Sonntagsgedanken: Erquicklicher als Licht
Johann Wolfgang von Goethe erdachte folgendes Gespräch:
„Wo kommst Du her?“ fragte der König die Schlange. „Aus den Klüften“, erwiderte die Schlange: „In denen das Gold wohnt.“ „Was ist herrlicher als Gold?“, fragte der König. „Das Licht“, sagte die Schlange. „Was ist erquicklicher als Licht?“, bohrte der König nach. „Das Gespräch“, versetzte die Schlange.
Die Schlange gilt in der christlichen Tradition als Symbol des Bösen, in anderen Kulturkreisen als Zeichen der Weisheit. Die Schlange hat in dieser kleinen Geschichte jedenfalls Recht: Heute gilt ja Reichtum als höchster anzustrebender Wert, was zu Neid und Mobbing führt. Wichtiger als materieller Reichtum ist die Fähigkeit, die zentralen Fragen des Lebens zu beantworten, die Frage nach dem Sinn, der Verantwortung des Lebens. Das „Licht“, von dem die Schlange spricht, verstehe ich daher als Sinnbild der Weisheit. Es genügt eben nicht, sich durchs Leben zu boxen, zu tricksen. Die Weisheit aber können wir nur im Gespräch, in der ehrlichen Begegnung mit anderen finden und verteidigen. Ich denke, wir reden oft übereinander, aneinander vorbei, lassen uns überschwemmen mit einer Sintflut aus Wortmüll, Tönen und Bildern aus allen Radio- und Fernsehkanälen. Aber wo bleibt die Fähigkeit zum echten, ehrlichen, vernünftigen Gespräch?
Jesus Christus hat viel mit seinen Zeitgenossen geredet, mit jungen und alten, gesunden und kranken, mit „gläubigen“ und asozialen Menschen. Er sprach bildkräftig, mitreißend. So brauchen wir in Familie, Schule, Büro, im Verein, in der Kirche eine offene Gesprächskultur, die sich am Geist des Evangeliums orientiert: Gottes grenzenlose Liebe, Gottes klare Gebote sollen wir nicht den Menschen an den Kopf werfen, sondern ihnen wie einen Mantel hinhalten, in den sie schlüpfen können. Das Gespräch mit Andersdenkenden bewahrt uns Christen vor Erstarrung und lässt uns auch von anderen Religionen lernen, etwa die ernste und bescheidene Selbstverständlichkeit, mit der viele Moslems ihren Glauben leben.
Weitere Sonntagsgedanken
Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
Infos zu Christian Karl Fuchs:
- geb. 04.01.66 in Neustadt/Aisch
- Studium der evang. Theologie 1985 – 1990 in Neuendettelsau
- Vikariat in Schornweissach-Vestenbergsgreuth 1993 – 1996
- Promotion zum Dr. theol. 1995
- Ordination zum ev. Pfarrer 1996
- Dienst in Nürnberg/St. Johannis 1996 – 1999
- seither in Neustadt/Aisch
- blind
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