Sonntagsgedanken: Colombin und die Schnecke
Peter Bichsel erzählt uns folgende Geschichte:
Am Königshof hatte alles seine Ordnung: Der König regierte, die Ritter kämpften, die Hofdamen tanzten, die Pfarrer hielten Gottesdienst, die Pagen bedienten die Herrschaften. Nur Colombin war nichts Besonderes. Wenn jemand ihn aufforderte: „Kämpf doch mit mir“, antwortete er: „Nein, ich bin schwächer als Du!“ Wenn jemand ihn auf die Probe stellte und fragte: „Wie viel ergibt zweimal sieben?“, erwiderte er: „Ich bin doch dümmer als Du!“ Wenn einer ihn anspitzte: „Traust Du Dich, über diesen Bach zu springen?“, hieß es nur: „Nein, ich bin nicht so mutig wie Du!“ Als der König ihn schließlich halb besorgt, halb unwillig fragte: „Colombin, was soll aus Dir bloß werden?“, bekam er die Antwort: „Ich will nichts werden, ich bin doch schon wer, ich bin Colombin!“
Natürlich kann man zu Recht einiges an Colombin kritisieren: Ist er nicht doch zu gleichgültig, zu träge, zu selbstzufrieden? Vergeudet er nicht seine Zeit, seine Begabungen? Und doch beeindruckt er mich mit seiner Ruhe, seinem Gleichmut. Vielleicht könnten wir Christen uns in diesem Mann wieder finden. Wer auf Christus vertraut, muss nicht mit jedem konkurrieren, muss nicht jeden beneiden, muss sich keine Minderwertigkeitsgefühle einreden lassen, wenn er nicht so geschickt, so klug, so jung, so reich und bewundert ist wie andere, denn wir dürfen gewiss sein, dass Gott uns unbedingt liebt, auch wenn wir gar nicht liebenswert sind, auch wenn andere uns links liegen lassen oder gar uns abservieren.
Natürlich muss auch der Christ zur Schule gehen, auf die Arbeit, muss sich mit unerfreulichen Zeitgenossen herumschlagen, erleidet Krankheiten und Schicksalsschläge, aber das soll mich nicht beherrschen; und wenn mir etwas gelingt, soll ich nicht übermütig werden, denn letztlich hat es Gott gelingen lassen. Mit allem Ernst, aber in aller Freiheit kann und soll der Christ den Willen Gottes zu tun versuchen, so wie er ihn eben versteht auch auf die Gefahr hin, sich zu täuschen. Wie ein Christ zu Gott beten kann, das hat Rudolf Otto Wiemer humorvoll und doch hintersinnig im „Gebet einer Schnecke“ so zusammengefasst:
Du weißt, HERR, ich bin nicht eine der schnellsten. Ich trage mein schweres Haus, habe nur Stummelfüße, muss lange nachdenken über den Weg. Die Augen sehen eben nur bis zum nächsten Grashalm. Vielleicht bin ich manchmal an Dir vorüber gekrochen und habe Dich nicht erkannt. Vergib, HERR, der Du zählst die Schleimspuren im Schotter, und lass, wenn auch spät, die langsamen Lastenträger ankommen bei Dir.“
Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
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