Leserbrief: "Rücksichtnahme ist keine Einbahnstraße!"
Zum Leserbrief im Fränkischen Tag vom 8. August:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Zusammenhänge suggerieren, die es nicht gibt, anderen Forderungen in den Mund legen, die so gar nicht erhoben wurden, Maßnahmen emotional anzweifeln, ohne die Fakten einzubeziehen, sind beliebte Stilmittel der Auseinandersetzung – besonders in politischen Fragen. Leider ist im Einzelfall nicht immer zu erkennen: Liegt Absicht vor? Oder führt Unkenntnis zu teils abstrusen Aussagen?
Frau Gottlieb erkennt einen Widerspruch zwischen dem „Plan, ein Radwegenetz auszubauen“ und der „Forderung, die Radwegepflicht aufzuheben“:
Die Verengung des Themas Radverkehr auf „Radwege“ dient allein der Verdrängung der Radler von der Fahrbahn, um dem Auto freie Bahn zu schaffen. So war vor etwa 80 Jahren die neu eingeführte Benutzungspflicht seitens des zuständigen Verkehrsministeriums begründet worden. Das Radwegenetz auszubauen, ist in erster Linie eine Forderung von Autofahrern. Radverkehr kann auf vielfache Weise geführt werden. Straßenbegleitende Radwege sind nachweislich die unfallträchtigste Variante: eine hohe Zahl an Konfliktpunkten zum Fußverkehr, ein hohes Risiko, an Kreuzungen, Einmündungen und Grundstückszufahrten trotz eigener Vorfahrt mit Kraftfahrzeugen zu kollidieren.
Die Radwegbenutzungspflicht ist deshalb längst aufgehoben – seit Oktober 1997 in der Straßenverkehrs-Ordnung nachzulesen. Nur in begründeten Einzelfällen darf sie ausnahmsweise angeordnet werden: Nachweislich müßte sie eine örtlich bedingte, das allgemeine Maß erheblich übersteigende Gefahrenlage entschärfen. Allgemeine Sicherheitserwägungen anzuführen, ist – so die Rechtsprechung – unzulässig. Die Radwege müssen zwingend vorgegebene Qualitätskriterien einhalten und ausreichend Raum für Fußgänger belassen. Leider mißachten die meisten Verkehrsbehörden die eindeutige Rechtslage. Zwar unterliegen sie regelmäßig vor Gericht. Doch die meisten Radler scheuen diesen Weg – ist er doch zermürbend, zeitaufwendig und mit formaljuristischen Fallstricken gespickt.
Nicht benutzungspflichtige Radwege dürfen selbstverständlich freiwillig benutzt werden. Doch auch sie sollen Qualitätsstandards einhalten, was in Bamberg kein einziger straßenbegleitender Radweg, benutzungspflichtig oder nicht, auch nur annähernd tut. Wer aber auf dem Radweg fährt, muß um das Risiko dort wissen, darf somit nur verhalten und vorsichtig radeln. Vorfahrtsrechte sind hier weitgehend Makulatur. Warum jedoch sollten diejenigen, die zügig voran kommen wollen, von der sichereren Benutzung der Fahrbahn ausgeschlossen werden?
„Fußgänger auf die Straße schicken, damit sie besser wahrgenommen werden“? Dazu ist zweierlei anzumerken:
Fußgänger können, wollen sie eine querende Fahrbahn überschreiten, punktgenau anhalten, falls ein Fahrzeugführer nicht auf sie achtet. Fahrräder haben einen Anhalteweg. Wird ihnen plötzlich die Vorfahrt genommen, haben Radler fast keine Chance. Auf Radwegen ist diese Gefahr allgegenwärtig.
Der verkehrsberuhigte Bereich (Verkehrszeichen 325.1) greift das Mischungsprinzip auf. Leider läßt das deutsche Recht hier nur Schrittgeschwindigkeit für alle Fahrzeuge zu. Andernorts ist man flexibler (shared space, Begegnungszonen mit 10 oder 20 km/h zulässiger Höchstgeschwindigkeit, aber ohne Vorrang für den Fahrverkehr) und macht überwiegend gute Erfahrungen.
Die Straßenverkehrs-Ordnung läßt, von definierten Ausnahmen abgesehen, Beschränkungen des fließenden Verkehrs nur zu, wenn sonst außergewöhnliche Gefahr drohte. In der Konsequenz ist es den Verkehrsbehörden ausdrücklich untersagt, Radfahrern die Benutzung der Fahrbahn zu verbieten oder sie in Einbahnregelungen einzubeziehen, falls sie die Gefahrenlage nicht beweisen können. Die Freigabe von Einbahnstraßen für Radverkehr in Gegenrichtung hat durchgehend eine Senkung der Unfallzahlen bewirkt. Gefährlich wird es allenfalls, wenn die von Frau Gottlieb geforderte Rücksichtnahme fehlt.
Das angeführte Beispiel des etwa zehnjährigen Mädchens führt vollständig in die Irre und ist nicht geeignet, Frau Gottliebs Ausführungen zu untermauern. Die Korrektheit der Schilderung des Ablaufs vorausgesetzt, liegt offensichtlich ein Fehlverhalten des Kindes vor. Es hat den bevorrechtigten Gegenverkehr nicht beachtet. Das zum Zweck des Linksabbiegens erfolgte Einordnen auf der Fahrbahn hingegen ist nicht zu bemängeln. Es ist gemäß StVO auch dann zulässig, wenn es einen benutzungspflichtigen Radweg gibt.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Mädchen altersbedingt die Geschwindigkeit des entgegenkommenden Autos falsch eingeschätzt hat. „Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist“, bestimmt die StVO deshalb in § 3 (Geschwindigkeit), Abs. 2a. Rücksichtnahme ist keine Einbahnstraße – kein Autofahrer hat das Recht auf jederzeit freie Fahrt. Eine Vollbremsung mit quietschenden Reifen hätte gar nicht erforderlich sein dürfen! „Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann“, bei beengten Verhältnissen „innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke“ (StVO, § 3, Abs. 1).
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig
Martin-Ott-Straße 8
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