Leserbrief: "Straße wird fahrradgerechter?"

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Sehr geehrte Damen und Herren!

„Bei der Analyse von Unfallursachen bei Fahrbahnunfällen wurde ermittelt, dass Radfahrer zu nah am Fahrbahnrand und parkenden Fahrzeugen vorbeifahren. Die Vergrößerung des Seitenabstandes eines Radfahrers zum Fahrbahnrand und zu parkenden Kfz hat großes Potenzial, die ohnehin geringen Unfallzahlen von Radfahrern auf Fahrbahnen (im Vergleich zu fahrbahnbegleitenden Radverkehrsanlagen) weiter zu verringern. …

Der Öffnungsbereich von Autotüren erstreckt sich von etwa 80 cm bei schmalen Türen von viertürigen Kleinwagen bis etwa 1,5 m bei zweitürigen Coupés oder bei LKW“ (Seitliche Sicherheitsabstände, Grundlagen und Strategien zur Verkehrssicherheitsarbeit, Fachausschuß Radverkehr des ADFC und SRL, Juli 2011 – www.ADFC-Weimar.de/Download/Seitenabstand.pdf)

„Radfahrer müssen einen ausreichenden Sicherheitsabstand vom rechten Fahrbahnrand und insbesondere von parkenden Kraftfahrzeugen einhalten. Der Abstand muss so bemessen sein, dass den Radfahrer eine sich öffnende Autotür nicht in eine Gefahrensituation bringen kann“ (LG Berlin, Az. 24 O 466/95).

„Ein Radfahrer, der an einem haltenden Kfz vorbeifährt, hat grundsätzlich einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten, weil er – sofern das Kfz nicht erkennbar unbesetzt ist – stets damit rechnen muss, dass die Fahrertür zur Fahrbahn hin geöffnet wird“ (OLG Karlsruhe, Az. 10 U 283/77).

Die Stadt Bamberg sieht vor, auf der Pfisterstraße einen sogenannten „Schutzstreifen“ von 1,25 m Breite im Abstand von lediglich 50 cm zu den parkenden Kraftfahrzeugen anzulegen. Einen markierten Sicherheitsraum zum fließenden Kraftverkehr wird es nicht geben.

Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung sieht vor: „Ein Schutzstreifen … muss so breit sein, dass er einschließlich des Sicherheitsraumes einen hinreichenden Bewegungsraum für den Radfahrer bietet.“ 1,25 m Fahrweg zzgl. 0,50 m Sicherheitsraum abzgl. 0,80 m bis 1,50 m Abstand zum Parkstreifen – für den Radler (ca. 0,60 m Eigenbreite zzgl. je 0,20 m Pendelbereich zu jeder Seite) verbleiben 0,25 m bis 0,95 m. Schon im günstigsten Fall, das können sogar mathematisch weniger begabte Zeitgenossen unschwer nachvollziehen, ist nicht genügend Platz vorhanden. Noch nicht berücksichtigt ist, daß viele abgestellte Kraftfahrzeuge den markierten Abstand ganz oder teilweise mit in Anspruch nehmen – rund um die Uhr zu besichtigen bspw. am Radfahrstreifen auf der Hallstadter Straße.

Zwar stellt der „Schutzstreifen“ keine benutzungspflichtige Radverkehrsanlage dar. Von Rechts wegen ist jedem Radfahrer unbenommen, den erforderlichen Seitenabstand zu parkenden Kraftfahrzeugen einzuhalten. Die Realität indes sieht anders aus: Denn viele vertrauen der Markierung blind. Und eine nicht geringe Zahl Autofahrer, der Verkehrsregeln unkundig, wird unwirsch auf den vermeintlichen „Radweg“ verweisen – durch Hupen, Schimpfen, Abdrängen, Ausbremsen. Auf Hilfe durch Ordnungs- und Justizbehörden, das lehrt die Erfahrung, dürfen die Radler nicht hoffen.

„Autofahrer haben beim Überholen mindestens 1,5 m Seitenabstand einzuhalten“ (OLG Hamm, Az. 9 U 66/92)

„Ein Lkw-Fahrer handelt fahrlässig, wenn er eine Radfahrerin, die ein Kindergartenkind auf dem Fahrrad mit sich führt, mit einem Seitenabstand von einem Meter überholt; zwei Meter wären erforderlich gewesen“ (OLG Karlsruhe, 10 U 102/88).

„… wenn auf dem Fahrrad zudem noch ein Kleinkind im Alter von 5 Jahren transportiert wird … ist ein seitlicher Sicherheitsabstand von mindestens zwei Metern einzuhalten“ (OLG Naumburg, 12 U 29/05).

Angesichts der vorgeschriebenen Überholabstände ist leicht ersichtlich: Ob ein „Schutzstreifen“ markiert ist oder nicht – das regelgerechte Überholen eines Radfahrers mit Pkw, Bus oder Lkw ist auf der Pfisterstraße nicht ohne Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn möglich. Doch erneut zeigt die Realität: „Eine Untersuchung der Leeds University fand heraus, dass Fahrbahnmarkierungen wie eine Grenze wirken, auf die sich Autofahrer häufig zu sehr verlassen. … ist die Gefahr für Fahrradfahrer groß, von vorbeifahrenden Autos durch zu geringen Seitenabstand in einen Unfall verwickelt zu werden. … Andere Beobachtungen machten die Wissenschaftler auf Straßen, die es den Autofahrern beim Überholen selbst überließen, den seitlichen Abstand zu Radfahrern zu wählen. Auch sank die Überholgeschwindigkeit auf diesen Straßen deutlich“ (The Independent, 14.9.2009). Andere Untersuchungen wie auch die tägliche Anschauung bestätigen das Ergebnis.

