Fortsetzungsroman: “Mamas rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Teil 43
Mach die Flieje, Kleena
Der Horst Schroppe, der Roland und der Sunke trafen sich regelmäßig in der Bahnhofswirtschaft, die Frau Schroppe weiterführte. Ihr Mann war in den letzten Kriegstagen ums Leben gekommen. Schon längere Zeit war kein Feldpostbrief von ihm gekommen. Sie hatte den Alpdruck der Gewissheit deutlich gespürt, konnte sich dann aber immer wieder mit irgendwelcher Arbeit ablenken.
Zwar versprach ein großes Emailschild draußen an der Ziegelsteinwand immer noch, dass dem Gast Schultheissbier mit frischer Schaumkrone eingeschenkt wird, aber die Zapfhähne der winzigen Bahnhofskneipe blieben trocken.
Frau Schroppe konnte nur ein Getränk anbieten. Es hieß Heißgetränk, schmeckte süßstoffsüß und hatte einen chemischen Nachgeschmack.
„Einmal Heißgetränk, bitte!“
Das bedeutete, dass man einen richtigen Glasbierkrug bekam, der mit einer heißen, bierfarbenen Flüssigkeit gefüllt war. Was dieses Zeug war, das wusste keiner. Manche vermuteten, dass es aus einem Pulver hergestellt wurde.
Weil es fünfzig Pfennige kostete, war es die Berechtigung, sich schon als Jugendlicher mit einem Glimmstängel in dieser Bahnhofswirtschaft aufzuhalten. Jank und sein kleiner Bruder machten schon mal einen kurzen Klimmzug am Fenstersims und bestaunten dabei die Großen, die sich richtig im Leben auskannten und sogar Zigaretten selbst drehen konnten. Ein paar Angeber führten das den Kleinen sogar mit einer Hand vor. Das hatten sie den Russen abgeguckt. Nur einmal traute sich Mill da hinein. Er hatte gesehen, dass Roland nicht drin war. Mit großen Augen schaute er zu dem Glasbehälter hoch, in dem das echte Heißgetränk lockte.
„Haste Penunze?“
Horst Schroppe sah ihn herablassend an. Der Kleine schüttelte stumm den Kopf und schaute auf die geölten Fußbodendielen.
„Wenn de keene Penunze hast, denn kannste sowieso die Flieje machen, Kleena.“
Der Schroppe zeigte mit dem Daumen in Richtung Ausgang und machte dazu noch Flatterbewegungen mit beiden Händen. Mill verzog sich. Seine Achtlippe konnte er gerade noch niederkämpfen.
Neueste Kommentare