Universität Bayreuth: Wie infektiöse Spumaviren aus Wirtszellen entstehen
Neue Erkenntnisse über das Zusammenwirken von Erbgut und Enzymen in Spumaviren haben Prof. Dr. Birgitta Wöhrl und Dr. Maximilian Hartl, Lehrstuhl für Biopolymere an der Universität Bayreuth (Leitung: Prof. Dr. Paul Rösch), gemeinsam mit Biomedizinern der Universität Würzburg erzielt. In der jüngsten Ausgabe des „Journal of Virology“ stellen sie ihre Forschungsarbeiten vor.
Spumaviren: nicht-pathogen und für die Gentherapie interessant
Weltweit arbeitet die biomedizinische Forschung an Verfahren, die geeignet sind, fehlende Gene zu ergänzen, defekte Gene zu ersetzen oder zumindest die Folgen derartiger Schäden zu kompensieren. Dabei wächst das Interesse an den Spumaviren, die auch als Foamyviren bezeichnet werden und deshalb so heißen, weil sie in Zellkulturen ein schaumiges Aussehen entwickeln. Bisher ist kein Krankheitsbild bekannt, das seine Ursache in einer Infektion mit diesen Viren hätte. Daher verfolgt man mit zunehmender Intensität Forschungsansätze, die Spumaviren nutzen wollen, um Gene zu therapeutischen Zwecken in menschliche Zellen einzuschleusen. Dass Spumaviren nicht-pathogen sind, ist umso überraschender, als es sich bei ihnen um Retroviren handelt. Zu dieser Virenklasse gehören andererseits auch einige hochgradig krankheitserregende Viren.
Proteine in der Wirtszelle: verkettet und inaktiv
Wie alle Viren können sich auch Spumaviren nur dadurch vermehren, dass sie in Zellen eines lebenden Organismus – die sogenannten Wirtszellen – eindringen. Sobald die Infektion gelungen ist, wird das im Viruskern enthaltene Erbgut freigesetzt und in das Erbgut der infizierten Zelle eingeschleust. In der Folge vermehrt die Zelle das virale Erbgut. Gleichzeitig werden alle Proteine hergestellt, die für den Zusammenbau eines neuen Virus notwendig sind.
Diese Proteine sind bei ihrer Entstehung miteinander verkettet. In der Regel sind es zwei oder drei Proteine, die wie die Glieder einer Kette verbunden sind. In dieser Form aber können sie keine biochemischen Funktionen erfüllen. Deshalb müssen die kleinen Proteinketten – die Forschung bezeichnet sie als virale Vorläuferproteine – aufgetrennt werden. Dafür wird ein Enzym, eine sogenannte Protease, benötigt. In einem inaktiven Zustand wartet sie darauf, bei der Spaltung der Proteinketten zum Einsatz zu kommen.
Die virale RNA: Operationsbasis für spaltende Enzyme
An diesem Punkt setzen die Forschungen von Prof. Dr. Birgitta Wöhrl und Dr. Maximilian Hartl an. Ihnen ist es gemeinsam mit Biomedizinern der Universität Würzburg gelungen, einen bisher unbekannten biochemischen Prozess zu entdecken und im Detail wissenschaftlich zu beschreiben. Mit dem Ziel, die kleinen Proteinketten aufzutrennen, schließen sich jeweils zwei Moleküle der Protease paarweise zusammen. Erst in dieser Kombination werden sie aktiv und wirken wie die Klingen einer Schere: Die Protease zerschneidet die Vorläuferproteine in separate Abschnitte, die nun ein neues infektiöses Virus bilden können.
Dieser Vorgang hat, wie das Bayreuther Forschungsteam ebenfalls nachweisen konnte, eine wesentliche Voraussetzung: Damit zwei Proteasemoleküle sich zu einer derartigen Schere zusammenschließen können, müssen sie in direkter Nachbarschaft auf dem RNA-Strang Platz nehmen, der das Erbgut des neu entstehenden Virus bildet. Andernfalls hätte die scherenartige Verbindung der beiden Moleküle nicht die erforderliche Stabilität, oder sie würde gar nicht erst zustande kommen. Die virale RNA ist daher eine unverzichtbare Operationsbasis für die aktive Protease. Nur so kann der enzymgesteuerte Prozess, der die viralen Vorläuferproteine aufspaltet, geordnet und vollständig bis zum Ende ablaufen. Bei allen anderen Retroviren verhält es sich anders. Bei ihnen ist die RNA an diesem Prozess in keiner signifikanten Weise beteiligt.
Die Integrase: unverzichtbar für den Einbau des Erbguts in eine DNA
Die auf der RNA platzierten Protease-Moleküle sind an ihren Enden mittelbar mit den Molekülen eines anderen Enzyms verbunden, der sog. Integrase. Dieses Enzym wird später eine entscheidende Funktion übernehmen, wenn nämlich das neu entstandene infektiöse Virus seinerseits in eine Wirtszelle eindringen wird. Denn das Erbgut des Virus kann nur mit Hilfe der Integrase in die DNA einer Wirtszelle eingebaut werden. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, müssen die Moleküle der Integrase so angeordnet sein, dass sie sich in räumlicher Nachbarschaft aneinander lagern.
Damit ein solcher Verbund entstehen kann, ist die auf der RNA platzierte Protease ebenfalls unentbehrlich. Denn die Protease-Moleküle erfüllen auch hier ihre Scherenfunktion: Wechselseitig spalten sie die Integrase-Moleküle ab. Erst dieser Vorgang bewirkt, dass sich die „befreiten“ Integrase-Moleküle im neu entstehenden Virus richtig aneinander lagern können. Die Bayreuther Forscher vermuten, dass auch diese räumliche Anordnung der Integrase nur zustande kommen kann, weil die Protease in relativ stabiler Form auf dem RNA-Strang positioniert ist.
Reverse Transkription: Von der RNA zur DNA
Für die Spumaviren ist es im Unterschied zu allen anderen Retroviren charakteristisch, dass die RNA in DNA umgeschrieben wird, kurz bevor ein neues infektiöses Virus die Wirtszelle verlässt. Spumaviren sind daher DNA-haltig. Dies gilt in analoger Weise, wenn Spumaviren im Rahmen einer Gentherapie genutzt werden, um Erbmaterial in die krankhaft beschädigte DNA einer Zelle einzuschleusen. Innerhalb dieser Zelle muss dann keine Transkription von viraler RNA in DNA mehr stattfinden. Zudem ist die DNA im Virus sehr viel stabiler als eine vergleichbare RNA. Auch diese Besonderheit macht die Spumaviren für einen Einsatz in der Gentherapie attraktiv.
Perspektiven für die Anwendungsforschung
Die Wissenschaftler am Bayreuther Lehrstuhl für Biopolymere wollen ihre Forschungen weiterführen, um noch tiefer in die Strukturen und Prozesse von Spumaviren vorzudringen. „Wir vertrauen darauf, dass die so gewonnenen Einsichten eines Tages dazu beitragen können, effektive gentherapeutische Verfahren zu entwickeln, die frei sind von gravierenden Nebenwirkungen,“ erklärt Prof. Dr. Birgitta Wöhrl. „Intensive Grundlagenforschung ist in diesem Bereich unverzichtbar. Nur dadurch gewinnen wir die Erkenntnisse, auf die eine solide Anwendungsforschung und ein verantwortungsbewusster Einsatz in der Medizin angewiesen sind.“
Ausführlichere Darstellung mit 2 Abbildungen (S. 5 bis 7): http://www.uni-bayreuth.de/blick-in-die-forschung/10-2011.pdf
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