Öffentlicher Festakt zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Bayreuth an Prof. Ngugi wa Thiong’o

Symbolbild Bildung

Sprachen als lebendige Stimmen im Menschheitsorchester

Prof. Ngugi wa Thiong’o während seiner Rede zur Annahme der Ehrendoktorwürde der Universität Bayreuth.Foto: Peter Kolb

Prof. Ngugi wa Thiong’o während seiner Rede zur Annahme der Ehrendoktorwürde der Universität Bayreuth. Foto: Peter Kolb

Einer der bedeutendsten Autoren der Gegenwart, der kenianische Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Kritiker Prof. Ngũgĩ wa Thiong’o, ist am 5. Mai 2014 während eines öffentlichen Festakts mit der Ehrendoktorwürde der Universität Bayreuth ausgezeichnet worden. Die Bayreuth International Graduate School of African Studies (BIGSAS) hatte ihn für diese Ehrung vorgeschlagen. Ngũgĩ wa Thiong’o, der seit vielen Jahren als Distinguished Professor of English and Comparative Literature an der University of California, Irvine (UCI) lehrt, wurde – wie es in der Ehrenpromotionsurkunde heißt – für seine „herausragenden Verdienste um die Profilierung der afrikanischen Literaturen, insbesondere der Literaturen in afrikanischen Sprachen“ gewürdigt.

In seiner Grußansprache zur Eröffnung des Festakts stellte der Präsident der Universität Bayreuth, Prof. Dr. Stefan Leible, die Auszeichnung für Prof. Ngũgĩ wa Thiong’o in den Zusammenhang der Afrikastudien an der Universität Bayreuth: einen „Kontext von exzellenter Forschung, gelebter Interdisziplinarität und intensivem Netzwerken und Austausch rund um den afrikanischen Kontinent“. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Bayreuth, Brigitte Merk-Erbe, betonte in ihrem Grußwort das Engagement des weltbekannten Schriftstellers für die „Vielfalt von Kulturen“ und die „Lebendigkeit des Miteinanders“ und hob die große Bedeutung hervor, die der Afrikaschwerpunkt der Universität für die Stadt Bayreuth habe.

Der Vorsitzende der BIGSAS, Prof. Dr. Dymitr Ibriszimow, überreichte Prof. Ngũgĩ wa Thiong’o die Ehrenpromotionsurkunde. Er erinnerte daran, dass die Universität Bayreuth die erste Universität in Deutschland sei, die dem international hochgeschätzten Autor die Ehrendoktorwürde verleihe. Zudem werde erstmals eine Ehrenpromotion an der Universität Bayreuth nicht durch eine einzelne Fakultät, sondern durch die in allen Fakultäten verankerte Graduiertenschule für Afrikastudien vergeben. Respekt, Freude und Glückwünsche der gesamten Universität Bayreuth und der afrikanischen Partneruniversitäten im Netzwerk der BIGSAS würden den Geehrten begleiten.

Die Rede, mit der Prof. Ngũgĩ wa Thiong’o die Ehrendoktorwürde annahm, war ein leidenschaftliches, das Publikum tief beeindruckendes Plädoyer für eine Welt der Vielfalt von Sprachen und Kulturen. Trotz oder gerade infolge der Globalisierung sei die Auffassung weit verbreitet, es gebe zwischen Kulturen, Sprachen, gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen hierarchische Beziehungen. Doch diese Vorstellung sei verfehlt. Jede Sprache, jede Kultur stehe wie jeder einzelne Mensch in Beziehungen, die durch ein gleichgewichtiges wechselseitiges Geben und Nehmen geprägt seien. Genau diese Brückenfunktion sei der Grund für ihre Lebendigkeit. Der mehrfach für den Nobelpreis nominierte Autor wandte sich deshalb mit Nachdruck gegen die „absolute Dominanz europäischer Sprachen im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben Afrikas“. In der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus sei die Verwendung dieser Sprachen durch die afrikanische Mittelklasse strategisch sinnvoll gewesen. Seit der politischen Unabhängigkeit habe sich jedoch die fortgesetzte Übernahme europäischer Sprachen, verbunden mit einer aggressiven Zurückweisung afrikanischer Sprachen, zu einem „sprachlichen Gefängnis“ entwickelt, das die Entfaltung intellektueller und kultureller Ressourcen in Afrika behindere.

