Leserbrief: "BArrierefrei – Vorschläge für die Preisverleihung 2014"

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Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Starke!

… überall um uns herum befinden sich Barrieren. Darunter leiden nicht nur Menschen mit Behinderungen oder ältere Mitbürger. Eltern mit Kinderwagen oder Menschen mit Krücken stoßen ebenso oft auf Hindernisse. Barrierefreiheit – die Zugänglichkeit und bessere Benutzbarkeit des Lebensumfeldes – bringt allen Menschen Vorteile. Die Stadt Bamberg will deshalb Hindernisse jeglicher Art abbauen – und setzt dabei auch auf bürgerschaftliches Engagement“ („BArrierefrei“ – Ausschreibungsfaltblatt 2014 der Stadt Bamberg).

Zwei Personen haben im vergangenen Jahr eindrucksvoll per definitionem verdeutlicht: Bambergs Gehwege sind barrierefrei. Sie sind derart vollkommen barrierefrei, daß das Problem nicht einmal einer Erwähnung bedarf. Im einzelnen:

Im Juli des vergangenen Jahres hatte ich (zum wiederholten Mal) auf die rechtlichen Vorgaben hingewiesen: „Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt“ (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung – VwV-StVO). Die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) konkretisieren: Schon bei geringem Fußverkehr muß der Gehweg in einer Regelbreite von 2,50 m freigehalten werden. Nur an kurzen, unvermeidbaren Engstellen von höchstens 50 m Länge darf bis auf 2,20 m heruntergegangen werden. (Die im beiliegenden Schriftverkehr genannten Maße galten bis März 2013. Die zum April in Kraft getretenen Änderungen waren mir zum Zeitpunkt meiner Anschreiben noch nicht bekannt gewesen.)

Mit Lichtbildern exemplarisch illustriert, hatte ich darauf hingewiesen, daß sowohl durch angeordnetes wie auch durch widerrechtliches, aber großzügig geduldetes Gehwegparken vielfach weit weniger Raum für den fußläufigen Verkehr verbleibt. Nicht selten sind schon einzeln gehende Menschen genötigt, über die Fahrbahn auszuweichen – ein durchaus riskantes Unterfangen.

Der Schwerpunkt meines Schreibens lag auf der Gefährdung von Kindern: „Eltern wagen immer seltener, ihre Sprößlinge unbeaufsichtigt ziehen zu lassen.“ So „ist immer mehr selbstständige Kindermobilität durch Elternmobilität ersetzt worden“ („Nahmobilität 2.0“, Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen e.V., Februar 2012).

Für den Sozial- und Umweltreferenten der Stadt Bamberg, Herrn Ralf Haupt, stellen die dargestellten Probleme indes keine dar: Seiner Auffassung nach „hat es sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eingebürgert, … das Parken auf Gehwegen (ganz oder teilweise) zuzulassen. Würde man … nur dort das Parken (ganz oder teilweise) zulassen, wo ein verbleibender Querschnitt des Gehwegsgemäß der rechtlichen Vorschriften verbliebe, würde dies „auf Unverständnis stoßen“. Offenbar erkennt er in den verstellten Gehwegen kein Barrierepotential. Den aus der VwV-StVO ausdrücklich zitierten „Fußgängern … mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern“, gar „im Begegnungsverkehr“, widmet er nicht ein einziges Wort.

Selbständige Mobilität von Kindern ist für Herrn Haupt gleichfalls kein Thema: Er geht davon aus, „dass Kindergartenkinder nicht allein zum Kindergarten gehen, sondern von ihren Eltern dorthin gebracht werden und somit unter elterlicher Aufsicht stehen“. Weitere Ausführungen zum Thema erspart er sich. Doch „Nahmobilität hat das Potenzial, allen Menschen eine eigenständige und sichere Mobilität zu ermöglichen. Dies gilt auch und gerade für gefährdete Zielgruppen wie Kinder und Senioren sowie im Besonderen für Menschen mit Behinderung“ („Nahmobilität 2.0“, AGFS NRW).

Schon im Mai hatte die Presse über eine Initiative der damaligen Bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Frau Christine Haderthauer, berichtet. Sie forderte, den Freistaat „bis zum Jahr 2025 barrierefrei für Alte, Behinderte und Familien zu machen“. Weiter hieß es: „Für die … gleichberechtigte Teilhabe … sei Barrierefreiheit eine wesentliche Voraussetzung. … Mit dem Programm … will Haderthauer Kommunen … unterstützen, Barrieren … auf Straßen und Plätzen … abzubauen. … Von der Barrierefreiheit des öffentlichen Raums würden alle profitieren … . ‚Denn nicht nur für Rollstuhlfahrer stellen … hohe Schwellen ein unüberwindbares Hindernis dar, sondern auch für ältere Menschen mit Rollatoren oder Familien mit Kinderwagen.’

