Bund Naturschutz: "Giftspritzerei gegen den Eichenprozessionsspinner deutlich zurückgegangen"
Problem ist im Verhältnis zu Zeckenbissen oder Wespen- und Mückenstichen völlig überbewertet
Seit Sommer 2010 prangerte der Bund Naturschutz die von Kommunen, Staatlichen Bauämtern und der Autobahndirektion Nordbayern durchgeführten Spritzaktionen mit dem Biozid Diflubenzuron gegen den Eichenprozessionsspinner an und warnte vor den Folgen für Gesundheit und Umwelt. Laut Umweltbundesamt ist das Gift für Menschen schädlich. Es hat darüber hinaus zur Auslöschung der Frühlings- und Sommerboten, der Schmetterlinge und vieler anderer Insekten an vielen Orten beigetragen. 2013 könnten die Giftwolken endlich deutlich geringer ausfallen.
Im Rahmen eines Picknicks auf einem Autobahnparkplatz an der A3 bei Höchstadt/Aisch verdeutlichten VertreterInnen des BUND Naturschutz unter Eichen wie sich die Debatte seither entwickelt hat. An der A3 waren jahrelang alle Gehölze gespritzt worden, ohne dass von der Autobahndirektion – wie vorgeschrieben – abgesperrt worden war. Damit waren ungezählte Autobahn- und Parkplatznutzer gefährdet worden. Durch den öffentlichen Druck war diese Praxis 2012 bereits geändert und weniger gespritzt worden. In diesem Frühling will die Autobahndirektion an Autobahnstrecken gar nicht mehr spritzen und an Raststätten nur mit dem weniger giftigen Neem Protect, ansonsten sollen Nester mechanisch beseitigt werden.
„Die breite Presseberichterstattung, mehrere Landtags- und Bundestagsanfragen, unsere Anzeige beim Gewerbeaufsichtsamt Nürnberg und auch ein privates Klageverfahren haben in den letzten zwei Jahren zu einem Umdenken der Verantwortlichen geführt. Die Behörden sollten dabei aber nicht stehenbleiben und den Gifteinsatz endlich ganz beenden. Er ist auch im Vergleich zu Gefahren wie nach Zeckenbissen oder Wespen- und Mückenstichen überzogen. Und diese Arten spritzt man ja auch nicht weg, weil die negativen Folgen für die Ökosysteme und dann auch für uns Menschen viel zu groß wären. Wir freuen uns, dass die Autobahnverantwortlichen dieses Jahr das Giftspritzen extrem reduzieren wollen, bleiben aber wachsam“, so der BN-Landesbeauftragte Richard Mergner.
„Angesichts des Klimawandels wird man sich wie in anderen wärmeren Regionen Europas darauf einstellen müssen, dass man mit dem Eichenprozessionsspinner leben muss. Eine jährliche Begiftung lehnen wir kategorisch ab. Das Gift tötet ja nicht nur den Eichenprozessionsspinner, sondern praktisch alle Schmetterlinge, Heuschrecken und andere Insekten und führt zum Verschwinden von Gegenspielern wie der Kohlmeise oder Fledermäusen, die nach dem Gifteinsatz mangels Insekten verhungern. Auch Raubwanzen, Schlupfwespen und Waldameisen werden getötet und können im Folgejahr die Massenvermehrung der Prozessionsspinner nicht stoppen“, so Tom Konopka, Diplombiologe und Regionalreferent beim BN.
Das gesundheitliche Problem wird bisher völlig überschätzt. Verglichen mit Gefahren des täglichen Lebens ist der Eichenprozessionsspinner ein eher geringes Übel: Etwa 4.000 Menschen sterben jährlich im Straßenverkehr in Deutschland, noch mehr sterben bei Unfällen im Haushalt. Fast 70.000 Schwer- und 320.000 Leichtverletzte gab es 2011 im deutschen Straßenverkehr.
Statistiken zu allergischen Schocks und ernsten Gesundheitsgefahren durch Eichenprozessionsspinnerhaare gibt es nicht, bei Veröffentlichungen werden nur Einzelfälle angegeben.
Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft spricht nur von „Beeinträchtigung der Gesundheit: mechanische Reizung der Haut und Schleimhäute nach Hautkontakt, nach Einatmen von Gifthaaren allergische Reaktionen auf den Giftstoff Thaumetopoein (Sensibilität zunehmend), juckende, entzündliche Hautausschläge, Rötungen, Quaddeln und Bläschen. Beschwerdebilder Entzündungen der Augenbindehaut (selten), Reizungen im Rachen, Halsschmerzen, Hustenreiz.“ Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten spricht trotzdem weiter von „akute(r) gesundheitliche(r) Gefährdung für Menschen.“
„Ob bisher überhaupt Menschen nach allergischen Schocks an den Folgen von Eichenprozessionsspinnerhaaren starben ist unklar, während laut Statistischem Bundesamt jährlich zwischen zehn und 30 Menschen infolge Kontakt mit Wespen, Bienen und Hornissen sterben. Die Beeinträchtigungen sind eher mit der Belastung durch Mückenstiche zu vergleichen. Würde man alle Stechmücken mit Gift bekämpfen, hätte das nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Natur, sondern würde die Bestäubung der Nutzpflanzen durch Bienen beenden und ökonomische Schäden in Milliardenhöhe verursachen. Von den Ökosystemfolgen ganz zu schweigen. Zu Recht werden Stechmücken in aller Regel nicht mit Gift bekämpft“, so Tom Konopka.
„Dass die Regierung von Mittelfranken letztes Jahr eine Ausnahmegenehmigung zum Gifteinsatz auch für Autobahnabschnitte angrenzend an europäische Schutzgebiete für Schmetterlingsarten erteilt hat, ist allerdings skandalös. Wir fordern, dass der Einsatz angrenzend an Schutzgebiete vorsorglich verboten wird“, so Mergner.
Kommunen wie Erlangen haben nach den BN-Protesten den Gifteinsatz nochmals ausgeschlossen und bekämpfen mechanisch, so wie das Nürnberg schon länger tut. Andere wie das in die Schlagzeilen geratene Weisendorf haben den Gifteinsatz deutlich reduziert und weniger schädliche Mittel angewandt. Leider wurden aber auch schon Eichen gefällt wie in Pleinfeld. In den Jahren vor 2012 wurde das Gift in mindestens 26 fränkischen Gemeinden gespritzt. Gesamtdaten zum Einsatz 2012 und zu den Planungen 2013 liegen noch nicht vor.
Auch die heftig kritisierte Autobahndirektion Nordbayern musste zugeben, dass in der Vergangenheit nicht alles korrekt gelaufen war und beschränkte den Gifteinsatz 2012 auf wenige Autobahnabschnitte in Unterfranken und wenige Parkplätze, sperrte die Parkplätze nach dem Einsatz wie vorgeschrieben ab und bekämpfte an Rastanlagen mechanisch, wie vom BN gefordert. In den Vorjahren waren jeweils fast 500 km Autobahn in Teilen Ober-, Mittel- und Unterfrankens begiftet worden. Dabei kam erst 2012 durch eine Anfrage von MdB Toni Hofreiter (Bündnis 90-Die Grünen) heraus, dass unter allen Bundesländern ausschließlich Bayern das Gift an Autobahnen einsetzt. Allerdings werden die Autobahnen selbst weiterhin nicht abgesperrt.
Zum Schutz der Mitarbeiter von Autobahnmeistereien empfiehlt der BN die Ermittlung von Mitarbeitern, die mit EPS allergische Schocks bekommen und deren Freistellung von der Arbeit in EPS-Gebieten, Schutzkleidung und notfalls die Nachrüstung der Fahrzeugkabinen mit geringem Überdruck.
Diflubenzuron wurde direkt angrenzend an 33 (!) Flora-Fauna-Habitat- und 20 (!) Vogelschutzgebieten eingesetzt, darunter Gebiete zum Schutz von Ameisenbläuling, Hirschkäfer, Gelbringfalter, Mittelspecht usw.. Der BN hält dies für völlig falsch. Hier werden europaweite Schutzanstrengungen konterkariert.
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