Sonntagsgedanken: Vom Segen des Gesprächs
In seinem Drama „Mutter Courage“ lässt Bert Brecht einen Militärgeistlichen vollmundig erklären, er könne so predigen, dass den Leuten Hören und Sehen vergehe. Dazu meint die Titelheldin lakonisch: „Ich will doch gar nicht, dass mir Hören und Sehen vergehen.“ Wir Pfarrer predigen oft über die Köpfe der Gemeindeglieder hinweg, an ihnen vorbei, vielleicht sehr geistreich, vielleicht sozialkritisch, all das in bester Absicht und gut vorbereitet, oft aber vergebens.
Schauen wir anstatt zu klagen lieber hin, wie es Jesus macht:
Er traf die Samaritanerin bei einer x-beliebigen Gelegenheit am Dorfbrunnen, dem Kommunikationszentrum des Altertums. Wo gibt es solche Treffpunkte bei uns? Die Möglichkeiten zur zwanglosen Begegnung werden ja immer seltener. Stammtische oder Tante-Emma-Läden verschwinden zunehmend. Aber wir können auch beim Spazierengehen, in der Kantine, während der Zugfahrt miteinander ins Gespräch kommen. Neuerdings hat sich das Internet zum globalen Kommunikationsplatz entwickelt.
Jesus bittet die fremde Frau um ihre Hilfe, um etwas Wasser in dieser Mittagshitze. Er ist nicht zu stolz, seine Schwäche einzugestehen. Wir dagegen tun uns oft schwer damit, wollen als selbstsicher und unabhängig erscheinen. Wer eine Schwäche zugibt, gilt ja nichts in unserer scheinbar so freizügigen, in Wahrheit aber gnadenlosen Leistungs- und Spaßgesellschaft. Jesus wendet sich an eine Frau, höchst ungewöhnlich für einen jüdischen Rabbi jener Tage, er wendet sich an eine Samaritanerin, obwohl doch Juden und Samaritaner bitter verfeindet waren, ja er wendet sich an eine Frau, die in ihrer eigenen Gesellschaft ganz unten steht. Er überschreitet die sozialen und nationalen Schranken, durchbricht Tabus und Vorurteile. Würden wir heute etwa einen kurdischen Asylbewerber, einen Obdachlosen um Hilfe bitten?
Fünfmal war die Samaritanerin verheiratet, nicht aus sexueller Unersättlichkeit, sondern aus Not, denn eine alleinstehende Frau konnte sich damals nicht durchs Leben schlagen. Das mosaische Gesetz verlangte die sogenannte Schwagerehe, dass also ein Verwandter die Witwe ehelichte. Wie sah es in so einer erzwungenen Ehe wohl aus? Doch diese unbekannte Samaritanerin stand trotz allem fest in ihrem Glauben. Das Schlimmste am Unglück ist ja nicht das Elend selbst, sondern der Umstand, dass viele so Getroffene bitter und selbstmitleidig werden, abstumpfen. Jesus aber geht auf diese Frau ein, nimmt sich Zeit für sie, nimmt sie gewissermaßen bei der Hand, um sie den rechten Weg zu führen. Könnten doch auch wir so einfühlsam, so vorsichtig, so geduldig und zugleich so glaubensstark mit unseren Mitmenschen reden wie Jesus!
Weitere Sonntagsgedanken
Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
Infos zu Christian Karl Fuchs:
- geb. 04.01.66 in Neustadt/Aisch
- Studium der evang. Theologie 1985 – 1990 in Neuendettelsau
- Vikariat in Schornweissach-Vestenbergsgreuth 1993 – 1996
- Promotion zum Dr. theol. 1995
- Ordination zum ev. Pfarrer 1996
- Dienst in Nürnberg/St. Johannis 1996 – 1999
- seither in Neustadt/Aisch
- blind
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