Leserbrief: "Fahrradfreundliche Stadt? – zu Polizeikontrollen im Radverkehr"

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Sehr geehrte Damen und Herren!

Noch vor wenigen Tagen war zu vernehmen: Die Bamberger Polizei habe während der jüngsten Zusammenkunft des Fahrradforums zugesagt, ihre einseitige Stimmungsmache gegen Radfahrer/innen einzustellen. Und schon jetzt zeigt sie wieder ihr wahres Gesicht:

„Mit den frühlingshaften Temperaturen steigen in Bamberg wieder mehr Verkehrsteilnehmer auf den beliebten ‚Drahtesel’ um“, ist zu lesen. „Studenten sieht man wieder vermehrt auf dem Fahrrad durch die Stadt fahren, da das Sommersemester beginnt.“ Natürlich gibt es bei günstigem Wetter mehr Fahrradverkehr. Doch während vorstehende Formulierungen suggerieren, das Fahrrad sei ein rein saisonales Schönwetterfahrzeug, fährt die Mehrzahl der Radler/innen das ganze Jahr über.

„Waren 2010 noch 133 Fahrradfahrer in einen Verkehrsunfall verwickelt, waren es letztes Jahr bereits 184 Radler. Ein Fahrradfahrer erlitt dabei schwerste Verletzungen und einer starb. ‚Bei den 184 Unfällen vergangenes Jahr trugen 77 Radfahrer die Allein- bzw. Hauptschuld, …’“. Durch den Vergleich zum vorletzten Jahr (2011: 182, davon lt. Polizei 75 selbstverschuldet – im Vorjahresvergleich hat sich also fast nichts geändert!) wird der zweifellos Sorgen begründende Anstieg der Fahrradunfälle zusätzlich dramatisiert. Die Gesamtzahl der Verkehrsunfälle wird sicherheitshalber verschwiegen. Eine seriöse Einordnung und Bewertung ist daher nicht möglich.

2011 hatte die Polizei nach eigenen Angaben fast 2500 Verkehrsunfälle registriert. An ca. 7,5% waren Radfahrer/innen beteiligt gewesen – bei einem Verkehrsanteil von knapp 23%. Es ist kaum anzunehmen, daß sich diese Verhältnisse wesentlich geändert haben.

Der zitierte Pressetext legt nahe, die im Jahr 2012 schwer und tödlich verletzten Radler/innen hätten ihre Unfälle selbst verschuldet. Meines Wissens sind beide Opfer unachtsam geöffneter Autotüren geworden. So mancher Radweg, Radfahr- oder Schutzstreifen ist – unter Mißachtung entsprechender technischer Regelwerke – ohne seitlichen Sicherheitsraum zu parkenden Kraftfahrzeugen angelegt, zwingt somit in den Gefahrenbereich. Und wer, auf der Fahrbahn radelnd, den von der Rechtsprechung als erforderlich angesehenen Abstand (je nach Fahrzeugtyp bis zu 1,5 m) einhält, wird regelmäßig von aggressiven Autofahrer/inne/n angehupt, beschimpft oder bedrängt.

„Benutzung der Radwege in falscher Richtung“ wird seitens der Polizei den „Hauptursachen“ der Unfälle zugeordnet – ohne dies belegende Zahlen. Daher erneut der Rückgriff auf 2011: Laut Stadt Bamberg waren an 23 Unfällen in falscher Richtung fahrende Radler/innen beteiligt, nicht zwangsläufig alle unfallursächlich. Das ergibt einen Anteil von 12,6% (rund ein Achtel) der Fahrrad- und nicht einmal 1% (weniger als ein Hundertstel) aller Verkehrsunfälle. Hauptunfallursache? Die Frage nach dem Warum, z. B. Vermeidung gefährlich erscheinender Fahrbahnquerung, wird nicht gestellt. Und trotz bereits mehrerer hierdurch verursachter Unfälle wird die linksseitige Benutzungspflicht, das behördlich angeordnete „Geisterradeln“ auf der Nordtangente (Magazinstraße – Regensburger Ring) von Polizei und Stadtverwaltung mit Zähnen und Klauen verteidigt.

