Äthiopien: Bayreuther Wissenschaftler setzen Impulse zur Befriedung eines alten ethnischen Konflikts
Seit mehreren Jahrzehnten sind die Beziehungen zwischen den Afar und den Issa, zwei großen Ethnien im Osten Afrikas, durch gewaltsame Konflikte geprägt. Im Nordosten Äthiopiens stehen sich beide Gruppierungen bis heute unversöhnlich gegenüber. Ein von Prof. Dr. Detlef Müller-Mahn und der Projektmitarbeiterin Dr. Simone Rettberg (Universität Bayreuth) koordinierter Workshop, der kürzlich in Addis Abeba stattfand, hat nun aber einen Dialog in Gang gesetzt, aus dem möglicherweise ein ernsthafter und am Ende erfolgreicher Friedensprozess hervorgehen könnte.
Der Workshop sollte den Abschluss eines Forschungsprojekts markieren, in dem die Universität Bayreuth mit der University of Addis Ababa und mit dem St. Mary’s University College zusammengearbeitet hat, das gleichfalls in der äthiopischen Hauptstadt angesiedelt ist. Die Forschungsarbeiten widmeten sich den wechselhaften und in vieler Hinsicht gefährdeten Lebensbedingungen der Afar und Issa, denen heute rund 1,6 bzw. rund 1 Mio. Menschen angehören. Im Mittelpunkt des Projekts standen die ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen des fortwährenden Konflikts, der bis heute viele hundert Opfer gefordert hat. Meistens ging es dabei um die Inbesitznahme und Besiedlung von Land, den Zugang zu Wasser und Weideland, den Raub von Vieh und wechselseitige Racheakte. Die Bayreuther Wissenschaftler und ihre äthiopischen Partner befassten sich aber auch mit den im Nordosten Äthiopiens zu beobachtenden Umweltschäden. Diese haben ihre Ursachen teilweise in Klimaänderungen und machen die Lebensgrundlagen der Afar und Issa zusätzlich unsicher.
Eigendynamik eines Forschungsworkshops: Erste Ansätze für einen künftigen Friedensprozess
„Der Workshop, in dem wir eigentlich eine Bilanz unserer Forschungsarbeiten ziehen wollten, hat eine Eigendynamik entwickelt, die wir so nicht erwartet haben“, berichtet Müller-Mahn nach seiner Rückkehr aus Äthiopien. „Die Vertreter der Afar und Issa, die zum Workshop nach Addis Abeba gekommen waren, sahen in der Veranstaltung eine Chance, bereits einige Grundlinien für einen künftigen Friedensprozess herauszuarbeiten. Ihre Sichtweisen auf die Konflikte der Vergangenheit und deren innere Logik sind zwar bis heute sehr unterschiedlich. Aber dessen ungeachtet brachten sie klar zum Ausdruck, dass sie das fortgesetzte Blutvergießen als eine tragische Belastung für beide Seiten empfinden, die möglichst bald beendet werden muss.“
In diesem Zusammenhang haben die äthiopischen Teilnehmer des Workshops auch die verschiedenen Autoritäten und Machtgruppen identifiziert, die am Friedensprozess mitwirken sollten – und zwar in präzise aufeinander abgestimmten Rollen. Wichtige ‚Stakeholder‘ sind in ihren Augen diejenigen Vertreter der Afar und Issa, die eine besonders gute Ausbildung besitzen und insofern zur Elite ihrer jeweiligen Ethnie gezählt werden können. „Es wurde vorgeschlagen, dass dieser Personenkreis eine Initiative starten solle, um die traditionellen Führer der Afar und der Issa für einen Friedensprozess zu mobilisieren“, erläutert Dr. Simone Rettberg, die den Workshop in Äthiopien vorbereitet hatte. Und sie fügt hinzu: „Beide Seiten haben betont, dass dieser Prozess von Anfang an die Unterstützung der äthiopischen Regierung finden müsse. Das ist in der Tat ein wesentlicher Aspekt – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass der Regierung in Addis Abeba gelegentlich unterstellt wurde, sie habe kein Interesse an einer nachhaltigen Beilegung des Konflikts oder wolle den Konflikt sogar für sich ausnutzen.“
Das Ziel: Erarbeitung und Umsetzung einer ‚Roadmap‘ mit der äthiopischen Regierung als Mediator
Für das Konzept des Friedensprozesses, der nun endlich angeschoben werden müsse, haben die äthiopischen Workshop-Teilnehmer den Begriff der ‚Roadmap‘ verwendet, den man auch aus den Nahost-Friedensverhandlungen kennt. Mitglieder der gut ausgebildeten Eliten aus beiden Ethnien – so die Forderung – sollten damit beauftragt werden, einen tragfähigen Handlungsplan auszuarbeiten. Falls nötig, sollten sie bei dessen Umsetzung vor Ort als Vermittler tätig werden. Die konkreten Verhandlungen müssten jedoch in der Verantwortung der traditionellen Führer liegen. Die Regierung in Addis Abeba habe dabei die Aufgabe, diesen Prozess mit ihrer ganzen Autorität zu unterstützen und als neutraler Mediator aufzutreten.
„Eine Mediation können wir als Wissenschaftler definitiv nicht leisten, auch wenn dies von einigen Teilnehmern gewünscht wurde“, erklärt Müller-Mahn und fügt hinzu: „Seitens der wissenschaftlichen Forschung werden wir die künftigen Entwicklungen aber natürlich weiterhin begleiten. Es würde uns sehr freuen, wenn unser Workshop dazu beigetragen haben sollte, einer friedlichen Lösung für diesen jahrhundertealten Konflikt in Äthiopien näher zu kommen.“
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