Fortsetzungsroman: “Mamas rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Teil 79
Zum Teufel
Alle vierzehn Tage kam jetzt der Herr Erzpriester. Nach der Messe im Dorfgasthaus wartete dann immer eine alte Flüchtlingsfrau mit schwarzem Kopftuch auf ihn. Sie musste ihm unbedingt noch die Hände küssen. Er wollte das eigentlich nicht. Und Mill glaubte, ihm das ansehen zu können, denn der Herr Erzpriester zog seine Hände danach immer schnell zurück.
„Das sieht aber richtich komisch aus. Ich glaub, der ekelt sich vor der.“
Mill verzog dabei den Mund und schüttelte sich theatralisch.
„Die von der polnischen Grenze, die machen das halt so mit eim Handkuss. Wir Oppelner sagen bloß: Gelobt sei Jesus Christus.“
Das sei im übrigen die Frau Bolko. Die habe ihr schon mal eine Tube mit Lebertransalbe geschenkt. So etwas sei bei schlecht heilenden Wunden nicht mit Gold aufzuwiegen. So wies sie ihn zurecht, ohne dass ihre Stimme böse klang.
Am Nachmittag Kommunionunterricht.
Der Priester erklärte den sieben Kindern, was sie wissen mussten, um am Weißen Sonntag zur Erstkommunion gehen zu können. Sie mussten alles im Chor nachsprechen. Das, was Jesus damals gesagt hatte, sprach er ihnen sogar in Lateinisch vor. Er schloss dabei seine Augen ganz, ohne zu blinzeln und ohne die Kinder heimlich zu beobachten. Da wusste Mill, dass er es ernst meinte.
Hedwig hatte am Fahrrad des Priesters gewartet.
„Ihr könnt schon mal gehn. Ich hab mit dem Herrn Erzpriester noch was zu besprechen. Ich komm gleich nach.“
Das war für Jank und Mill nichts Außergewöhnliches. Sie freuten sich, jetzt nach einer Stunde auf den harten Wirtshausstühlen wieder toben zu können. Als sie dann beim Abendessen am Tisch saßen, weihte Hedwig die beiden Jüngsten in ihren Plan ein.
„Dem Hans hab ich ja schon vor längerer Zeit gesagt, dass wir alle bald aus Drahnsdorf nach Coburg wegziehn. Der Herr Erzpriester is auch einverstanden, dass ihr beide schon eher zur Kommunion gehn könnt. Schon in einem Monat.“
Jetzt musste sie ihren Jungen doch den Grund für das vorgezogene Datum erklären. Die Frau Snura hatte ihr erzählt, dass in letzter Zeit die Züge besonders scharf kontrolliert werden und dass sie dabei auch junge Kerle herausholen, die bald ins Soldatenalter kommen. Dabei hatte Hedwig sofort daran gedacht, dass sie sich den Hans nicht wegnehmen lassen würde.
„Wir könn nich gemütlich mit dem Zug nach Coburg fahrn. Wir müssn alle schwarz über die Grenze.“
Ihnen war sofort klar, dass es etwas Verbotenes war. Schwarzhändler kannten sie ja. Die taten immer so geheimnisvoll, flüsterten und drehten sich oft um. Und an den Schwarzmarkt in Berlin, da wo Leute sogar verhaftet worden waren, an den konnten sie sich noch genau erinnern. Wenn sie jetzt zusammen mit ihrer Mutter etwas Verbotenes tun sollten, dann war das umso aufregender.
„Falls uns irgendwas passiert, dann seid ihr beide wenigstns schon bei der Kommunion gewesn.“
Sie trauten sich nicht nachzufragen, was ihre Mutter mit „irgendwas passiert“ meinte. Aufkeimende Angst. Sie blickten sich dabei gegenseitig nicht an.
„Wenn die andern Kommunionkinder euch fragn, warum ihr schon jetzt im Herbst zur Kommunion dürft, dann sagt ihr einfach, dass es private Gründe sind.“
Nach der letzten Unterrichtsstunde gab es für seine ganze Gruppe eine Überraschung. In einem Gespräch mit dem evangelischen Pastor der Erzpriester erreichen können, dass die evangelische Dorfkirche zum ersten Mal für einen katholischen Gottesdienst aufgeschlossen wird.
Vom Unterricht im Gasthaus ging die kleine Schar zur Kirche. Da drin sollte die Generalprobe sein. Die beiden Kandidaten mussten sich in die erste Reihe setzen. Der Rest nahm flüsternd hinter ihnen Platz.
„Herr Erzpriester, hier kann man sich ja nicht hinknien.“
Die blöde Blonde gackerte es in die Stille hinein. Dann meldete sie sich mit ihrem bescheuerten Fuchtelarm, wie in einem Klassenzimmer. Mill hatte die noch nie leiden können, weil sie andere bei dem Fräulein Gröning immer anschwärzte. Mit ihm hatte sie das auch schon einmal gemacht, als er die Rechenhausaufgabe früh von einem Banknachbarn abschreiben wollte.
Der Geistliche winkte ab und wandte sich den beiden aufgeregten Kandidaten zu. Sie waren froh, dass sie bis jetzt von keinem gefragt worden waren, warum ihre Kommunion schon im Oktober sein sollte.
Danach weihte er sie in die letzten Einzelheiten ein.
Sie sollten sich nicht mit Kerzenwachs bekleckern, die Hostie erst einmal auf der Zunge weich werden lassen und dann schlucken, die Hände beim Beten vor das Gesicht halten und dabei nicht durch die Finger linsen.
Als Mill das Wort Kerzenwachs hörte, fiel ihm ein, dass sie ja noch gar keine Kerzen hatten. Sie mussten jetzt nach vorne kommen, sich hinknien, den Mund aufmachen, aufstehen und langsam mit gefalteten Händen wieder an ihre Plätze zurückgehen.
„Aber bei dem da hab ich einen Fehler gesehen. Der hat die Hände so gefaltet.“
Dabei deutete die blöde Blonde auf Mill und zeigte mit ihren gefalteten Händen nach unten.
Nach unten bete man zum Teufel und nach oben zum lieben Gott, gackerte sie.
Er aber rief seine Schäfchen noch einmal zusammen und sagte nachsichtig, sie sollten sich schön zum Segnen aufstellen. Mit verbissenem Gesicht machte Mill das Kreuzzeichen. Er hasste die blöde Kuh. Wenn sie nicht ein Mädchen gewesen wäre, dann hätte er ihr am liebsten einen Stein an den Kopf geknallt.
Die Kommunion hätte ihn nicht daran gehindert, höchstens seine Mutter.
Aus dem Roman “Mamas Rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Ebermannstadt.
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