Lilo Kraus bei den Kirchehrenbacher Kulturwochen
Als die international bekannte Harfenistin der Nürnberger Staatsoper, Lilo Kraus, diesmal zu ihrem Konzert nach Kirchehrenbach ins Gashaus Sponsel kommt, liegt ein schreckliches Jahr hinter ihr. Ein Unfall beim Ski-Langlauf führte zu einem komplizierten Bruch; mehrere Nachoperationen waren notwendig. Ein monatelanger Aufenthalt im Krankenhaus, keine Auftritte, Depressionen. Nein, gesteht sie dem Publikum offen, an einen Schutzengel und die neun starken Engelchöre kann sie im Augenblick nicht glauben.
Passend zu ihrer Stimmung der Titel ihres aus Musik und Dichtung gemischten Programms: „ Ich kann keine Engel mehr seh’n.“ Das Motto stammt aus einem Text des altbayerischen Volksliteraten Franz Ringseis, den Lilo Kraus in der sprachlichen Färbung ihrer donauländischen Heimat zitiert: „Koa Schloss, Koa Kirch, die mich lockan und woans noch so schee barockan.“
Doch während der quälenden Wochen in der Nürnberger Matratzengruft begegnete ihr ein Engel aus Fleisch und Blut: ein Krankenpfleger aus Bosnien, der sie immer wieder aufmunterte und ihr über die Klippen der Rehabilitation hinweghalf. Von gleicher menschlichre Statur ist auch der Engel in der kurzen Erzählung des niederländischen Romanciers Ces Notebom die zum Vortrag kam „Selbstbildnis eines Anderen“. Ein schäbig gekleideter Mann sitzt auf einem Felsen am Meer. Plötzlich ist er verschwunden. Was bleibt, sind die Spuren seiner Sandalen im feuchten Sand, Hinweise auf eine mögliche andere Dimension der Wirklichkeit.
Der Bamberger Mundart-Autor Gerhard C. Krischker arbeitet bei seinem englischen Gruß aus Franken mit dem gleichen, ins Surreale gesteigerten Motiv: „ A fusabdrugg aufm Fluchdseichflüchl edsad glaabi wirra, dass Engl gibd“ zitiert ihn die mit vielen Dialekten vertraute Lilo Kraus. Dazu spielt sie in meisterhafter Präzision die „Fantasie C-Moll“ von Louis Spohr, dämpft deren wogende Emotionen virtuos zur Zartheit. Die Spannung und Stille des Publikums entlädt sich in lang anhaltendem Beifall.
Die Künstlerin blendet einen Aphorismus des fränkisch-jüdischen Erzählers Jakob Wassermann aus Fürth ein: „Musik ist himmlische Mathematik zur Auflösung irdischer Verwirrungen.“ Den Beweis liefert die Synthese aus Logik und Magie in Johann Sebastian Bachs „Präludium in C-Dur“, das die Bauernwirtschaft verzaubert.
Aber auch Satire und Humor bestimmen diesen Abend, von Stubenmusik und dem Che Guevara-Landler der Gebrüder Weil untermalt. Lilo Kraus begibt sich auf eine Zeitreise ins späte Mittelalter, als die Philosophie der Scholastik im Formalismus erstarrte und die absurde Frage, wie viel Engel auf einer Nadelspitze Platz hätten, Gelehrte und Inquisitoren erregte. Christian Morgenstern und Robert Gerhard lieferten dazu verspielte und zynische literarische Kommentare.
Von praller Vitalität, nackt und mit großen Flügeln ausgestattet, erschienen die „Engel“ beim abgründigen bairischen Chef-Humoristen Karl Valentin. Wie schön, dass der Korpulente Bäckermeister Meier dann hinter der Wolke unsichtbar bleibt! Sichtbar aber wurde an diesem Abend der Vorschein großer Dichtung. Lilo Kraus rezitierte aus Rainer Maria Rilkes „ Duineser Elegien“ – die Klage über das Ausgesetztsein des Menschen in einer undurchschaubaren Welt. „Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen!“ In der gleichen Tonlage bewegt sich Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „Die Visite. “ „ Als ich aufsah von meinem leeren Blatt, stand der Engel im Zimmer. Sie können sich gar nicht vorstellen, sagt er, wie entbehrlich sie sind …
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