Artikelserie “Energiewende – muss das sein?”: 24. Sicherheit und Risiko – Atomkraftwerke
Atomkraftwerke sind sicher! So wird es von Atomkraftbefürwortern immer wieder in die Diskussion geworfen. In gewissem Sinne ist das auch richtig. Es gibt kaum einen technischen Bereich, bei dem so viel in die Sicherheit investiert wird wie in die Bereiche Schienenverkehr und Luftfahrt (in Deutschland) sowie international in die Bereiche Raumfahrt und Atomkraftwerke. Trotzdem passieren in all diesen Bereichen Unfälle! Warum?
Diskussionen über die Sicherheit von Kernkraftwerken enden meist mit der Feststellung: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, ein kleines Restrisiko bleibt immer. Was ist eigentlich Sicherheit und Risiko? Kann man diese bewerten?
Details über das technische Sicherheitskonzept für Kernkraftwerke siehe hier.
Störungen und Unfälle in kerntechnischen Anlagen sind international meldepflichtig. Dies ist wegen der eventuellen überregionalen Gefährdungssituation erforderlich und sollte auch so schnell wie möglich erfolgen. Sie werden in 8 Stufen der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INRS) klassifiziert. Die 4 Stufen 0 bis 3 gelten als „Störfälle“. Hierzu gehören auch solche Störungen, die in jedem anderen Kraftwerk auch passieren können (z.B. ein Transformatorbrand), die aber im Fall von Kernkraftwerken von den Medien gerne hochgespielt werden. In der Stufe 3 – ernster Störfall – kommt es bereits zu schwerer Kontamination und Gesundheitsschäden beim Personal und ein Teil der mehrstufigen, gestaffelten Sicherheitsvorkehrungen ist ausgefallen. Für die Bevölkerung schädliche Strahlung ist aber noch nicht ausgetreten. Die Stufen 4 bis 7 gelten als „Unfälle“. Es kommt zu Schäden am Reaktorkern und schädliche Strahlung kann austreten. Heute bezeichnet man die Stufen 4 bis 6 als GAU (Auslegungsstörfall), die Stufe 7 – katastrophaler Unfall – als SuperGAU, die sog. Kernschmelze. Die Definition: „Die Auswirkungen sind die komplette Zerstörung der Anlage, schwerste Freisetzung von Radioaktivität, Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt in einem weiten Umfeld, gesundheitliche Spätschäden über große Gebiete, ggf. in mehr als einem Land“.
Nach der deutschen Rechtslage dürfte somit ein Unfall der Stufe 7 gar nicht möglich sein. Denn seit 1994 gilt in Deutschland ein Gesetz, dass „… die Auswirkungen einer möglichen Kernschmelze nicht über den Zaun des Reaktorbetriebsgeländes hinaus gehen dürfen“ (so der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Roßnagel in einem Interview). Eine technische Unmöglichkeit, d.h., in Deutschland dürfte nach dieser Rechtslage kein neues Kernkraftwerk mehr genehmigt werden. Allerdings wurden alle deutschen Kernkraftwerke auch vor 1994 genehmigt und die anderen europäischen Kernkraftwerke unterliegen ohnehin nicht deutschem Recht.
Seit der kommerziellen Nutzung der Kernenergie in Kraftwerken kam es seit 1957 zu 16 Unfällen; fünf der Kategorie 4; sieben der Kategorie 5 und vier der Kategorie 7 – einem im Kernkraftwerk in Tschernobyl und drei in den nebeneinander liegenden Kernkraftwerken in Fukushima. Letztere im selben Zeitraum durch dieselbe Ursache, ein Erdbeben mit nachfolgendem Tsunami.
Dies sind nur die Unfälle in Kernkraftwerken, ohne die in sonstigen kerntechnischen Anlagen, wie Versuchsanlagen, bei der Brennelemente-Herstellung oder in Wiederaufbereitungsanlagen. Eine komplette Liste von Unfällen in kerntechnischen Anlagen mit Details ist im Internet veröffentlicht.
Wenn irgendwo ein Unfall passiert, wird die Unfallursache relativ schnell in einen der 3 großen Bereiche eingeordnet: technisches Versagen, menschliches Versagen oder höhere Gewalt. Die Grenzen zwischen diesen Bereichen sind aber fließend, wie wir noch sehen werden. Tschernobyl war eindeutig „menschliches Versagen“, Fukushima wurde in „höhere Gewalt“ eingeordnet. Das zeigt, wie auch der jüngste tragische Unfall bei Germanwings, dass sich Sicherheitsbewertungen nicht nur auf die technische Sicherheit abstützen dürfen.
Im Zusammenhang mit Fukushima geisterte eine Zahl durch die Presse: „Eine Kernschmelze kommt nur einmal in 10.000 Jahren vor“. Wie kommt man zu solch einer Aussage? Ist sie seriös? Was bedeutet sie? Welche Unfallursachen sind damit abgedeckt? Ist das ein Maß für die „nicht absolute Sicherheit“? Oder für das „kleine Restrisiko“? Diesen Fragen wollen wir in den nächsten Ausgaben nachgehen.
Dieter Lenzkes
Bürger-für-Bürger-Energie
www.bfb-energie.de
Neueste Kommentare