Universität Bayreuth: Transatlantischer Freihandel als Wohlstandsmotor

Symbolbild Bildung

Seit Juli 2013 verhandeln die EU und die USA über ein Abkommen zur Liberalisierung des wechselseitigen Handels (Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz: TTIP). Prof. Dr. Mario Larch, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung leitet, und Prof. Gabriel Felbermayr, PhD, vom ifo Institut in München haben die wirtschaftlichen Folgen der geplanten transatlantischen Freihandelszone in detaillierten Modellrechnungen untersucht. Daran anknüpfend, fassen sie in einem jetzt erschienenen Beitrag in den „Wirtschaftspolitischen Blättern“ einige grundsätzliche ökonomische Erkenntnisse und wirtschaftspolitische Empfehlungen zusammen.

Zollfreiheit allein reicht nicht aus: Umfassende Liberalisierung ermöglicht Wohlstandsgewinne

Ökonomische Vorteile, die für die Bürger in den EU-Mitgliedsländern und in den USA deutlich spürbar sind, entstehen aus der geplanten Freihandelszone erst dann, wenn die Liberalisierung des transatlantischen Handels nicht auf die Abschaffung von Importzöllen beschränkt bleibt. Wie die beiden Autoren betonen, ist es erforderlich, auch so genannte „nicht-tarifäre Handelsbarrieren“ zu beseitigen. Hierfür gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Die für Waren und Dienstleistungen geltenden Standards – beispielsweise im Automobilsektor – können einander angenähert oder sogar angeglichen werden, so dass europäische Unternehmen leichter in die USA und Unternehmen in den USA leichter nach Europa exportieren können. Zudem können bürokratische Hürden gesenkt und mengenmäßige Beschränkungen von Exporten aufgehoben werden. Und im Hinblick auf öffentliche Investitionen könnten beide Seiten vereinbaren, dass staatliche Behörden in den USA auch an Unternehmen in EU-Ländern Aufträge vergeben dürfen – und umgekehrt.

„Unsere Berechnungen zeigen eindeutig, dass eine bloße Abschaffung der insgesamt niedrigen Importzölle nur geringe Wohlstandsgewinne in den USA und in den EU-Ländern erzeugen würde. Spürbare ökonomische Effekte zugunsten der Bürger ergeben sich erst, wenn das Freihandelsabkommen sich auch an den Abbau nicht-tarifärer Handelsbarrieren heranwagt“, erklärt Prof. Larch. „Wir verkennen dabei nicht, dass für manche dieser Barrieren umwelt- und gesundheitspolitische oder auch sicherheitspolitische Argumente angeführt werden – etwa wenn es um gentechnisch modifizierte Lebensmittel oder um militärisch relevante Technologien geht. Doch sollten die protektionistischen Nebenwirkungen solcher Maßnahmen und ihre nachteiligen wirtschaftlichen Folgen nicht unterschätzt werden.“

Höhere Exportanteile des Mittelstands, steigende Pro-Kopf-Einkommen der Bürger – aber schwächerer innereuropäischer Handel

Wie die beiden Autoren mittels einer Umfrage bei Industrieverbänden herausgefunden haben, würden vor allem mittelständische Unternehmen vom Abbau nicht-tarifärer Handelsbarrieren profitieren. Die Kosten, die diese Barrieren verursachen, können derzeit in der Regel nur von größeren Industrieunternehmen getragen werden. Doch sobald sie entfallen, würden auch Firmen von mittlerer Größe und mittlerer Produktivität in die USA – bzw. nach Europa – exportieren und so ihre Umsätze deutlich steigern. Dem transatlantischen Handel stünde ein nachhaltiger Aufschwung bevor.

Aufgrund dieser ökonomischen Folgen käme der Abbau nicht-tarifärer Handelsbarrieren allen am transatlantischen Freihandel beteiligten Ländern zugute. Im EU-Durchschnitt ist eine Steigerung des realen Pro-Kopf-Einkommens von 5 Prozent möglich, wie die Modellrechnungen von Larch und Felbermayr ergeben haben. Dabei ergibt sich für Deutschland ein Gewinn von 4,7 Prozent. Ärmere EU-Länder, wie beispielsweise Griechenland oder die baltischen Staaten, aber auch Großbritannien würden hingegen überdurchschnittlich stark profitieren. Und auch die USA hätten den Modellrechnungen zufolge einen beträchtlichen Vorteil: Sie können mit einer Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens um 13,4 Prozent rechnen.

