Fortsetzungsroman: “Mamas rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Teil 32

Verräter sind Schweine

Sie war mit den beiden jüngsten Söhnen vom Berlinbesuch zurückgekommen. Roland und Hans hatten inzwischen für eine Überraschung gesorgt. Bei verschiedenen Bauern hatten sie nach der Zuckerrübenernte Schnittabfälle organisieren können. Daran waren immer noch winzige Rübenreste. Hedwig schnitt sie mit dem Messer ab. Nachts begannen sie im Pastorhaus mit einer Geheimaktion. In der Waschküche kochten sie den Rübenabfall mit Wasser stundenlang auf. Ein blasiges, schwer zu bändigendes Gebräu schäumte im Waschkessel unter dem Ofenfeuer auf.

„Das wird schon langsam brauner.“

Roland blickte zufrieden auf die brodelnde Masse. Seine Mutter nickte stumm und legte noch einmal ein dickes Holzscheit nach.

„Wir müssn bloß aufpassn, dass uns das Ganze nich anbrennt. Immer rührn.“

Dieses anfangs überschäumende Zeug wurde jetzt langsam zähflüssiger. Aus der Lava der dunkelbraunen Zuckermelasse spratzte das restliche Wasser. Hans schöpfte den hellbraunen Schaum mit einem Topf ab.

„Jetzt nischt mehr nachlegen.“

Mit einer Kelle füllte Hedwig den Sirup in zwei hellblaue Steinguttöpfe. Ein unschätzbarer Wert, ein Genuss, dazu noch weniger Schimmelgeschmack beim Brotessen – und alles selbst gemacht. Hedwig deckte die beiden Gefäße mit Tellern ab und stülpte eine Blechwanne darüber. Es hätte ja Diebe oder Neider geben können. Auch der Waschkessel musste peinlichst von sämtlichen Sirupspuren gereinigt werden. Gegen den verräterischen Malzgeruch wurde ausgiebig gelüftet.

***

Am nächsten Morgen erschienen zwei Soldaten am Pfarrhaus.

„Wo Jadwiga?“

Die hängte gerade am Dachboden Soldatenwäsche auf und kam ahnungslos in den Hausflur herunter.

„Ich waschen für Soldat. Ich nix Zeit.“

„Jadwiga, du Sabotaschnik. Du Zucker. Du zeigen. Dawai dawai!“

Irgendwer hatte sie bei den Russen angezeigt. Sie führte die Soldaten in die leere Waschküche, die noch immer nach Malz duftete.

Die beiden Töpfe werden sie uns lassen, wenn sie erst sehen, wie wenig das ist und dass ich vier Kinder satt kriegen muss.

Da war sie ganz zuversichtlich. Außerdem war sie ja bei den Russen durch ihr Uniformwaschen keine Unbekannte mehr. Als die beiden Soldaten dann doch die vollen Siruptöpfe hochhoben, sie von vorn an ihre Wattesteppjacken pressten und ohne ein Wort im lächerlichen, in dieser Situation hirnverbrannt wirkenden Gleichschritt aus dem Pfarrhaus marschierten, da stand „Jadwiga“ wie gelähmt im Türrahmen. Eine ganze Nacht hatten sie für nichts geschuftet.

Sirup tragen mit Maschinenpistolen auf dem Rücken – wie lächerlich das aussieht!

Ihre Mundwinkel zeigten Bitterkeit und ihre Verachtung.

„Wenn ich die rauskriege, die Schweine schlag ich tot!“

Roland schrie es extra laut in den Hausflur hinein, damit es auch alle im Pastorhaus mithören konnten. Er hatte da nämlich jemanden in Verdacht, konnte es aber durch nichts beweisen. Auf die Soldaten war er eigentlich gar nicht so wütend. Es musste irgendeiner von diesen verfluchten Flüchtlingen gewesen sein, der sie verpfiffen hatte.

„Du miese Drecksau, du dreckige!“, würde ich ihm sagen.

Sie wäre ihm sonst ins Wort gefallen. Aber sie wusste, dass er Recht hatte.