Sonntagsgedanken: (K)ein Unterschied
Bischof Wilhelm Stählin besuchte einen überfüllten Festgottesdienst. Die Predigt trug den Titel: „ohne Ansehen der Person“. Da bemerkte Stählin, wie der Mesner sich durch die Reihen der Stehenden drängte und zornig umherblickend ausrief: „Ist denn kein Stuhl für den Oberbürgermeister da?“
Ich erinnere mich auch daran, dass mein Urgroßvater, als er vor 100 Jahren in unser Dorf zog, sich für viel Geld einen Sitzplatz im Gotteshaus kaufen (!) musste.
Viele kritische Zeitgenossen greifen die Kirche deswegen an, weil Wort und Tat bei so manchem Christen allzu weit auseinanderklaffen. Da besucht jemand regelmäßig den Gottesdienst und lästert zugleich gehässig über seine Mitmenschen oder verprügelt daheim Frau und Kind. Aber wie würden wir reagieren, wenn ein Obdachloser verdreckt und mit zerrissenen Kleidern unsern Gottesdienst besuchte? Auch Christen sind Menschen mit menschlichen Eigenarten und jeder Christ unterliegt der familiären, gesellschaftlichen Prägung. Wir bewundern oder mehr noch beneiden die Menschen, die es „geschafft“ haben, etwas „aus sich gemacht“ haben, eben die Erfolgreichen. Wer dagegen aus welchem Gründen auch immer gescheitert ist in und mit seinem Leben, der wird allgemein verachtet, eine Tendenz, die sich leider verschärft: Früher galt Behinderung als Unglück, das man mit Gottvertrauen zu tragen hatte, heute dagegen als vermeidbare, zu vermeidende Belastung der Gesellschaft.
Wo wir aber im Gottesdienst zusammenkommen, dürfen wir etwas davon erahnen, dass Gott jeden Menschen „ohne Ansehen der Person“ liebt, dass es vor Gott nicht auf Gesundheit und Geldbeutel ankommt, sondern nur auf unser Vertrauen, auf den Glauben an Christus. Besonders die Sakramente machen dies deutlich, denn jeder hat hier leibhaftig Gemeinschaft mit dem Herrn von Natur und Geschichte, auch der Alte und Kranke. Aus dieser Gewissheit dürfen wir dann auch Kraft und Geduld schöpfen, um die sozialen Gegensätze in unserer Gesellschaft auszugleichen, um begonnen in der Kirche(!), eine neue auf anderen Werten beruhende Gemeinschaft aufzubauen. Die Arroganz des Geldes, der Bildung, der Hautfarbe hat in der wahren Kirche nichts verloren.
Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
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