Rede von Erzbischof Schick beim Neujahrsempfang in Herzogenaurach
Begrüßung und Einführung in den Vortrag von Dr. Albert Schmid
Einführung zum Thema in 10 Thesen:
1. Sehr bewusst habe ich für den Neujahrsempfang 2011 das Thema „Integration“ gewählt. Nicht erst seit und schon gar nicht wegen des Buches von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“, ist mir das Thema Integration sehr wichtig. Thilo Sarrazin weist – ohne Zweifel – auf Versäumnisse und Defizite bei der Integration in Deutschland hin; mit seinen ‚falschen Thesen’ über Rassen und Religionen ist sein Buch aber ein „Bremsklotz“ für Integration und ein „Sprengsatz“ gegen das friedliche Zusammenleben in Deutschland.
Integration muss vor allem aus zwei Gründen zum Topthema in unserer Gesellschaft werden: 1. Wegen des demografischen Wandels in Deutschland und 2. wegen der Globalisierung weltweit. Ohne Integration wird es zum „Clash of Civilizations“ – zum „Kampf der Kulturen“ kommen. Mit guter Integration werden wir die Zukunft Deutschlands und der internationalen Gemeinschaft zum Wohl aller gestalten können. Darauf habe ich schon öfter hingewiesen und tue es heute erneut.
2. Was hat Kirche mit Integration zu tun?
Immer wieder habe ich bei der Beschreibung des Auftrags der Kirche in unserer Zeit den Propheten Jeremia zitiert. Er schrieb 500 vor Christus: „Bemüht euch um das Wohl der Stadt … und betet für sie zum Herrn“ (Jer 29,7). Kirche hat den Auftrag, sich um das Wohl der Stadt zu sorgen und am Gemeinwohl aktiv mitzuwirken. Als Christen dürfen wir uns nicht hinter unsere Kirchenmauern und in unsere Sakristeien zurückziehen. Wenn wir das tun, verraten wir den Auftrag Christi, dazu beizutragen, den Menschen ‚das Leben in Fülle’ zu bereiten.
3. Kirche ist kein ‚Alleskönner’ und muss kein ‚Allesmacher’ sein. Bei der wunderbaren Brotvermehrung sagt Jesus den Jüngern, die die Menschen wegschicken wollen: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ Die fünf Brote und zwei Fische, die sie einbringen konnten, machten viele satt (vgl. Mk 6,30-44).
Der Beitrag der Kirche ist wesentlich für das Gelingen der Gesellschaft. Ich denke dabei an das Wort von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Die Gesellschaft lebt von Voraussetzungen, die sie sich selbst nicht geben kann.“ Diese Voraussetzungen kann und muss die Kirche für die Integration einbringen.
4. Welche sind das?
Konkret kann man den Beitrag der Kirche in drei Stichworte zusammenfassen: Würde, Werte und Tugenden.
• Die Kirche muss die Würde eines jeden Menschen, unabhängig von seiner Hautfarbe, Rasse oder Religion, Gesundheit, Intelligenz in Wort und Tat einbringen und einfordern. Der Glaube „an den einen Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde“, befähigt und verpflichtet sie dazu.
• Sie muss die Werte der Freiheit, des Friedens, des Rechtes, der Toleranz, der Treue und Verlässlichkeit, der Wahrhaftigkeit und der Geduld predigen und lehren.
• Sie muss die Tugenden des Fleißes, des Anstandes und Benehmens, der guten Berufsarbeit und des Engagements für das Gemeinwohl in der Politik und im Ehrenamt fördern. Sie muss Kinder, Jugendliche und Erwachsene in die Tugenden einführen.
5. Würde, Werte und Tugenden sind Grundvoraussetzungen für die Integration. Oft habe ich schon die Forderung wiederholt, dass alle Verantwortungsträger in der Kirche, aber auch in der Gesellschaft, dazu da sind: zu inspirieren, zu moderieren und zu integrieren. Alle Verantwortungsträger müssen die Menschen inspirieren, dass diese ihren Einsatz für die Integration leisten. Ohne das Mitwirken derer, die integriert werden sollen, ist keine Integration möglich. Die, die Integration fördern sollen, müssen ebenfalls vom rechten Geist geleitet sein.
Die Verantwortungsträger müssen moderieren, das heißt, die richtigen Leute am richtigen Ort zum richtigen Tun zusammenbringen, damit Integration vorangeht. Die Verantwortungsträger müssen integrieren, d. h. rechtliche und berufliche, soziale und kulturelle Möglichkeiten für die Integration schaffen.
Die Kirche muss selbst Integrationsarbeit durch ihre Institutionen leisten, was sie auch tut. Die 330 Kindergärten in unserem Erzbistum Bamberg leisten wichtige und hervorragende Integrationsarbeit. In vielen unserer Kindertagesstätten, besonders in Nürnberg, Erlangen, Fürth, aber auch in Hof, sind bis zu 70 Prozent der Kinder, Kinder mit Migrationshintergrund. Sie werden inspiriert, moderiert und integriert, damit sie sich in unserer deutschen Gesellschaft heimisch fühlen und einmal am Wohl und Wehe Deutschlands mitzuwirken bereit sind.
Über die Kinder und mit den Kindern werden die Eltern besser integriert. Wir bauen derzeit unsere Kindertagesstätten zu Familienstützpunkten aus, nicht zuletzt für die Familien mit Migrationshintergrund.
