Sonntagsgedanken: Trotz allem das Leben wagen
Als der überzeugte Protestant Georg Michaelis mitten in der Not, in den Wirrungen des 1. Weltkrieges Reichskanzler werden sollte, erbat er sich Bedenkzeit. Da las er das Bibelwort: „Der HERR, Dein Gott, ist mit Dir in allem, was Du tun wirst.“Daraufhin nahm er das Angebot Kaiser Wilhelm II. an, ein Fehler. Er war nicht der Richtige für diese Aufgabe.
Der Berliner Bürgermeister Fritz Reuter drückt die gleiche Erfahrung in seiner Grabinschrift so aus:
„Der Anfang, das Ende, o HERR, sie sind Dein,
die Spanne dazwischen, das Leben, war mein.
Und irrt‘ ich im Dunkel und fand nicht heraus:
bei Dir, HERR, ist Klarheit und Licht ist Dein Haus.“
Heute tasten wir auch den Anfang, das Ende des menschlichen Lebens an. Die Eltern wollen selbst entscheiden, ob und wann sie Kinder in die Welt setzen und der Druck wächst, behinderte im Mutterleib zu töten. Andererseits nehmen sich viele das Recht, ihr Leben selbst zu beenden. Ich denke, es fehlt uns Menschen manchmal die heilige Scheu, die Ehrfurcht vor dem Leben.
Auch Christen können sich irren, können trotz bester Absichten versagen, Schuld auf sich laden. Gottes Heiliger Geist aber begleitet uns seit dem Tag der Taufe, stärkt uns auf unserem Weg, geht mit uns ins Krankenhaus, ins Gefängnis. Auch die „Spanne“ zwischen Geburt und Tod liegt in Gottes Hand. Gerade auch hier soll der Christ sich konkret bewähren, indem er sich gründlich überlegt, was jetzt dran ist. Niemand soll sich deswegen unter Druck gesetzt fühlen oder andere unter Druck setzen. Gott will, dass ich das Gute tue, dass ich glücklich bin. Woher weiß ich das? Lesen wir doch täglich in der Bibel, öffnen wir uns betend seinem Heiligen Geist.
Dass die Bibel selbst bei überzeugten Christen, bei vielbewunderten Genies einen lebenslangen Kampf gegen die menschliche Schwäche führen muss, verrät folgende Anekdote: auf den Großvater des oben erwähnten Kaisers wurde ein Attentat verübt. Der alte Mann brach blutüberströmt zusammen. Reichskanzler Otto von Bismarck tobte vor Wut. Doch las er abends die Tageslosung in der Bibel: „Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können.“ Der Kanzler konnte sich freilich noch nicht ganz von der Macht der Rachsucht befreien, denn er schrieb an den Rand: „Aber Schufte sind sie doch.“
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Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
Infos zu Christian Karl Fuchs:
- geb. 04.01.66 in Neustadt/Aisch
- Studium der evang. Theologie 1985 – 1990 in Neuendettelsau
- Vikariat in Schornweissach-Vestenbergsgreuth 1993 – 1996
- Promotion zum Dr. theol. 1995
- Ordination zum ev. Pfarrer 1996
- Dienst in Nürnberg/St. Johannis 1996 – 1999
- seither in Neustadt/Aisch
- blind
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