung in Hollfeld: Clarissa Hopfensitz brilliert als Autorin und in einer Siebenfach-Rolle in „Wahnsinnsweiber“
Eine Darstellerin – eine Galerie von Weibsbildern
Es ist die Wandlungsfähigkeit, die einen Schauspieler ausmacht. Mehrfachrollen sind deshalb seit jeher nicht nur als origineller Kunstgriff unterhaltsam, sondern gleichzeitig eine Parade der Leistungsfähigkeit des Darstellers. In dieser Hinsicht gelang Clarissa Hopfensitz zur Eröffnung des „Fränkischen Theatersommers“ der Landesbühne Oberfranken im Hollfelder Kulturzentrum St. Gangolf ein großer Wurf – nicht weniger als sieben Rollen spielte sie in der Uraufführung des Ein-Frau-Stücks „Wahnsinnsweiber“. Die Basisrolle band als humorvoller Eisbrecher das Publikums mit ein: Als etwas konfuse Kursleiterin Valeri Deli eröffnete sie den im Saal Anwesenden, dass es sich hier gar nicht um den angekündigten Seidenmalerei-Kurs handelte. Vielmehr gehe es um intensive Selbstfindung – nein, nicht die ihrer angelockten Kursteilnehmer, sondern ihrer eigenen. Das Publikum musste sie unterstützen, die Traumbotschaften historischer Frauen zu entschlüsseln, die ihr allnächtlich erschienen. Also ließ sie sich per kollektivem Countdown in Trance und die Rollen ihrer Traum-Frauen versetzen.
Zuerst tritt sie auf als kastilische Titularkönigin Juana La Loca, die öffentlich für verrückt erklärt und als Regentin weggesperrt wurde, weil sie sich entgegen dem Hofzeremoniell offen zur Liebe für ihren Gatten bekannte. Clarissa Hopfensitz steigert sich furios in Eifersuchtsszenen, liebkost zärtlich die Leiche ihres Gatten, steht zu ihren „irrsinnigen“ Gefühlen. Es folgt Kaiserin Sissi im berühmten weißen Rosenkleid. In Wiener Dialekt stellt sie in einem Bilderrahmen sich und ihren Körperkult zur Schau, der ihr, wie vielen Zeitgenossinnen, als Hysterie ausgelegt wurde. Die pure Doppelmoral, denn das Ziel ihrer exzessiven Leibesübung, ihre püppchenhaft perfekte Erscheinung, wurde begeistert verklärt. Auch modernere Frauenbilder zerbrechen an der Zweischneidigkeit von Kunst und Wahn: Camille Claudel gibt Clarissa Hopfensitz als bezaubernde Kindfrau mit französischem Dialekt und Kulleraugen – nur ein Kontrast für Wahnsinn und Nervenheilanstalt, wo die Liebe zu Lehrer und Liebhaber Auguste Rodin und das mit den Konventionszwängen kollidierende Behèmeleben endete.
Die englische Schriftstellerin Virginia Woolf, von der Darstellerin mit versteinerter Miene und depressiven Anwandlungen gespenstisch in Szene gesetzt, scheitert noch extremer: Eine heilsame Flucht aus der bipolaren Störung in die Beziehung mit einer Frau ist nicht möglich, so dass sie sich umbringt. Die Daseinsberechtigung der nächsten Figur, Maria Callas, wurde allein auf ihrer göttliche Sangeskunst reduziert; nach einer Stimmbanderkrankung ging sie völlig zugrunde. Die Hopfensitz nimmt mit einer perfekten Callas-Arie das Publikum in Beschlag, bevor sie die Arie hustend und röchelnd abbricht und als imposant aufgestylte Diva im fellbesetzten Kostüm von der Bildfläche verschwindet. Man mag wirklich kaum glauben, dass es dieselbe Person ist, die eine Minute später als Rock-Diva Amy Winehouse mit der Schnapsflasche in der Hand vulgär lallend schildert, wie der Ruhm, mit dem sie überfrachtet wurde, sie in Drogensucht, Untergang und Tod trieb.
Durch den kollektiven Count-Down in die Realität zurückgeholt, begreift Valeri Deli die Botschaft der sechs Frauen: Sie alle haben verzweifelt gekämpft, damit die Frau, die von ihnen träumte, das Leben führen kann, von dem sie vergeblich träumten. Hätten sie nicht verloren, wären sie nicht in die Geschichte und ihre Träume eingegangen. So lebt Valeri frei von Zwängen, kann ihren Gefühlen und ihrer Bestimmung folgen, wird als Persönlichkeit an sich anerkannt, all ihr Streben sind zeitgemäße Tugenden, weit davon entfernt, als Verrücktheit abgeurteilt zu werden – nicht einmal die von Valeri erfundenen Design-Toilettensitze und singenden Klospülungen.
Und noch eine achte Rolle hat Clarissa Hopfensitz inne: Die der Autorin – sie hat sich selbst das Stück quasi auf den Leib geschrieben. Die extrem enge Verflechtung von Inhalt, Inszenierung und Spiel wurde in Hollfeld mit minutenlangem Applaus und drei Vorhängen gewürdigt.
Der Spielplan mit weiteren 16 Aufführungen findet sich online unter www.theatersommer.de
Ronald Hummel
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