Gleichzeitig weisen die Autoren jedoch darauf hin, dass der zu erwartende Anstieg des transatlantischen Handels im Gegenzug bewirkt, dass sich der innereuropäische Handel erheblich abschwächt. Als Absatzmarkt für europäische Produkte verliert die EU an Bedeutung. So würde beispielsweise Deutschland voraussichtlich um rund 30 Prozent weniger Handel mit Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und mit Irland treiben. Ein ähnlicher Rückgang wäre auch für die innereuropäischen Exporte anderer EU-Länder zu erwarten. „Diese Schwächung der innereuropäischen Handelsverflechtungen ist der Preis dafür, dass die Freihandelszone ihre positiven Effekte auf den Wohlstand in den EU-Ländern voll entfalten kann“, meint Prof. Larch. „Weil insbesondere ärmere EU-Länder davon profitieren und sich dem Niveau reicherer EU-Nachbarn annähern können, dürfte der transatlantische Freihandel – trotz des schwächeren innereuropäischen Handels – aber auch positive Wirkungen auf den innereuropäischen Zusammenhalt haben.“

Multilateralisierung kann Blockbildung in der Weltwirtschaft verhindern: Ein Plädoyer für einen offenen, langfristig angelegten Prozess

Die beiden Autoren warnen nachdrücklich vor der Gefahr, dass sich das geplante Freihandelsabkommen nachteilig auf Drittstaaten auswirkt. Denn je stärker der transatlantische Handel wächst, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Länder in Südamerika, Asien und Afrika erhebliche Marktanteile in der EU und den USA verlieren. Die Folgen wären nachhaltige Wohlstandseinbußen, die diese Länder nicht durch einen verstärkten Handel untereinander ausgleichen könnten. „Eine derartige Entwicklung ist aber vermeidbar. Die transatlantische Freihandelszone sollte sich nicht gegenüber Drittländern abschotten, sondern auch ihnen gegenüber Zölle und nicht-tarifäre Handelsbarrieren schrittweise abbauen“, fordert Prof. Larch. „Eine entschlossene Multilateralisierung des Freihandels kann und sollte verhindern, dass die Liberalisierung des Handels zwischen den USA und der EU einseitig zu Lasten von Schwellen- und Entwicklungsländern geht.“

Larch und Felbermayr fordern deshalb, die Liberalisierung des transatlantischen Handelns von Anfang an als offenen und langfristigen Prozess anzulegen. Möglichst frühzeitig sollten sich die USA und die EU darüber verständigen, unter welchen Umständen bestimmte Drittländer – wie etwa Mexiko, Kanada oder die Türkei – der geplanten Freihandelszone beitreten können. In den Verhandlungen, die vor kurzem angelaufen sind, sollte von vornherein auch die Frage thematisiert werden, wie sich die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ mit anderen großen Freihandelszonen vernetzen lässt – insbesondere mit dem Transpazifischen Partnerschaftsabkommen, über das die USA derzeit mit einigen wirtschaftlich starken Anrainerstaaten des Pazifik verhandeln. Eine derartige Vernetzung könnte der Gefahr einer wachsenden Blockbildung im Welthandel entgegenwirken.

Vor diesem Hintergrund wollen Larch und Felbermayr die Rolle der Welthandelsorganisation WTO erheblich gestärkt sehen. Gerade wenn sich in verschiedenen Regionen der Welt große Freihandelszonen herausbilden, wachse die Bedeutung der WTO als globaler „Handelspolizei“.

Veröffentlichung:

Gabriel Felbermayr und Mario Larch,
Das Transatlantische Freihandelsabkommen.
Zehn Beobachtungen aus Sicht der Außenhandelslehre,
in: Wirtschaftspolitische Blätter 2013/2, S. 353 – 366

siehe auch:

Gabriel Felbermayr, Mario Larch, Erdal Yalcin, Lisandra Flach, Sebastian Benz and Finn Krüger,
Dimensions and Impact of a Free Trade Agreement Between the EU and the USA, 2013,
www.cesifo-group.de/ifoHome/research/Projects/Archive/Projects_AH/2013/proj_AH_freihandel_USA-GER.html