Die Entschleunigung des Fotografierens
Deutsches Kameramuseum Plech: Der Workshop Großbildfotografie versetzte die begeisterten Teilnehmer in die Zeit vor gut 100 Jahren
Hoch zufriedene, um nicht zu sagen hellauf begeisterte Teilnehmer, ein überglücklicher Kursleiter, jede Menge gelungener Schwarzweißaufnahmen, unwiederbringliche Farbfotos von der Outdoor-Location des Wochenendes, der Geisterstadt Kansas City im derzeit geschlossenen Fränkischen Wunderland in Plech, und die Gewissheit, das Deutsche Kameramuseum mit diesem Zusatzangebot noch bekannter zu machen und weitere Alleinstellungsmerkmale aufzubauen – das ist die Bilanz des ersten Workshops im Plecher Museum. Wo sonst haben Fotoamateure jemals die Gelegenheit, mit einer 115 Jahre alten Studiokamera aus Urgroßvaters Zeiten Porträts zu fotografieren oder sich mit so einem Prachtstück auf 25 x 25 Zentimeter Negativgröße selbst ablichten zu lassen? Und die Plecher Museumsmacher haben für heuer noch einige Pfeile im Köcher, oder, um es fotografisch auszudrücken, einige Spezialfilme im Fotokoffer. Fazit des erfahrenen Amateurfotografen Stefan Lorenz aus München: „Ein sensationelles Wochenende“.
Kursleiter Jens Werlein (55), hauptberuflich Dozent an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd und seit einigen Monaten auch Mitglied im Förderverein Kameramuseum in Plech e.V., hat den Putzmittelraum im Kameramuseum mit einfachsten Mitteln in ein voll funktionsfähiges Fotolabor umgewandelt, eine moderne Rotlichtleuchte fand sich ebenfalls im Depot, und vor allem war die Auswahl an geeigneten antiken Fotoapparaten schon sehr komfortabel. Die Teilnehmer des dreitägigen Workshops Großbildfotografie bekamen nach der theoretischen Einführung und den ersten – übrigens auf Anhieb gelungenen – Porträtaufnahmen im improvisierten Fotostudio im Museum jeweils eine alte 9 x 12-cm-Plattenkamera in die Hand gedrückt und es ging in das in dieser Saison geschlossene Fränkische Wunderland, wo die Geisterstadt Kansas City als exklusive Location für das Outdoor-Shooting zur Verfügung stand.
Und da zeigte sich schnell, dass das Fotografieren mit alten Kameras ohne Sucher (nur mit Mattscheibe), ohne Scharfstell- und Belichtungsautomatiken, doch eine andere Herangehensweise erfordert als das heute übliche unbekümmerte Knipsen mit Iphone oder Digitalkamera, die dem Fotografen schließlich alle technischen Probleme lösen bevor er sie überhaupt wahrnimmt. Und ebenso schnell erwies sich, dass die Entschleunigung des Fotografierens durch die bewusste Gestaltung einzelner Aufnahmen sehr befriedigend ist. Man erstellt eben nicht serienweise belanglose Schnappschüsse („Wird schon was Brauchbares dabei sein…“), sondern komponiert wohlüberlegte Unikate, kleine Kunstwerke.
Während bei den Bildern, die im Museums-Studio entstanden, die technische Kontrolle (Belichtung, Schärfe) schon nach wenigen Minuten Dunkelkammerarbeit möglich war, wurden die Workshop-Teilnehmer beim Fotografieren im Westernpark schwer auf die Geduldsprobe gestellt: Erst Stunden nach den Aufnahmen, nach der Rückkehr ins Museum am Spätnachmittag, konnten die Negative entwickelt und begutachtet werden.
Das war dann auch der Sinn des Workshops: Sorgfältiges Planen der Aufnahmen – übrigens auf preiswertem Fotopapier statt auf teuren Planfilmen – gründliche technische Vorbereitung vom exakten Positionieren auf dem Stativ über die penible Schärfeeinstellung per Mattscheibe unter dem berühmten schwarzen Fotografentuch bis zur vorher eingeübten „händischen“ Langzeitbelichtung mit dem Drahtauslöser („Einundzwanzig, zweiundzwanzig…“): Fotografieren wie zu Urgroßvaters Zeiten. Man erahnt, warum der Fotografenberuf früher eine Meisterprüfung erforderte…
Übrigens: Sollten sich noch genügend Interessenten im Museum melden, wird dieser Kurs Großbildfotografie noch heuer wiederholt.
Die Museumsmacher sind bereits dabei, für das kommende Jahr ein Kursprogramm auszuarbeiten, das ebenso attraktive Locations und Themen bieten wird wie beim ersten Mal. Für heuer stehen noch drei ausgesprochene Höhepunkte an: Der Vortrag des bekannten deutschen Fotojournalisten Herbert Piel über sein Leben und sein Werk am Samstag, 8. November, 19 Uhr, in der Mehrzweckhalle der Grundschule in Plech (http://www.kameramuseum.de/175-jahre-fotografie/piel-vortrag.htm), die Fotoausstellung „Wahnsinn! Wahnsinn! Wahnsinn! 25 Jahre Fall der Berliner Mauer“ vom 9. bis 30. November mit Arbeiten der drei Fotografen Jens Werlein, Herbert Piel und Kurt Tauber und der Vortrag von Dieter Kandel, dem ehemaligen Einkaufsleiter des größten Fotohauses der Welt, mit dem Thema „Foto Quelle – Geschichte und Geschichten“ am Sonntag, 16. November, 14 Uhr, im Museum in Plech. Ausführliche Informationen im Internet unter www.kameramuseum.de.
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