Afrikaner in China: eine neue Diaspora im 21. Jahrhundert

China und Afrika sind immer stärker durch wirtschaftliche und politische Kooperationen verbunden. Diese Entwicklung spiegelt sich in der wachsenden Zahl von Menschen aus Afrika, die in China leben und arbeiten. Prof. Dr. Adams Bodomo, Professor für Linguistik und Afrikastudien an der Universität Hongkong und derzeit Gastwissenschaftler am Institut für Afrikastudien der Universität Bayreuth, hat das Leben von Afrikanern in China erstmals systematisch untersucht. Seine Forschungergebnisse hat er jetzt unter dem Titel „Africans in China: A Sociocultural Study and Its Implications on Africa-China Relations“ veröffentlicht.

Sechs chinesische Metropolen als Zentren der Einwanderung

Von 2001 bis 2006 hat Prof. Dr. Adams Bodomo an seiner Untersuchung gearbeitet. Diese stützt sich auf Fragebogen-Aktionen und vertiefende Interviews sowie auf ein Netzwerk persönlicher Kontakte mit nahezu 1.000 Afrikanern in verschiedenen Regionen Chinas. Wie viele Afrikaner heute insgesamt in China leben, lässt sich amtlichen Statistiken nicht entnehmen. Bodomo schätzt ihre Zahl, auch mithilfe von Extrapolationen, auf etwa eine halbe Million. Davon leben rund 100.000 in der Metropole Guangzhou, wo mehrere Tausend multinationale Unternehmen angesiedelt sind; weitere Zentren der afrikanischen Diaspora sind Hongkong, Macao, Yiwu, Shanghai und Peking. Mit dem Begriff „Afrikaner in China“ werden in der Studie alle in China lebenden Bürger afrikanischer Länder bezeichnet, aber auch weitere Personen, wenn sie aufgrund verwandtschaftlicher oder kultureller Bindungen von sich sagen, dass sie afrikanischer Herkunft sind.

Die weitaus größte Gruppe bilden die 300.000 bis 400.000 Händler, die auf den Märkten in den chinesischen Metropolen ihr Glück suchen. Davon zu unterscheiden sind 10.000 bis 20.000 Geschäftsleute, die als Vertreter etablierter Unternehmen nach China kommen. Bei den meisten wirtschaftlichen Aktivitäten geht es darum, Waren in China günstig einzukaufen, um sie gewinnbringend nach Afrika zu exportieren. Die Zahl der afrikanischen Studierenden in China schätzt Bodomo auf 30.000 bis 40.000. Hinzu kommen 4.000 bis 5.000 „Professionals“, beispielsweise Professoren, Lehrer, Sportler und Regierungsvertreter.

Ausführlich arbeitet die Studie demographische und kulturelle Eigenheiten der sechs Metropolen heraus, in denen die meisten der nach China eingewanderten Afrikaner zuhause sind. Während in Yiwu besonders viele Nordafrikaner leben, ist in Guangzhou der Anteil der Westafrikaner signifikant hoch. In diesem expandierenden Wirtschaftszentrum gibt es heute eine lebendige, von Popmusik und Tanz geprägte afrikanische Kulturszene. Im täglichen Geschäftsleben hat sich zwischen Afrikanern und Chinesen eine weitgehend non-verbale Kommunikation eingespielt, die Bodomo als „Calculator Communication“ bezeichnet. Taschenrechner, Gesten, Körpersprache und wenige chinesische bzw. englische oder französische Ausdrücke genügen, um erfolgreich miteinander Handel zu treiben.

Der Einfluss der kolonialen Vergangenheit ist besonders in Macao, der früheren portugiesischen Kolonie, ausgeprägt. Die meisten der hier lebenden Einwanderer aus Afrika stammen aus portugiesischsprachigen Ländern wie Angola und Mozambique. Sie bilden, wie Bodomo zeigt, die am besten organisierte afrikanische ‚Community‘ in China.