„Wir möchten Bamberg zu einer fahrradfreundlichen Stadt machen“, wird ein Polizeivertreter zitiert. Hierfür ergäbe sich ein reichhaltiges Betätigungsfeld: Die Radwegbenutzungspflicht, laut Straßenverkehrs-Ordnung nur in begründeten Ausnahmefällen, „wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko … erheblich übersteigt“, und auch dann gemäß Allgemeiner Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung lediglich bei Einhaltung vorgegebener Qualitätskriterien zulässig, ist in einer Vielzahl von Fällen rechtswidrig angeordnet. Praktisch keine Radverkehrsanlage erfüllt die Anforderungen der ERA 2010 (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, ein anerkanntes technisches Regelwerk), vielfach sind nicht einmal die rechtlich bindenden Normen der VwV-StVO beachtet. Daß es nicht benutzungspflichtige Radwege überhaupt gibt, daß auch benutzungspflichtige Radwege eben nicht immer benutzt werden müssen (objektive Unbefahrbarkeit in Folge Falschparkens, sonstiger Hindernisse, gefährdender Verunreinigungen oder Schäden; Einordnen zum Abbiegen; Führen mehrspuriger Fahrräder oder Hängergespanne bei unzureichendem Wegequerschnitt …), ist nicht nur vielen Autofahrer/inne/n, sondern offenbar auch etlichen Beamt/inn/en der Polizei völlig unbekannt.

Daß, vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Az. 11 B 08.186) festgestellt und im Revisionsverfahren durch das Bundesverwaltungsgericht (Az. 3 C 42.09) bestätigt, angeordnete Radwegbenutzungspflichten „in nicht geringer Zahl von Rechts wegen keinen Bestand haben könnten“, ist besonders pikant: Das Verwarnungsgeld für die Nichtbeachtung einer rechtswidrigen Anordnung wurde erhöht. Gleiches gilt im Fall der Einbahnstraßen. Auch deren Freigabe für den Radverkehr in Gegenrichtung darf nach StVO §45-9 nur ausnahmsweise verweigert werden.

Wieviel die Sicherheit des Radverkehrs wert ist, veranschaulicht die Höhe des Verwarnungsgelds für unachtsames Öffnen der Autotür: € 20,00. Diese Rücksichtslosigkeit hatte in Bamberg im vergangenen Jahr eine Tote und eine Schwerverletzte im Langzeitkoma zur Folge.

Bundesverkehrsminister Ramsauer hatte, neben der Erhöhung des Verwarnungsgelds für Verstöße auf bewirtschafteten Parkplätzen, beabsichtigt, dasjenige für Geh- und Radwegparken zu senken. Glücklicherweise konnte der Bundesrat auch hier eine Erhöhung durchsetzen. Doch das ist Theorie. Parküberwachungsdienst und Polizei haben wiederholt auch auf konkrete Hinweise hin verweigert, behinderndem und gefährdendem Falschparken nachzugehen. Die kostenpflichtigen, die mit Parkscheibe zu benutzenden sowie die Anwohner/inne/n vorbehaltenen Stellplätze hingegen erfreuen sich hoher Kontrolldichte, auch wenn der Verkehr hier nicht gefährdet ist.

Wer als Radfahrer/in wagt, Autofahrer/innen wegen begangener Nötigung anzuzeigen, muß sich gegenüber Ermittlungs- und Justizbehörden noch rechtfertigen. Selbst regelgerechtes Verhalten, z. B. das Fahren mit einem rund 90 cm breiten Anhänger auf der Fahrbahn neben einem nicht benutzungspflichtigen – und dazu für den Hänger zu schmalen – Radweg, wird seitens der Polizei als Provokation angesehen, welche die Nötigung (im konkreten Fall mit Sachschaden) erst veranlaßte. Und die Staatsanwaltschaft wertet die abwehrende Aussage der angezeigten Autofahrerin ausdrücklich als glaubwürdig, obwohl ihre Schilderung auf Grund der Örtlichkeit überhaupt nicht stimmen kann.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig
Martin-Ott-Straße 8