Was für die Kindergärten gilt, gilt auch für unsere kirchlichen Schulen. Ebenso wird durch die katholischen Jugendgruppen Integrationsarbeit geleistet. In ihnen gilt grundsätzlich das Motto: ‚Nicht Ausländer raus, sondern Ausländer willkommen.’
Die Pfarreien sind Integrationszentren.
Die Kirche unterhält Personalpfarreien für Polen, Italiener, Spanier, Vietnamesen, Kroaten etc., die der Integration dienen.
Unsere Caritas hat Integrationsbeauftragte, die sich um Asylanten kümmern.
Wir haben ca. 130 meist indische Ordensschwestern und ca. 40 Priester aus Indien und Polen, die uns in der Pastoral und Caritas helfen. Sie sind integriert, weil sie selbst und das Erzbistum sich für ihre Integration eingesetzt haben.
6. In unserer globalen Welt muss Integration ein „Dauerthema“ sein. Solange Menschen zusammenleben, wird Integration nötig sein. Wir sind zu kurzatmig bei der Integration. Integration ist ein „Dauerauftrag“. Wer bei den Integrationsbemühungen nachlässt, weil er sie für abgeschlossen hält, hat verloren.
Bereits in der Bibel ist Integration ein ganz wichtiges Thema. Dabei wird auch schon deutlich, dass Integration gelingen und misslingen kann, wie Integration vorangeht und dass man immer dranbleiben muss. Pfingsten ist z. B. ein Modell gelungener Integration. Meder, Parter und Elamiter, die in Jerusalem sind, verstehen sich auf einmal durch die Herabkunft des Heiligen Geistes. Bei der Integration darf man auch auf Gottes Hilfe bauen. Er will die eine integrierte Menschenfamilie. Integration wird in allen Briefen des Apostels Paulus gefordert. Juden und Griechen ruft er zur Integration auf. Paulus klagt auch über misslungene Integration, z. B. bei der Abendmahlsfeier in Korinth und fordert Besserung. Es werden auch konkrete Anweisungen für Integration gegeben. Die Wahl der sieben Diakone in der Apostelgeschichte ist z. B. eine Maßnahme der Integration. Die sieben Diakone wurden in der Gemeinde von Jerusalem gewählt, weil in ihr die ‚Witwen der Hellenisten’ vernachlässigt wurden und diese sich beklagten. Um diesem Missstand abzuhelfen, wird mit den sieben Diakonen das Personal verstärkt. Modell für heute? Wir brauchen für Integration mehr Personal in den Kindertagesstätten, Schulen, Asylantenheimen, in den Beratungseinrichtungen etc.
7. Integration muss auch als umfassende gesellschaftliche Aufgabe gesehen werden. Wir konzentrieren uns derzeit oft nur oder zu sehr auf die Integration von Immigranten. Sie ist gut und wichtig. Aber sie wird nur gelingen, wenn wir insgesamt eine integrierte Gesellschaft sein wollen.
Die Integration muss die Behinderten, die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger, die Straffälliggewordenen und vor allem unsere Kinder und Jugendlichen einbeziehen. Nur wenn wir insgesamt und alle umfassende Integration wollen, wird sie auch mit den Immigranten gelingen.
8. Integration zielt auf eine integrierte Gesellschaft ab. Nach Max Weber setzt ‚gerechte Gesellschaft rechte Gemeinschaft’ voraus. Wir müssen mit allen in Deutschland Lebenden eine Gemeinschaft zu bilden versuchen. Gemeinschaft bedeutet: Miteinander denken und fühlen, einander achten und wertschätzen. Das kann der Staat nicht machen. Dazu sind die Familien, Nachbarschaften, Kirchen, Vereine, Kulturinstitute da. In diese nichtstaatlichen Institutionen und freie Initiativen muss bei uns viel mehr investiert werden. Dazu muss auch der Sonntag erhalten und die Arbeitszeit geregelt werden. Sie sind unabdingbar für Gemeinschaftsbildung.
Ohne Gemeinschaft keine Gesellschaft. Diese Zusammenhänge müssen bei uns besser gesehen werden. Gesellschaft gibt es nur dann, wenn Gemeinschaft vorhanden ist.
9. Integration und Versöhnung hängen engstens zusammen. Zwischen Menschen, besonders verschiedener Kulturen, wird es trotz besten Willens immer wieder zu Zerwürfnissen kommen. Integration gelingt nur dann, wenn wir Mechanismen und Formen der Versöhnung in der Gesellschaft haben. Der Zusammenhang von Versöhnung und Integration muss besser gesehen werden.
10. Sehr verehrte Damen und Herren!
Ich habe Herrn Dr. Albert Schmid eingeladen, dem ich sehr danke, dass er uns heute einen Vortrag hält. Er wird kompetent auf dieses Thema eingehen und sicher bessere Perspektiven aufzeigen, als ich es kann. Viele Jahren hat er als Präsident das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ in Nürnberg geleitet, das sich besonders in den letzten Jahren unter seiner Führung die Integration zur Aufgabe gemacht hat.
Ich möchte Herrn Dr. Schmid jetzt das Rednerpult überlassen und Sie alle bitten, ihm aufmerksam zuzuhören, damit wir aus seinem Vortrag bei diesem Neujahrsempfang etwas mitnehmen für unseren Alltag. Integration geht uns alle an. Damit sie gelingt, sind wir alle gefordert, mitzuwirken.
Herr Dr. Schmid, wir hören Ihnen gespannt und gern zu.
(Es gilt das gesprochene Wort)
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