Sonntagsgedanken: Der Sonntag vom guten Hirten
Das Wort vom Guten Hirten, seine befreiende, tröstende, mahnende Kraft, sind uns aus mehreren Gründen nicht mehr recht verständlich: Zum einen kennt kaum noch jemand aus eigener Erfahrung den harten Alltag eines Hirten. Es gab im Barock des 17. und 18. Jahrhunderts eine sentimentale, schwülstige Hirtendichtung, die heute zu Recht vergessen ist. Einige Aussteiger aus der bürgerlichen Gesellschaft übernehmen mancherorts, freilich nur zeitlich befristet eine Herde, um sich selbst zu finden, um nachzudenken über ihre bisherige Existenz. Mit dem Hirtenamt Jesu hat weder das eine noch das andere zu tun. Näher kommt dem Gemeinten eine Bronzeplastik, die der unvergessene Bischof Wilhelm Stählin auf seinem Schreibtisch stehen hatte: Da sieht man eine Horde Wölfe heranjagen, schon im Begriff, sich auf die verängstigt zusammengedrängten Schafe zu stürzen. Doch der Hirte hat den Feind erspäht, hat sich bewaffnet aufgemacht, die Seinen zu verteidigen. Dem angespannten Gesichtsausdruck des Mannes merkt man an, welche Last auf ihm ruht: Da gilt kein langes oder gar feiges Zögern, da muss er abschätzen, welcher Wolf zuerst zuschlägt, welches Schaf seine Hilfe am schnellsten braucht. Der Hirte muss seine Augen überall haben, jederzeit bereit sein, sich zu opfern.
Doch trifft diese Plastik, ja das Wort vom Guten Hirten überhaupt unsere Situation? Fühlen wir uns als Schafe? Die gelten doch allgemein als dumm, als schwach, als feig. Der „moderne“ Mensch legt größten Wert auf seine persönliche Freiheit, auf seine Selbstbestimmung. Vor einigen Jahren erschien ein für diese Einstellung typisches Buch mit dem Titel: „Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin“. Die Autorin wollte gerade den weiblichen Heranwachsenden Mut machen, ihr Leben kraftvoll in die eigene Hand zu nehmen. Und tatsächlich scheint es vielen auch zu gelingen. Aber um welchen Preis! Die hohe Zahl der Scheidungen, das um sich greifende Phänomen des Mobbing, die Rüpelhaftigkeit vieler Zeitgenossen zeigen, wohin der Freiheits- und Selbstbestimmungskult führen kann. Kinder können dagegen das Bild vom Guten Hirten ganz unmittelbar verstehen. Sie fühlen sich noch hilfsbedürftig, abhängig und wie schnell endet ja auch der Höhenflug des Gegenwartsmenschen auf der Coach eines Psychiaters beim Sozialamt oder gar vor den Schranken des Gerichts. Als Christ aber darf ich gewiss sein, dass der gute Hirte Jesus mich auch in der dunkelsten Stunde begleitet und trägt, dass er mich über die Schwelle des Todes zu Gott führen wird. Daran will uns der 2. Sonntag nach Ostern erinnern, der im Volksmund Hirtensonntag heißt.
Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
Infos zu Christian Karl Fuchs:
- geb. 04.01.66 in Neustadt/Aisch
- Studium der evang. Theologie 1985 – 1990 in Neuendettelsau
- Vikariat in Schornweissach-Vestenbergsgreuth 1993 – 1996
- Promotion zum Dr. theol. 1995
- Ordination zum ev. Pfarrer 1996
- Dienst in Nürnberg/St. Johannis 1996 – 1999
- seither in Neustadt/Aisch
- blind
- nicht verheiratet
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