Leserbrief: "Barrierefreiheit benötigt Umdenken"
Sehr geehrte Frau Ministerin Haderthauer!
Für Ihre Antwort vom 27. Mai danke ich Ihnen. Inhaltlich indes hat sie meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. In von Behörden und Politik gewohnter Manier – es gibt leider nur wenige Ausnahmen – beinhaltet Ihr Schreiben langatmige allgemeine Ausführungen, die den Kern des angerissenen Problems nicht berühren. Abschließend lassen Sie kurz und trocken mitteilen: Zu den exemplarisch (!) vorgestellten Mißständen sei Ihnen eine Stellungnahme nicht möglich. Erklärt wird dies nicht.
Ihr Mitarbeiter schreibt, er wolle mir „die Barrierefreiheit aus der Sicht der Staatsregierung … erläutern“. In seinen Beispielen das von mir dargestellte Thema konsequent ausklammernd, referiert er: „Für eine umfassende Teilhabe behinderter Menschen ist Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen entscheidend“ (Hervorhebung durch mich). „Das BayBGG verpflichtet die … Gemeinden, … Menschen mit Behinderung … eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. … Ziel der Bayerischen Staatsregierung ist es, das Lebensumfeld allgemein für alle Menschen so zu gestalten, dass möglichst niemand ausgeschlossen wird und dass es von allen gleichermaßen genutzt werden kann.“
Wäre es möglich, die von mir aufgeworfenen „Fragen … im Zuständigkeitsbereich der Stadtverwaltung Bamberg klären zu lassen“, hätte ich mich sicher nicht an Sie gewandt. In meinem Schreiben vom 13. Mai hatte ich bereits hervorgehoben: Das großzügig geduldete rechtswidrige sowie das vielfach unter Mißachtung einschlägiger rechtlicher (VwV-StVO) und fachlicher (RASt06, EFA) Vorgaben angeordnete Gehwegparken behindert Rollstuhlfahrer/innen, Nutzer/innen von Rollatoren, Eltern (und andere) mit Kinderwagen sowie gemäß der StVO auf dem Trottoir radelnde Kinder. Nicht selten ist dieser Personenkreis zum (häufig gefährlichen) Ausweichen auf die Fahrbahn gezwungen – angesichts der Bordsteinhöhen ohnehin nicht einfach. Jahrelange Versuche mehrerer, Stadtverwaltung und Kommunalpolitik für die Thematik zu sensibilisieren, sind auf breites Desinteresse und große Ignoranz gestoßen. Der städtische Parküberwachungsdienst geht achtlos an rechtswidrig abgestellten Kraftfahrzeugen vorbei, um wenige Meter weiter Parkzeitüberschreitungen auf bewirtschafteten Stellplätzen zu ahnden. Die Polizei sieht selbst im unmittelbaren Umfeld von Grundschule und Kindergarten tatenlos zu.
Die Teilnahme am (nicht motorisierten) Straßenverkehr zählt zweifelsohne zu „allen Lebensbereichen“, zum „Lebensumfeld allgemein“. Ist es nicht „Ziel der Bayerischen Staatsregierung“, auch diese „für alle Menschen so zu gestalten, dass möglichst niemand ausgeschlossen wird und dass“ sie „von allen gleichermaßen genutzt werden kann“?
Die Aufsichtsbehörden versagen auf ganzer Linie. Schon die Bezirksregierung Oberfranken wäre verpflichtet, das Handeln der Stadt Bamberg zu monieren. Spätestens das Bayerische Staatsministerium des Innern hätte einzugreifen. Doch nichts, absolut nichts geschieht. Und selbst die Bestimmungen des BayBGG werden, wie Sie jetzt belegen, so interpretiert, daß gegenüber Regelverstößen zu Lasten nicht motorisierter Verkehrsteilnehmer/innen nichts unternommen werden soll – seien sie von Kraftfahrer/inne/n begangen oder gleich von den Verkehrsbehörden.
Das Resümee meines vorstehend erwähnten Schreibens bleibt unverändert gültig:
Jedes Investitionsprogramm wird verpuffen, zumindest aber einen Großteil seines möglichen Effekts verlieren, wenn die Gelder in gut vermarktbare Imageprojekte gesteckt werden, die breite Lebenswirklichkeit indes unverändert bleibt. Erforderlich ist zunächst ein Umdenken in den Köpfen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig
Martin-Ott-Straße 8
Hallstadt
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