Leserbrief: "Objektiver Journalismus sieht anders aus!"

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Sehr geehrte Damen und Herren!

Am Donnerstag, dem 11. Juli, zeigte das ARD-Magazin Kontraste einen Beitrag, der sich unmißverständlich für die Einführung einer gesetzlichen Helmpflicht auf dem Fahrrad aussprach. Doch sachlich vorgetragene Argumente und eine nachvollziehbare Abwägung des Für und Wider gab es nicht. Nicht hinterfragte Pro- sowie stark verkürzt und negativ kommentiert – damit teilweise entstellt – wiedergegebene Kontrapositionen ergaben ein eindeutiges Bild: Die Gegner der Helmpflicht handeln verantwortungslos.

Daß die Autoren wenig Sachverstand an den Tag legten, zeigte das verwendete Bildmaterial: Bei nicht einer der vorgeführten Kollisionen zwischen Radfahrer und Kraftfahrzeug hätte der Helm schwere bis schwerste Verletzungen verhindern können. Aufprallstärke, Aufprallwinkel, Aufprallfläche (u. a. Gesicht) – für die dargestellten Belastungen – das Gesicht ist ohnehin nicht bewehrt – sind Fahrradhelme nicht ausgelegt. Doch derartige Unfälle werden nicht selten durch die Verkehrslenkung (bauliche Radwege, die ausreichende Sichtbeziehungen erschweren, Fahrradwege und -spuren ohne ausreichende seitliche Sicherheitsräume) erst begünstigt.

Das Beispiel der fahrradfreundlichen Stadt Münster griff vollends daneben. So schnitt die Kommune im Fahrradklimatest zwar als beste Großstadt ab (nicht wie behauptet als beste Stadt). Die Note indes war eine kümmerliche 3: befriedigend! Unter den Blinden ist der Einäugige König, besagt eine alte Volksweisheit. Die gezeigten Radverkehrsanlagen waren alles andere als fahrradfreundlich: umständlich verwinkelte Linienführung, zu geringe Querschnitte, fehlende seitliche Sicherheitsräume, grobes Kopfsteinpflaster. Offenbar haben die für den Film Verantwortlichen nie einen Blick in die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (rechtlich bindende Mindestanforderungen an die Wegequalität) oder gar in die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (bei Neu- und wesentlichem Umbau zu beachtender, anerkannter Stand der Technik) geworfen. Sie befinden sich in unguter Gesellschaft. Denn auch eine große Zahl örtlicher und regionaler Straßenbau- und -verkehrsbehörden ignoriert die dort niedergelegten Vorgaben geflissentlich. Nicht nur in Stadt und Landkreis Bamberg findet sich Anschauungsmaterial in Hülle und Fülle. Die Verkehrsinfrastruktur ist daher für das propagierte, aus verschiedensten Gründen wünschenswerte Wachstum des Radverkehrs weder qualitativ noch quantitativ geeignet.

Auch der Erhaltungszustand vieler Verkehrsflächen ist geeignet, Fahrradunfälle zu provozieren: Aufbruchschäden, Spurrillen, mangelhaft gesicherte Baustellen, Fräs- und unzureichend abgesenkte Bordsteinkanten im Fahrweg, seltene Reinigung. Gleiches gilt für Hindernisse auf Radverkehrsanlagen: Falschparker, Mülltonnen, Licht- und Signalmasten und vieles andere mehr – eine Überwachung und Ahndung erfolgt vielfach nicht (Anlage!).

Sorgsam vermied der Filmbeitrag exakte Daten: Eine Zunahme der Fahrradunfälle wurde behauptet, der Vergleich mit der (erfahrungsgemäß meist deutlich stärkeren) Zunahme des Fahrradverkehrs fehlte. Unfallursachen, Unfallhergang und resultierende Verletzungen wurden nicht kausal zueinander in Beziehung gesetzt. Doch verwies der Kommentator die Aussage der Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), der Radverkehr ginge bei Einführung einer Helmpflicht deutlich zurück, ins Reich des Abstrusen. Erfahrungen andernorts aber belegen genau diese Entwicklung – das wiederum wurde wohlweislich verschwiegen.

Drei Interessengruppen betreiben derzeit massiv die Einführung der Helmpflicht auf dem Fahrrad:

Die Versicherungswirtschaft ist daran interessiert, Schadensersatzzahlungen zu kürzen. Daher versucht sie alles, das Nichttragen eines Helms zu nutzen, die Verantwortung den Unfallopfern zuzuschieben.

Die Autolobby fürchtet den Anstieg des Radverkehrs, da er logischerweise auf Kosten des motorisierten Individualverkehrs erfolgen wird. Dieser wird Verkehrsanteile verlieren, wird Flächenzugeständnisse machen müssen. Leider hat sich ein großer Teil der Verkehrs- und Ordnungsbehörden auf die Seite der Autolobby geschlagen und unterstützt deren Bestreben durch ihre Verkehrsplanung und -lenkung, teils wider geltendes Recht, sowie ihre Öffentlichkeitsarbeit (regelmäßige Antifahrradkampagnen unter dem Deckmantel der Verkehrssicherheit).

Nicht zuletzt dient die Debatte um die Helmpflicht den Behörden als willkommene Ablenkung: Die Diskussion nimmt die Verantwortlichkeiten für unfallträchtige Verkehrslenkung, mangelhafte Fahrbahn- und Wegezustände sowie fehlende Überwachung (Falschparken, Geschwindigkeitsübertretungen u. a.) aus dem Blickfeld.

Die Vermutung, der Kontrastebeitrag wurde aus dieser Richtung initiiert, wenn nicht gar gestaltet, dürfte kaum unbegründet sein. Wo bleibt der journalistische Anspruch?

Mit freundlichen Grüßen Wolfgang Bönig Martin-Ott-Straße 8