Fortsetzungsroman: “Mamas rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Teil 55
Mit Brett und Strohhalm
Nicht weit von der Gärtnerei rieselte am Straßenrand ein seichter Bach, der in einem Betonrohr unter dem Straßenpflaster verschwand, um auf der anderen Seite, von Hahnenfuß und Sumpfdotterblumen gesäumt, durch einen schattigen Obstgarten zu rinnen. Hedwigs Jungen zog es aus reiner Neugier dorthin, weil da eine kleine Gruppe von Dorfjungen mit irgendetwas beschäftigt war.
Sie sahen, was sie bisher noch nie in ihrem Leben gesehen hatten.
Ein Junge schnitt mit seinem Taschenmesser von einem grünen Roggenhalm zwei Knoten ab. Damit hatte er sich ein kleines Blasrohr gemacht und pustete gleich einmal Luft durch. Der zweite hielt einen großen Frosch in seiner Hand gefangen. Die langen Hinterbeine hingen schlaff herab. Nun steckte der mit dem Blasrohr den Halm beim Frosch hinten hinein. Bis zur dreifachen Größe blähte er sein Opfer auf. Die Jungen bogen sich vor Lachen.
Jank und Mill sagten nichts. Sie sahen nur stumm zu. Einer der Quäler hatte ein Brett mitgebracht und platzierte darunter das Bruchstück eines Ziegelsteins. Der andere legte den bewegungsunfähigen Frosch auf das äußerste Brettende und trat mit dem Fuß wuchtig auf die andere Kante. Das Tier flog fast senkrecht unter Gejohle der Jungen in die Luft und kam am Pflasterrand auf.
Es hatte wieder seine ursprüngliche Größe, war aber von der Kehle bis zum Unterbauch gezackt aufgeschlitzt. Seine herausgetretenen Därme lagen eine Handbreit neben dem Körper. Die Hinterschenkel zitterten kaum merklich.
„Dett sind bloß die Nervm. Eijentlich issa schon hinüba. Hat mich mein Opa beijebracht.“
Die Brüder gingen langsam zurück zum Hof. Warum hatten sie nichts dagegen getan? Aber sie hätten doch wenigstens etwas sagen müssen.
„Wenn die aufm Frosch mit der Schleuder schießn würdn, dann kann man ja danebmschießen und der kann abhaun.“
Trotz allem war es aber letztlich doch Feigheit gewesen. Das wussten sie auch. Sie wollten aber beide nicht über ihre Feigheit sprechen.
***
Am späten Nachmittag gingen sie dann mit einem Einweckglas zu dem nahen Tümpel. Jank schob die Algen und Teichlinsen auseinander, neigte den Glasrand unter den Wasserspiegel und ließ einen Klumpen Froschlaich hineingleiten. Den Rest füllte er mit der Tümpelbrühe.
Einige Tage stand das Glas jetzt schon auf dem Fensterbrett in der Stube. Die Schwebeteilchen des Tümpelwassers hatten sich gesetzt und der glibberige Klumpen ließ an einigen Stellen etwas Licht durchfunkeln.
Bald konnten sich die ersten Kaulquappen aus ihrer gallertigen Hülle lösen und schwänzelten munter im geklärten Wasser. Als sich in der nächsten Zeit fast alle Eier in Kaulquappen verwandelt hatten, musste er seinen Bestand in ein weiteres Glas umquartieren. Die mit den entwickelten Händchen und Beinchen kamen in Glas zwei. Regelmäßig wechselte Jank das Tümpelwasser. Die wenigen Toten fischte er mit einem Kochlöffel vom Glasboden hoch..
„Jetzt wirds aber bald Zeit, dasse wieder zurückkomm. Und dass ihr mir die Einmachgläser wieder sauber auswascht.“
***
Am gleichen Tag standen auf einmal die beiden Froschmörder zusammen mit anderen Jungen vor dem Fenster. Sie staunten die beiden kleinen Aquarien an. Die zwei Haupttäter waren gerade frisch vom Friseur gekommen. Das war ein alter Bauer, der sich für fünfzig Pfennige pro Haarschnitt etwas dazuverdiente. Von einem Berliner Hamsterer hatte er einmal für zehn Eier eine elektrische Haarschneidemaschine ergattern können. Dieser Friseurbauer hatte die beiden aber auch wirklich zugerichtet. Ihre Haare waren ihnen vollkommen geschoren worden. Nur einen streichholzschachtelgroßen Schopf hatte er ihnen vorne gelassen. Und der hing ihnen dazu auch noch in die Stirn hinein. Wie sie so draußen vor dem Kaulquappenfenster standen und immer wieder deuteten, hatte Jank Gelegenheit, sich verspätet rächen zu können.
„Die ham vielleicht eine Scheißfrisur!“
Er war aber froh, dass ihn die Stubengardine dabei unsichtbar gemacht hatte.
„Glatze mit Abreißkalender!“, rief ihnen Hans aus dem Hintergrund der Stube zu. Und sie lachten und ihre Feigheit tat ihnen nicht mehr weh.
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