Ethnizität als Grundlage staatlicher Ordnung? Forschungsprojekt zum Föderalismus in Äthiopien
Dr. Dereje F. Dori, Humboldt-Stipendiat an der Universität Bayreuth, erforscht Gründe und Folgen des ethnischen Förderalismus in Äthiopien.
Auf keinem anderen Kontinent ist heute die Vielfalt der politischen Systeme und Regierungsformen so ausgeprägt wie in Afrika. Eine Besonderheit stellt dabei die politische Ordnung in Äthiopien dar, dem einzigen afrikanischen Land, das – abgesehen von der italienischen Besatzung in den Jahren 1936 bis 1941 – von keiner westlichen Kolonialmacht dauerhaft regiert wurde. Nachdem die „Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF)“ im Jahre 1991 die Herrschaft übernommen und die Diktatur unter Oberst Mengistu Haile Mariam beendet hatte, setzte eine Demokratisierung des Landes ein. In deren Verlauf wurde das bis dahin zentralistisch regierte Äthiopien in neun verschiedene Regionalstaaten unterteilt, die jeweils eigene politische Institutionen und Machtbefugnisse erhielten. Diese Neugliederung des Landes orientierte sich hauptsächlich an ethnischen Kriterien. Jeder Regionalstaat sollte, was die Herkunft und Abstammung seiner Bevölkerung betrifft, ein möglichst einheitliches Gebilde darstellen. Eine neue Verfassung, die 1995 inkraft trat, gestand den Regionalstaaten sogar das Recht zu, sich vom äthiopischen Nationalstaat abzuspalten.
Mit dieser in Afrika bisher einmaligen politischen Struktur befasst sich Dr. Dereje F. Dori, Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Universität Bayreuth. Im engen Kontakt mit Prof. Dr. Georg Klute, Professor für Ethnologie Afrikas, erforscht er die Gründe dieses ethnischen Föderalismus in seinem Heimatland. „Wie die meisten anderen afrikanischen Länder steht auch Äthiopien vor der Herausforderung, verschiedenste ethnische Gruppierungen in einen stabilen Nationalstaat zu integrieren und dabei ihren besonderen regionalen Interessen gerecht zu werden“, erklärt Dori. „Das Land so aufzuteilen, dass dadurch in ethnischer Hinsicht weitgehend homogene Verwaltungseinheiten entstehen, ist zunächst einmal ein origineller Lösungsansatz. Aber handelt es sich dabei tatsächlich um ein zukunftsfähiges Modell staatlicher Ordnung? Das scheint mir eine hochinteressante Frage zu sein, die längst nicht geklärt ist und weit über Äthiopien hinaus von Bedeutung ist.“
Dori betont, dass der ethnische Förderalismus nicht von der EPRDF erfunden wurde, sondern bereits in den äthiopischen Studentenbewegungen der 1960er und 1970er Jahre als attraktives politisches Modell galt. Die Anhänger einer Umgestaltung Äthiopiens nach ethnischen Kriterien ließen sich dabei von Lenin inspirieren, der nach 1914 das Selbstbestimmungsrecht der Völker propagiert hatte und den neu gegründeten Republiken innerhalb der Sowjetunion weitgehende Autonomie zugestehen wollte. Neben solchen historischen Ursprüngen will sich Dori aber auch mit modernen nicht-marxistischen Konzepten auseinandersetzen, die ethnischen Kriterien eine herausragende Rolle zuschreiben, wenn es um die gerechte Neugestaltung politischer Verhältnisse geht. Seiner Überzeugung nach reicht es nicht aus, den Föderalismus Äthiopiens lediglich als Instrument aufzufassen, mit dem die EPRDF seit 1991 die eigene Herrschaft festigen konnte. Sein Forschungsprojekt zielt vielmehr grundsätzlich auf die Frage, ob Ethnizität ein taugliches politisches Ordnungsprinzip darstellt. Lässt der ethnische Föderalismus hinreichend Raum für einen Dialog der unterschiedlichen ethnischen Gruppierungen? Ist er kompatibel mit dem Ziel einer stabilen nationalen Einheit?
Dori verbindet diese systematischen Überlegungen mit Fallstudien in seiner äthiopischen Heimat. In den Regionalstaaten Gambella and Benishangul untersucht er den rechtlichen Status der Hochlandbewohner, die nicht zu den anerkannten einheimischen Gruppierungen zählen und daher auf regionaler Ebene kein aktives Wahlrecht besitzen. „Der Umgang mit ethnischen Minderheiten ist ein wichtiges Indiz dafür, ob der ethnisch begründete Förderalismus ein legitimes zukunftsfähiges Ordnungsmodell darstellt“, erläutert Dori.
In einer weiteren Fallstudie wird er sich mit gesellschaftlichen Gruppierungen befassen, deren Identität nicht auf ethnischer Zugehörigkeit, sondern beispielsweise auf religiösen oder politischen Überzeugungen beruht. Können und wollen sich diese Gruppierungen in ein politisches System einfügen, das sich durch ethnische Abgrenzungen definiert? Dori interessiert sich in diesem Zusammenhang vor allem für die Situation der äthiopischen Muslime – nicht zuletzt unter dem Aspekt, dass die Spannungen zwischen verschiedenen Glaubensgemeinschaften in Äthiopien in jüngster Zeit zugenommen haben.
Zur Person:
Dr. Dereje F. Dori wurde 1969 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba geboren. Von 1994 bis 1997 absolvierte er an der Universität Addis Abeba und der Universität Hamburg ein Masterstudium der Sozialanthropologie. In diesem Fach promovierte er 2003 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit einer Arbeit zum Thema „Ethnic groups and Conflict: The Case of Anywaa-Nuer Relations in the Gambella Region of Ethiopia“. Anschließend arbeitete er zunächst als Research Fellow an der Universität Osaka, danach war er von 2005 bis 2008 als Research Fellow am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle tätig.
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