Fortsetzungsroman: “Mamas rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Teil 28

Uri und Schokolade

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

Die Ziege-Mühle stand noch immer öde da. Die Kinder entdeckten sie als den abenteuerlichen Ort, an dem sie ohne die geringste Aufsicht Kletterübungen und Balancierspiele probierten. Als sie in der Scheune gerade beim Mutsprung von fünf Metern ins Heu waren, hörten sie etwas.

Fahrradschutzbleche klapperten – Männerstimmen.

Die Jungen erstarrten. Jetzt erkannte auch Jank durch den Spalt der Scheunentür, dass es zwei Russen waren. Sie schoben Damenräder auf dem sandigen Weg, ließen sie dann achtlos an den Wegrand kippen und kamen auf die Scheune zu. Beide trugen Maschinenpistolen auf dem Rücken.

Mill musste wegen des Heustaubs niesen. Vorsichtig steckte der jüngere Soldat seinen Kopf in den Türspalt und rief etwas hinein, von dem Mill dachte, dass es sich wie Mill anhörte. Er glaubte sich erkannt, angerufen und kam heraus. Die anderen Jungen folgten ihm und lehnten sich an die Scheunenwand.

„Uri, Uri! Du sagen, wo Uri!“

Der Ältere streifte beide Ärmel seines Kasaks hoch und zeigte den Jungen, wonach sie suchten. Er hatte beide Handgelenke mit Armbanduhren vollgeschnallt. Auch sein Kamerad kam jetzt näher, präsentierte den Jungen seine Beute unter den Ärmeln des Kasaks und ließ Jank das wirre Geticke hören.

Als sie sahen, dass die Jungen immer nur die Schultern zuckten, wurde ihnen klar, dass ihnen die Kinder bei ihrer Uhrensuche keine Hilfe mehr sein konnten.

Die Männer waren angetrunken, aber gut gelaunt. Nun griffen sie zu ihren Bajonetten, pflanzten sie auf ihre Sturmgewehre auf und begannen, damit in den verwahrlosten Gartenbeeten herumzustochern. Als sie dabei auch keinen Erfolg hatten, griff der Schnauzbärtige in seine Umhängetasche und kramte einen abgebrochenen Riegel Schokolade hervor. Sie war in zerknittertes Silberpapier gewickelt. Er lächelte und ahmte mit seinem Mund Essbewegungen nach, hielt sie Mill unter die Nase.

„Du nämmen. Das gutt.“

Der Kleine griff vorsichtig nach dem Schokoladestück und hielt es in der Hand. Er wickelte es nicht aus.

„Du essen! Gutt fir kleine Kind.“

Mill pulte den Riegel aus dem verklebten Silberpapier und nagte vorsichtig ein Stückchen ab.

„Du essen, karascho!“

Mill steckte den Rest vom Riegel in den Mund, lutschte und zerkaute alles mit vollem Mund. Als er so mit dunkelbraun verschmierten Mundwinkeln dastand, begannen die beiden Uhrensucher zu lachen und der Rest der Jungenbande lachte vorsichtig mit.

„Karascho? Karascho!“

Sie nahmen wieder die beiden Damenräder und wollten aufsteigen. Der Ältere merkte, dass sein Rad hinten einen Platten hatte und so zogen sie es vor, lieber zu schieben. Wie auf ein Kommando begannen sie schon nach wenigen Metern, zweistimmig zu singen.

Die Jungen lauschten stumm und gebannt. Der Gesang verlor sich allmählich hinter den Büschen und Bäumen.
Mit Spucke und Ärmel wischte sich Mill den Mund.