Sonntagsgedanken: "Gar nicht so einfach"
Bei Willy Grüninger las ich folgendes: „Jeder von uns ist von Gott an seinen Platz gestellt. Jeder von uns hat seine Aufgabe und soll sich redlich mühen, sie zu erfüllen. Wir haben nicht zu wenig Zeit dazu, wir vergeuden nur zuviel von ihr. Unsere Zeit ist das Gut, das uns mehr gehört als alles andere, was wir sonst besitzen. Vieles können wir wieder ersetzen, unsere Zeit aber ist unersetzlich. Einen großen Teil von ihr benützen wir zum Sammeln. Wir machen uns unnötig viel Unruhe: Wir sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird. Darum sollten wir jeden Tag etwas Ewiges sammeln!“
Dieses längere Zitat erfüllt mich mit gemischten Gefühlen: Hat jeder von uns wirklich seinen nur ihm zugedachten gottgewollten Auftrag, den zu erfüllen wir uns mit aller Kraft mühen sollten? Was soll ich denen sagen, die im Laufe ihres Erwerbslebens verschiedene Berufe ausübten? Haben sie den Willen Gottes falsch verstanden oder hat Gott bald dieses, bald jenes mit ihnen vorgehabt? Was sollen überhaupt diejenigen machen, die ihrem Partner einst vor Gott die Treue schworen, deren Ehe sich dann aber auflöste? Haben sie versagt oder war diese Partnerschaft doch nicht „Gottes Wille“? Was jeweils „Gottes Wille“ ist, lässt sich nicht so einfach, so einleuchtend feststellen. Jeder Mensch, nicht nur der Christ, sollte ein disziplinierter, rücksichtsvoller Mitarbeiter, ein zuverlässiger Vereinskamerad, ein treuer Partner sein.
Auch Grüningers Zeitvorstellung überzeugt mich nicht hundertprozentig, ich fühle mich davon eher unter Druck gesetzt: Natürlich ist unsere Lebenszeit das wertvollste Gut, das uns Gott geschenkt hat, um sie in seinem Sinne zu nutzen, seine Liebe im täglichen Handeln weiterzugeben. Andererseits müssen wir uns eben auch um die mehr oder minder erfreulichen Dinge des Alltags kümmern. um die Familie, den Beruf, die Urlaubs- und Rentenplanung, das Engagement im Verein. Ich habe auch kein Problem damit, ein paar Tage zu vertrödeln, nichts Produktives zu tun. Schließlich verstehe ich auch den letzten Satz nicht, wenn Grüninger uns auffordert, „etwas Ewiges“ täglich zu sammeln. Um große Taten vor Gott kann es sich nicht handeln, vielleicht um Erlebnisse und Begegnungen, wo wir die Nähe, das Eingreifen Gottes spüren. Doch diese Gotteserlebnisse kann man nicht wie Briefmarken sammeln, sie sind stets unterschiedlich deutbar wie jedes „Wunder“, das man auch als Produkt des Zufalls oder menschlicher Leistung begreifen kann. Glücklich, wer für sich selbst im Konkreten zur Einsicht kommt: „Hier habe ich Gott erlebt!“
Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
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