Mit zahlreichen Lichtbildern hatte ich die Ministerin darauf hingewiesen: „Jedes Investitionsprogramm wird verpuffen, zumindest aber einen Großteil seines möglichen Effekts verlieren, wenn die Gelder in gut vermarktbare Imageprojekte gesteckt werden, die breite Lebenswirklichkeit indes unverändert bleibt“. Den „blinden Fleck im Sichtfeld unserer Stadtverwaltung, wenn es um Barrierefreiheit geht“, die zugeparkten Gehwege, anzugehen, sei in Bamberg aussichtslos, da städtische Behörden wie auch Polizei das Problem rundheraus ignorierten.

Frau Ministerin Haderthauer ließ mir in ihrer Antwort „die Barrierefreiheit aus Sicht der Staatsregierung … erläutern. … Es geht um den Abbau von baulichen Barrieren und den uneingeschränkten Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln ebenso wie um die akustische und visuelle Benutzbarkeit von Systemen der Informationsverarbeitung. … So müssen … nicht nur alle öffentlich zugänglichen Einrichtungen barrierefrei erreichbar und nutzbar sein, sondern auch Internetauftritte der öffentlichen Hand barrierefrei gestaltet und Dokumente für blinde und sehbehinderte Menschen im Verwaltungsverfahren in einer für sie geeigneten Form zugänglich gemacht werden.“ Für das „Parken auf Gehsteigen“ könne „keine Stellungnahme abgegeben werden“.

Für eine umfassende Teilhabe behinderter Menschen ist Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen entscheidend“, hatte die Ministerin ausführen lassen. Die bayerischen Gemeinden seien verpflichtet, „ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. … Ziel der Bayerischen Staatsregierung ist es, das Lebensumfeld allgemein für alle Menschen so zu gestalten, dass möglichst niemand ausgeschlossen wird und dass es von allen gleichermaßen genutzt werden kann“.

Im Zusammenhang betrachtet, stellt Frau Haderthauer somit klar: Sich unmotorisiert nicht sicher bewegen zu können, weil die entsprechenden Verkehrswege mit abgestellten Kraftfahrzeugen blockiert sind, stellt keine Einschränkung der Lebensqualität, keine Barriere dar. Daß öffentliche Einrichtungen zwar zugänglich, für manche jedoch gar nicht erst erreichbar sind, tut dem demnach keinen Abbruch.

Daher schlage ich für die Verleihung des BArrierefrei-Preises 2014 der Stadt Bamberg vor:

  • Frau Christine Haderthauer für ihre Verdienste als vormalige Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen;
  • Herrn Ralf Haupt für seine Verdienste als Sozial- und Umweltreferent der Stadt Bamberg.

Beide haben in herausragender Weise offenbart, daß schwierige, durch rücksichtslose Ignoranz verursachte Lebensumstände kein wirkliches Problem darstellen – für die verantwortlichen Behörden. Man nimmt sie einfach nicht zur Kenntnis, und damit existieren sie auch nicht – ein geradezu genialer Ansatz.

Selbstredend stehen beide vorgeschlagenen Personen auch stellvertretend für andere:

Frau Haderthauer verkörpert die Bayerische Staatsregierung unter Führung des Ministerpräsidenten Horst Seehofer.

Herr Haupt repräsentiert die Stadt Bamberg und damit Sie, den verantwortlichen Oberbürgermeister Andreas Starke. Gleichermaßen trifft die Ehrung die Zuständigen in der Kommunalaufsicht, welche die geäußerten Ansichten nicht für kritikwürdig halten: die Regierung von Oberfranken unter dem Regierungspräsidenten Wilhelm Wenning sowie das Bayerische Staatsministerium des Innern unter Herrn Minister Joachim Hermann.

Klassische Straßenplanung ist heute – von der Mitte ausgehend – primär auf die vorrangige Flächenzuteilung für den fließenden und die Unterbringung des ruhenden Verkehrs fokussiert. … Nahmobilität als Basismobilität erfordert dagegen a priori eine adäquate Dimensionierung der Verkehrsflächen für den Fuß- und Radverkehr, die den Grundansprüchen nach Sicherheit, Leistungsfähigkeit, Geh- wie Fahrkomfort und nach Geschwindigkeit (sportliche und e-mobile Fahrräder) gerecht wird. Gefragt ist folglich ein neuer Ansatz in der Straßenplanung, der am Straßenrand beginnt und zuerst die Flächenansprüche des Fuß- und Radverkehrs klärt. … Der neue Ansatz ist deckungsgleich mit der sogenannten ‚Städtebaulichen Bemessung’ in den RASt 06“. („Nahmobilität 2.0“, AGFS NRW).

Ich bitte, mir den frist- und formgerechten Eingang der vorstehend erläuterten Vorschläge zu bestätigen und mich über den weiteren Gang der Preisverleihung auf dem Laufenden zu halten. Die Adreßdaten Frau Haderthauers und Herrn Haupts zu ermitteln, dürfte keine Umstände bereiten

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig
Martin-Ott-Straße 8
96049 Bamberg-Gaustadt