Bamberger Psychologe entwickelt Schmerzmessinstrument für Demenzkranke

Symbolbild Bildung

Das Schmerzunglück

Rund 1.5 Millionen Patientinnen und Patienten in Deutschland sind demenzkrank. Etwa jeder zweite von ihnen leidet unter chronischen Schmerzen, die nicht erkannt und daher nicht behandelt werden. Der Grund: Demenzkranke können Schmerz wegen ihrer kognitiven Störung nicht mehr sprachlich präzise benennen, da Gedächtnisleistung, Denkvermögen und Kommunikationsfähigkeit im Verlauf der Krankheit immer weiter abnehmen. Hilfe tut Not: Zahlen zeigen, dass nach einer Hüft-OP die demenzkranken Patientinnen und Patienten lediglich ein Drittel der Schmerzmittelmenge erhielten, die die gesunde Vergleichsgruppe nach der gleichen OP nötig hatte.

„Demenzkranke Menschen leiden großes Schmerzunglück“, sagt Prof. Dr. Stefan Lautenbacher, Inhaber der Professur für Physiologische Psychologie an der Universität Bamberg. Er forscht zu den alternativen Kommunikationsformen, die Demenzkranke nutzen, um Schmerz auszudrücken. Diese – meist nonverbalen – Kommunikationswege sind für die Pflegekräfte nur schwierig zu deuten. Lautenbacher hat ein Schmerzmessinstrument entwickelt, das Abhilfe schafft.

Schmerzmessinstrument soll Abhilfe schaffen

Ein einfach anzuwendendes, europaweit gültiges Schmerzmessinstrument in Form eines Fragebogens will demenzkranken Patienten und ihren Pflegekräften in Zukunft helfen: Unter Lautenbachers Vorsitz forschten Expertinnen und Experten aus 16 Ländern dazu, welche Kommunikationswege Demenzkranke nutzen und wie diese erkannt werden können. Finanziell gefördert wurde das interdisziplinäre Projekt mit vierjähriger Laufzeit von der European Cooperation in Science and Technology (COST).

Lautenbacher beschäftigte sich zunächst auf nationaler Ebene mit der Decodierung von Schmerz. Er untersuchte, wie kognitiv Beeinträchtigte Schmerz ausdrücken und was davon Pflegekräfte und Angehörige erkennen können. Dafür lud er etwa 60 Pflegekräfte ein und zeigte ihnen Videoaufnahmen, die mimische Reaktionen von demenzkranken und gesunden Probanden mit Schmerzen zeigen. Die Untersuchungsteilnehmer sollten beurteilen, wie viel Schmerz sie in den Gesichtern sahen. In einer weiteren Studie schrieb er über 250 Alten- und Pflegeheime an und ließ rund 400 Altenpfleger mit dem entwickelten Fragebogen die Mimik ihrer Schutzbefohlenen bei potentiell schmerzhaften Verrichtungen wie Körperhygiene, Aufstehen oder Umbetten beurteilen.

Schmerzcodierung und -decodierung international erforscht

Im Anschluss an ihre eigenen nationalen Studien ließ Lautenbacher die europäischen Expertinnen und Experten die Ergebnisse diskutieren. Das Fazit: Körperhaltung, Mimik und Vokalisation bieten die besten Anzeichen für Schmerz. Unruhiges Umherwandern im Altenheim, Hinken oder Reiben einer Körperstelle kann ebenso ein Zeichen von Schmerz sein wie verschiedene Gesichtsausdrücke. Äußerungen wie „Au“, „o weh“ oder verschiedene Atemstile, Klagen und Stöhnen funktionieren ebenso als Schmerzindikatoren.

Die 62 europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der COST-Action entwickelten auf Basis dieser Untersuchungsergebnisse ein Schmerzmessinstrument für Patientinnen und Patienten mit kognitiven Störungen und trugen Testfragen zusammen. Aktuell listet dieser Fragebogen 36 Anzeichen für Schmerzen auf, die die Pflegekräfte durch Beobachtung ihrer Patientinnen und Patienten entdecken können.

Mittlerweile ist das Messinstrument in sechs Sprachen übersetzt und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Um seine Forschungsergebnisse schnellstmöglich in den pflegerischen Bereich zu tragen, plant Lautenbacher ab 2016 Schulungen für Pflegekräfte, um das Schmerzunglück der Demenzkranken zu lindern.

Weitere Informationen  unter:
www.uni-bamberg.de/kommunikation/news/artikel/schmerzunglueck