Integration in die chinesische Gesellschaft? Migranten als künftige Brücke zwischen den Ländern Afrikas und China

Hinsichtlich der sozialen und kulturellen Integration ergeben die Befragungen ein weitgehend einheitliches Bild: Afrikaner in China wollen ungehindert, unbehelligt und möglichst erfolgreich ihren Geschäften nachgehen, dies ist ihr hauptsächliches Interesse. Daneben besuchen sie Sportereignisse, Gottesdienste und kulturelle Veranstaltungen, bei denen sich auch Kontakte zur chinesischen Bevölkerung ergeben können. An einer vertieften Integration in die chinesische Mehrheitsgesellschaft sind sie jedoch im allgemeinen nicht interessiert. Einen Grund hierfür sieht Bodomo darin, dass es in China keine klar geregelten Verfahren zur Einbürgerung gibt. Die Regierung und die Medien tun sich schwer damit, Immigration überhaupt als solche anzuerkennen. Sie vermeiden den Begriff „Migranten“ und sprechen fast ausschließlich von Händlern, Studierenden, Reisenden – oder gelegentlich auch von „Freunden“.

Auch infolge persönlicher Erfahrungen mit staatlichen ‚Ordnungshütern‘ sind Afrikaner in China kaum daran interessiert, engere Kontakte zu Chinesen zu knüpfen. Unfreundliches, misstrauisches oder sogar respektloses Verhalten seitens der Polizei und der Einwanderungsbehörden ist, wie zahlreiche Interviews erkennen lassen, keine Seltenheit. Manche afrikanischen Gesprächspartner äußerten in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass Chinesen in Afrika freier leben und besser behandelt würden. Andererseits jedoch begegnen viele Chinesen den afrikanischen Einwanderern mit aufgeschlossener und freundlicher Neugier. Eine liberalere staatliche Einwanderungspolitik, die den Immigranten mehr Vertrauen entgegenbringt, könnte nach Einschätzung von Bodomo dazu führen, dass Afrikaner stärker dazu bereit sind, sich in die chinesische Gesellschaft einzugliedern. Aus seiner Sicht besteht die Chance, dass die in China lebenden Afrikaner sich in ökonomischer, aber auch in politischer Hinsicht zu einer Brücke entwickeln, die ihre Herkunftsländer dauerhaft mit China verbindet.

Für eine Intensivierung der Kontakte hat das „Forum on China-Africa Cooperation (FOCAC)“ schon bei seiner Gründung im Jahr 2000 die Weichen gestellt. Es handelt sich dabei um eine alle drei Jahre stattfindende Konferenz von Führungskräften aus China und 50 afrikanischen Ländern. Derzeit laufen die Vorbereitungen für das nächste Treffen im Juli 2012 in Peking.

Afrikaner in China: jung, gebildet und mobil

Von weit über 700 Afrikanern hat Prof. Dr. Adams Bodomo auf der Grundlage von Fragebögen sehr detaillierte Auskünfte erhalten; mehr als 80 Prozent von ihnen waren Männer. Knapp mehr als die Hälfte ordneten sich als „Businessmen“ ein, weitere 23 Prozent als „Students“. 40 Prozent der Antwortenden waren zwischen 25 und 30 Jahre alt; 20 Prozent zwischen 31 bis 34 Jahre. 93 Prozent aller Antwortenden hatten mindestens einen sekundären Schulabschluss (High School / Secundary School). 39 Prozent konnten einen Hochschulabschluss vorweisen, 19 Prozent darüber hinaus einen Postgraduiertenabschluss.

Auffällig ist, dass 32 Prozent erklärten, sie seien erst vor einem Monat oder später nach China gekommen. 21 Prozent wiederum hielten sich bereits zwischen einem und drei Jahren in China auf. Die meisten Afrikaner, die sich an der Befragung beteiligt haben, stammen aus Westafrika. An der Spitze der Herkunftsländer liegen Nigeria mit 17 Prozent und Ghana mit 12 Prozent; es folgen Mali, Guinea und Senegal.

Veröffentlichung:

Adams Bodomo,
Africans in China: A Sociocultural Study and Its Implications on Africa-China Relations
Amherst/New York (Cambria Press), 2012