Mit dieser Kritik knüpfte Ngũgĩ wa Thiong’o an seine programmatische Streitschrift „Decolonising the mind“ an. Vor genau 30 Jahren, im Mai 1984, hatte er diesen weltweit einflussreichen Text zu schreiben begonnen – während einer zweimonatigen Gastprofessur an der Universität Bayreuth, die insofern zu einem Wendepunkt in seinem Leben wurde. Auch die räumliche Nähe zum Festspielhaus Richard Wagners habe dabei sein Denken beeinflusst. Wenn die Welt von wenigen Sprachen dominiert würde, dann sei das so, als würde man das Orchester einer Oper Richard Wagners auf wenige Blechinstrumente reduzieren. In seiner Rede ließ der Bayreuther Ehrendoktor mehrfach anklingen, welche bedeutende Rolle die Musik, insbesondere die Begegnung mit der musikalischen Tradition Deutschlands, in seinem Leben spielt. In Kenia habe er den „Ritt der Walküren“ in die Aufführung seines Theaterstücks „Maitu Njugira/Mutter singe für mich“ integrieren wollen, das von den kenianischen Behörden verboten wurde. Und in Kalifornien erzähle ihm sein Taxifahrer immer wieder begeistert von der Musik Johann Sebastian Bachs und der Thomaskirche in Leipzig. Der Tod jeder Kultur, jeder Sprache – so betonte der kenianische Autor – lasse das globale Menschheitsorchester schrumpfen. Wenn die von der Universität Bayreuth verliehene Ehrendoktorwürde ihm dabei helfe, die Welt an den fortdauernden Kampf für sprachliche Vielfalt zu erinnern, dann nehme er sie dankbar an.

Die Vielfalt der Sprachen, die das Werk Ngũgĩ wa Thiong’os und seine weltweite Rezeption heute prägt, spiegelte sich auch in den Lesungen aus seinem Werk. Der Literaturwissenschaftler und BIGSAS-Absolvent Samuel Ndogo aus Eldoret/Kenia, der Übersetzer Dr. Thomas Brückner aus München, die Wissenschaftlerin und Übersetzerin Dr. Wangũi wa Goro aus Großbritannien, die BIGSAS-Doktorandin und Journalistin Nadja Ofuatey-Alazard aus München sowie der Literaturwissenschaftler und BIGSAS-Absolvent Ndi Gilbert Shang aus Kenia trugen Texte in drei Sprachen vor: in Kikuyu, der kenianischen Muttersprache des Autors, in der sie ursprünglich verfasst wurden, sowie in englischen und deutschen Übersetzungen. Aly Keita aus Mali am Balafon und Peter Cervenec aus Bayreuth am E-Piano begeisterten das Publikum mit ihren musikalischen Einlagen.

Die Laudatio auf den weltbekannten Schriftsteller hielt die renommierte Literaturwissenschaftlerin Anne V. Adams, Professorin Emerita an der Cornell University in New York. Sie knüpfte dabei an den von Goethe entwickelten Begriff der Weltliteratur an, den Ngũgĩ wa Thiong’o in seinem Essay „Globaletics: Theory and the Politics of Knowing“ aufgegriffen hat – wobei er unter die „Globalektik“ die „Befreiung der Literatur aus der Zwangsjacke des Nationalismus“ versteht. In ihrem Rückblick auf das Lebenswerk des Geehrten machte sie deutlich, wie es Ngũgĩ wa Thiong’o gelungen ist, den Begriff der Weltliteratur aus den zeitbedingten Beschränkungen des 19. Jahrhunderts zu lösen und auf eine moderne Vision postkolonialer Literatur im 21. Jahrhundert zu übertragen.