Dreidimensionale Bilder vom Netzwerk kleinster Blutgefäße: ein neues hochauflösendes Verfahren aus Bayreuth
Was auch mit neuesten bildgebenden Techniken in der Medizin bisher nicht möglich war, ist einem interdisziplinären Team der Universitäten Bayreuth und Marburg jetzt gelungen: eine hochauflösende Darstellung kleinster Blutgefäße des Menschen, die in Organen wie der Milz oder dem Knochenmark enthalten sind. Die Forscher haben ein Verfahren entwickelt, welches das hochkomplexe Netzwerk dieser Blutgefäße in Gewebeproben dreidimensional sichtbar macht. Wie die neue Technik funktioniert, zeigen sie in den Zeitschriften Medical Image Analysis und PLOS ONE.
Die Wissenschaftler um Prof. Dr. Michael Guthe und Dr. Oleg Lobachev in Bayreuth (Informatik) und Prof. Dr. Birte Steiniger in Marburg (Anatomie) nutzen eine Methode, die in der Medizin und der Biologie unter der Bezeichnung „Immunhistologie“ bekannt ist. Damit können Moleküle, die nur in Zellen der Innenwände von Blutgefäßen vorkommen, sichtbar markiert werden. Dies ist allerdings nur mit Hilfe feiner Scheiben möglich, die mit einem speziellen Schneidegerät aus einer Gewebeprobe herausgetrennt werden und nur fünf bis sieben Tausendstel eines Millimeters dick sind. Bei dem neuen, in Bayreuth und Marburg entwickelten Verfahren werden diese Gewebeschnitte zunächst mit einem Scanmikroskop fotografiert. Anschließend müssen die Bilder vieler aufeinanderfolgender Schnitte exakt übereinandergelegt werden, um den dreidimensionalen Verlauf der Blutgefäße zu rekonstruieren. Hierbei tritt jedoch ein grundsätzliches Problem auf: Weil die Schnitte so extrem dünn sind, verzerrt sich das Gewebe beim Schneiden. Es treten unterschiedliche Verzerrungen innerhalb jedes einzelnen Schnitts auf, so dass sich aneinandergrenzende Schnitte einer Serie nicht mehr korrekt zusammenfügen lassen.
Wirklichkeitsgetreue Abbildungen durch ein neues Softwaresystem
Den Bayreuther Informatikern ist es nun gelungen, dieses Problem mit Hilfe eines von ihnen entwickelten Softwaresystems zuverlässig zu lösen. Die vom System automatisch bereinigten Daten werden an einen leistungsstarken Rechner übermittelt und in hochauflösende dreidimensionale Bilder übersetzt. Dabei werden auch die Größenverhältnisse der Blutgefäße wirklichkeitsgetreu abgebildet. „Unser Verfahren ist von großem Interesse für die medizinische Grundlagenforschung, die das komplexe Geflecht von Blutgefäßen in der Milz und im Knochenmark bis heute nicht präzise durchschaut hat. Für den Einsatz in der medizinischen Diagnostik ist es allerdings beim derzeitigen Stand der Technik noch zu langsam, weil enorme Datenmengen verarbeitet werden müssen“, erklärt Prof. Guthe.
Die bisherigen Untersuchungen haben bereits zu überraschenden Erkenntnissen geführt. So hat sich herausgestellt, dass die feinsten Blutgefäße in der Milz offen enden und das Blut für eine kurze Strecke außerhalb von Blutgefäßen fließt. Im blutbildenden Knochenmark des Beckenkamms verlaufen die beiden bisher bekannten Arten feinster Blutgefäße (Kapillaren) vermutlich nicht hintereinander, sondern nebeneinander. Darüber hinaus zeigte sich, welche Antikörper man verwenden muss, um beide Gefäßarten gleichzeitig nachzuweisen und somit die feinsten Gefäße im Knochenmark vollständig darzustellen.
„Unser Forschungsprojekt ist nicht zuletzt dadurch möglich geworden, dass die Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Klinikums der Philipps-Universität Marburg uns Knochenproben aus dem Beckenkamm überlassen hat – im Einverständnis mit den Patienten und mit der zuständigen Ethikkommission. Diese Proben waren nach Operationen übriggeblieben, bei denen Knochendefekte mit Material aus dem Beckenkamm behoben wurden. Weitere Gewebeproben stammten von Patienten, denen die Milz wegen eines lebensbedrohlichen Risses bei einer Bauchverletzung entnommen werden musste“, berichtet Prof. Steiniger.
Im Fokus weiterer Forschungsarbeiten: Lymphozyten
Die Arbeitsgruppen in Bayreuth und Marburg planen, feine Gefäße in weiteren lymphatischen Organen – beispielsweise in den Mandeln – sowie spezielle Gefäßabschnitte in der Milz zu untersuchen. Besonderes Interesse haben sie an den Lymphozyten. Diese für die Immunabwehr entscheidenden weißen Blutkörperchen bilden in den lymphatischen Organen rundliche Ansammlungen, sogenannte Follikel. Lymphfollikel haben ungefähr einen Millimeter Durchmesser. „Ein Millimeter bedeutet in der Mikroskopie eine enorme Größenordnung, die nur mit vielen hundert Serienschnitten zu erreichen ist. Wir versuchen deshalb, mit weniger Serienschnitten auszukommen, um verschiedene Zellarten in einem ganzen Follikel zu analysieren“, erklärt Prof. Guthe. Die Forscher wollen klären, wie Lymphozyten in Follikeln bei Immunreaktionen zusammenarbeiten und auf welchen Wegen sie ins Gewebe und in die Schleimhäute wandern.
Veröffentlichungen:
- Oleg Lobachev, Christine Ulrich, Birte S. Steiniger, Verena Wilhelmi, Vitus Stachniss, Michael Guthe, Feature-based multi-resolution registration of immunostained serial sections. Medical Image Analysis (2017) 35, doi: 10.1016/j.media.2016.07.010.
- Birte S. Steiniger , Vitus Stachniss , Verena Wilhelmi, Anja Seiler, Katrin Lampp, Andreas Neff, Michael Guthe, Oleg Lobachev, Three-dimensional arrangement of human bone marrow microvessels revealed by immunohistology in undecalcified sections. PLOS ONE (2016) 11, e0168173, doi: 10.1371/journal.pone.0168173.
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