„Die ursächliche Beteiligung mangelnder seitlicher Abstände beim Überholen wird nur in Fällen der Berührung der Unfallpartner dokumentiert. …

Vermutlich sehr viel häufiger, wenn man Alleinunfallschilderungen hört, allerdings noch schwieriger zu erfassen und noch weniger untersucht, sind die Unfälle aufgrund der indirekten Einwirkungen: Druckschwankungen, die Radfahrer nicht genügend ausgleichen können, Fahrfehler aufgrund von Erschrecken, Verlassen des befestigten Bereichs der Fahrbahn während des Ausweichens und auch das Überfahren und Stürzen an baulichen Trennungen wie Fahrbahn- oder Bordsteinkanten.

Diese Ursachen zu erkennen, erfordert eine vertiefte Fachkenntnis, die man bei den ermittelnden Polizeibeamten nicht voraussetzen kann, sondern Gutachtern vorbehalten muß. …

In der Erwartung, dies seien Defizite in den Fahrfertigkeiten von Radfahrern, werden diese Unfälle leicht und auch von den Radfahrern selbst als Alleinunfälle gewertet, nicht zur Anzeige gebracht und in der Regel auch durch Fahrerflucht des/der beteiligten Kraftfahrer begleitet“ (Seitliche Sicherheitsabstände, ADFC und SRL).

Die nordrhein-westfälische Stadt Soest, etwas kleiner als Bamberg und mit vergleichbar hohem Fahrradanteil im Verkehr, hat erste Konsequenzen gezogen: „Im engen Straßenraum fuhren die Radler sehr dicht an den parkenden Autos vorbei, um fahrende Pkw überholen zu lassen, und waren somit der Gefahr sich öffnender Türen ausgesetzt. Nach der Prüfung alternativer Lösungen entschied sich die Stadt Soest dazu, einen Radfahrstreifen in der Fahrbahnmitte einzurichten, so dass Pkw und Busse fortan bei gemäßigter Geschwindigkeit hinter den Radfahrern verbleiben“ (Manfred Scholz, Fahrradbeauftragter der Stadt Soest – http://www.nationaler-radverkehrsplan.de/praxisbeispiele/anzeige.phtml?id=2228).

Schlußanmerkungen:

Der sogenannte „Schutzstreifen“ auf der Pfisterstraße zeitigt nur zwei Effekte: Radfahrer werden angehalten, den erforderlichen Seitenabstand zum ruhenden Kraftverkehr nicht einzuhalten. Kraftfahrer werden verleitet, die Radler ohne ausreichenden Seitenabstand zu überholen. Das Unfallrisiko wird erheblich ansteigen. „Besser keine als eine schlechte Radverkehrsanlage!“ fordert die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern aus gutem Grund: „Insbesondere sind ausreichende Sicherheitsräume zu angrenzenden Verkehrsflächen, z.B. zu Kfz-Parkstreifen, erforderlich“ (Radverkehrshandbuch Radlland Bayern, Mai 2011).

An dieser Stelle ist zwingend zu erwähnen: Nicht eine der bereits bestehenden Radverkehrsanlagen im Verlauf der hier in Rede stehenden Cityroute 8 entspricht auch nur entfernt den Qualitätsanforderungen der einschlägigen Rechtsnormen und technischen Regelwerke. Der geplante „Schutzstreifen“ weist zwar das (für unvermeidbare Engstellen) vorgesehene Mindestmaß (Regelmaß wäre 1,50 m) auf, der (allerdings nur theoretisch gegebene) Abstand zum Parkstreifen sogar Regelbreite. Doch nicht umsonst dürfen seit der letzten StVO-Neufassung solche „Schutzstreifen“ markiert werden, wenn sie nicht (!) der Verkehrssicherheit dienen:

„Um die Anlage von … Schutzstreifen zu fördern, wird … eine Ergänzung des § 45 Absatz 9 vorgenommen. Denn diese Radverkehrsanlagen dürften in den wenigsten Fällen unter Verkehrssicherheitsaspekten zwingend geboten sein“ (Begründung zur im April 2013 in Kraft getretenen Neufassung der StVO). „Es soll“ also nicht „mehr Raum für die einzelnen Verkehrsarten zur Verfügung stehen“, wie die Stadt Bamberg lt. Fränkischen Tags vom 26. Juli behauptet. Vielmehr ist beabsichtigt, den Radverkehr unter Mißachtung seiner Sicherheit an die Seite zu drängen, um dem motorisierten Verkehr Priorität einzuräumen.

Alle vorstehend genannten Fakten sind der Stadtverwaltung und den zuständigen Behörden lange bekannt, da – teils wiederholt – mitgeteilt. Gleiches gilt für die Medien und große Teile der Kommunalpolitik. Somit erfolgen Planung, Realisierung und unkritische Berichterstattung sehenden Auges. Die Verantwortung für zu erwartende Unfälle und die sinkende Attraktivität des Radverkehrs aber wird kaum jemand übernehmen wollen.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig
Martin-Ott-Straße 8

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  1. AntiGravEinheit@gmx.de sagt:

    Sehr guter Leserbrief. All diese Dinge kann ich auch aus eigener Erfahrung bestätigen.

    Fehlt nur eines:
    Links(!) neben einem normalem Radweg, der geradeaus führt, befindet sich in aller Regel noch eine Rechts(!)abbiegespur.
    Wäre mal interessant zu sehen, wie Kraftfahrer reagieren, wenn dies auch so auf der für den Kraftfahrzeugverkehr vorgesehenen Straße so vorkommen würde. Aber mit Radfahrern kann man das ja machen.