Universität Bayreuth: Wie forschungsstark sind Absolventinnen und Absolventen der Volkswirtschaftslehre?
Fallstudie zu US-amerikanischen Universitäten führt zu teilweise überraschenden Ergebnissen
Anzahl und Qualität wissenschaftlicher Publikationen von promovierten Hochschulabsolventinnen und -absolventen sind in der Regel entscheidend für die weitere Laufbahn in Universitäten und Forschungseinrichtungen. Dies gilt insbesondere auch für wissenschaftlichen Nachwuchs auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre – nicht zuletzt in den USA, wo einige wenige Spitzenuniversitäten wie Harvard oder MIT als außergewöhnlich forschungsstark und daher auch als besonders karrierefördernd für den wissenschaftlichen Nachwuchs gelten. Aber trifft es zu, dass die Absolventinnen und Absolventen dieser Universitäten im Bereich „Economics“ besonders publikationsstark sind? Dr. Ali Sina Önder, Volkswirt an der Universität Bayreuth, ist mit seinem U.S.-amerikanischen Kollegen John P. Conley von der Vanderbilt University dieser Frage genauer nachgegangen. Die Ergebnisse ihrer Studie haben sie im „Journal of Economic Perspectives“ veröffentlicht.
Die beiden Autoren haben die Publikationsleistungen promovierter Absolventinnen und Absolventen von 30 Top-Universitäten sowie von einer Gruppe weiterer, auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre geringer gerankter Universitäten ermittelt und miteinander verglichen. Dabei wurden alle Forschungsbeiträge erfasst, die in den sechs Jahren nach einer zwischen 1986 und 2000 erfolgten Promotion erschienen sind. Um die Publikationsleistungen miteinander vergleichen zu können, sind die beiden Autoren wie folgt verfahren: Sie haben die renommierte Zeitschrift „American Economics Review“ – kurz: AER – als Ausgangspunkt verwendet und errechnet, wieviele Forschungsbeiträge in anderen wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften einer AER-Publikation entsprechen.
Forschungsstarker Nachwuchs bildet eine kleine Spitzengruppe
Die Ergebnisse sind in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Zunächst stellte sich bei einer Untersuchung quer durch alle Universitäten heraus, dass ein hoher Anteil der wissenschaftlichen Produktivität auf einen vergleichsweise kleinen Personenkreis entfällt. 1 Prozent der Absolventinnen und Absolventen veröffentlichten 13 Prozent aller in der Studie erfassten Forschungsbeiträge, 20 Prozent von ihnen sogar 80 Prozent dieser Forschungsbeiträge. „Es gelingt also nur einem sehr kleinen Teil der Studierenden im Fach Volkswirtschaftslehre, nach der Promotion in die Spitzengruppe des forschungsstarken Nachwuchses aufzusteigen. Der Wettbewerbsdruck ist offensichtlich sehr stark – darüber sollten sich insbesondere diejenigen im klaren sein, die bereits am Beginn ihres Studiums auf eine wissenschaftliche Laufbahn abzielen“, meint Dr. Önder, der in Bayreuth als Akademischer Rat am Lehrstuhl für Entwicklungsökonomie tätig ist.
Ein breites Leistungsspektrum an hoch gerankten Universitäten
Die Untersuchung zeigt auch, dass Absolventinnen und Absolventen hoch gerankter Universitäten innerhalb der Spitzengruppe des forschungsstarken Nachwuchses überdurchschnittlich stark vertreten sind. Innerhalb der 5 Prozent, die in den sechs Jahren nach ihrer Promotion am produktivsten waren, kamen 40 Prozent von den fünf am höchsten gerankten Universitäten, aber nur 10 Prozent von Universitäten, die im Ranking unterhalb der 30 besten angesiedelt sind.
„Dieser Vorsprung hoch gerankter Universitäten wird aber erheblich relativiert durch ein anderes Ergebnis unserer Studie, das uns am meisten überrascht hat“, erklärt Dr. Önder. Denn für alle Universitäten, die zu den Top 30 zählen, gilt: Der Anteil der Absolventinnen und Absolventen, die sich aufgrund ihrer Publikationen als besonders forschungsstark erweisen, ist viel geringer, als das Ranking dieser Universitäten vermuten lässt. Rund 80 Prozent der Absolventinnen und Absolventen, die an den Top 30-Universitäten promoviert haben, sind – gemessen an ihren Veröffentlichungen – ausgesprochen forschungsschwach: Was sie in den sechs Jahren nach ihrer Promotion veröffentlicht haben, entspricht bestenfalls 0,2 AER-Publikationen; ihre Publikationsleistung erreicht also – anders gesagt – bestenfalls ein Fünftel des Werts, den eine einzige Veröffentlichung im „American Economic Review“ hat. Insgesamt bleiben 90 Prozent der promovierten Absolventinnen und Absolventen, die von Top 30-Universitäten kommen, unterhalb einer Publikationsleistung, die 0,5 AER-Publikationen entspricht.
Aufstieg in die Spitzengruppe auch für Absolventinnen und Absolventen geringer gerankter Universitäten möglich Aus den Top 30-Universitäten geht also eine große Zahl promovierter Absolventinnen und Absolventen hervor, die im Durchschnitt nicht oder nicht erheblich forschungsstärker sind als promovierte Absolventinnen und Absolventen von geringer gerankten Universitäten. Von den letzteren Universitäten schaffen einige sogar den Aufstieg in die forschungsstärkste Spitzengruppe. „Unsere Studie zeigt also: Es ist ein ungerechtfertigtes Vorurteil, wenn man glaubt, promovierte Absolventinnen und Absolventen der Volkswirtschaftslehre seien allein schon deshalb für eine wissenschaftliche Laufbahn hervorragend qualifiziert, weil sie von besonders hoch gerankten Universitäten kommen“, so Dr. Önder. „Wenn über die Besetzung von Stellen in Hochschulen und Forschungseinrichtungen entschieden wird, sollte immer das individuelle Kompetenzprofil im Vordergrund stehen – und auch Bewerberinnen und Bewerbern weniger hoch gerankter Universitäten sollte eine Chance eingeräumt werden.“
Veröffentlichung: John P Conley and Ali Sina Önder, The Research Productivity of New PhDs in Economics: The Surprisingly High Non-success of the Successful, Journal of Economic Perspectives, 2014, 28(3), pp. 205-16.
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